Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.Sprichwort gilt: "Auf einen Hieb fällt kein Baum!" Zum Glück bestätigt Zunächst wurde eine Reform auf dem Gebiete der Justiz als das dring¬ Dem ist nun ein Ende gemacht. Es existirt, wenn anch schüchtern, unbe- Als Peter I. schon die Nothwendigkeit einsah, eine Bureaukratie im guten Sprichwort gilt: „Auf einen Hieb fällt kein Baum!" Zum Glück bestätigt Zunächst wurde eine Reform auf dem Gebiete der Justiz als das dring¬ Dem ist nun ein Ende gemacht. Es existirt, wenn anch schüchtern, unbe- Als Peter I. schon die Nothwendigkeit einsah, eine Bureaukratie im guten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141713"/> <p xml:id="ID_900" prev="#ID_899"> Sprichwort gilt: „Auf einen Hieb fällt kein Baum!" Zum Glück bestätigt<lb/> sich auch ein anderes Sprichwort: „Wo ein Baum gehauen wird, da fliegen<lb/> Späne." Die Späne fliegen tüchtig umher, mitunter solche von außerordent¬<lb/> licher Dimension, und ziemlich hoch an den giftigen Stamm, ziemlich tief an<lb/> die Wurzeln, sind namentlich bei Gelegenheit des Orientkrieges die Hiebe ge¬<lb/> führt worden. Dies erreichte der Kaiser in den Gouvernements zunächst da¬<lb/> durch, daß er den Versammlungen von Kreisinsassen, wie wir sagen würden,<lb/> sowie den Provinziallandtagen, welche zum Theil schon seit den Tagen Katha¬<lb/> rina's II. bestanden hatten, ein neues Leben einhauchte, indem er darauf hielt,<lb/> daß ihre Gerechtsame respektirt wurden, ihre Beschlüsse wirklich zur Ausführung<lb/> kamen.</p><lb/> <p xml:id="ID_901"> Zunächst wurde eine Reform auf dem Gebiete der Justiz als das dring¬<lb/> lichste erachtet und einfach dadurch in's Leben gerufen, daß es durch Kontrole<lb/> von oben herab dem Gouverneur unmöglich gemacht wurde, ihm mißliebige<lb/> Beschlüsse einfach s.et aorg. zu legen. Stets hatten, schon seit Katharina's Zeit,<lb/> jene Versammlungen das Recht gehabt, ihren Bedarf an Landrichtern und<lb/> Exekutivbeamten der oberen Justiz durch freie Wahl zu ergänzen. Der Gou¬<lb/> verneur mußte aus der Auzahl der präsentirten Personen wühlen, nnr ein be¬<lb/> schränktes Veto hatte ihm zugestanden. Statt dessen hatten die Verhältnisse<lb/> sich thatsächlich so gestaltet, daß der Gouverneur den ganzen Gerichtsstand ein-<lb/> sach ernannte, und wenn die Versammlungen überhaupt je berufen wurden,<lb/> fo gab man ihnen leere Formfragen zum Debattiren, und nachdem die Kindlein<lb/> genug mit solchem Spielzeug gespielt, wurden sie nach Auszahlung von Diäten<lb/> und solenner Abfütterung nach Hause entlassen. So ging es im besten Falle,<lb/> die weniger guten brauchen wir nicht zu erörtern.</p><lb/> <p xml:id="ID_902"> Dem ist nun ein Ende gemacht. Es existirt, wenn anch schüchtern, unbe-<lb/> holfen und oft mißleitet von böswilligen Intriganten, doch eine öffentliche<lb/> Meinung. Die erleichterten Verkehrsmittel veranlassen häufige Reisen des<lb/> Czaren und seiner Minister und erleichtern dem Bedrückten den Weg zum<lb/> Herrscher. Das furchtbare Wort „Der Himmel ist hoch, der Czar ist weit!" —<lb/> man muß es selbst gehört haben, wenn es stöhnend sich losrang aus dem<lb/> Herzen des Bedrängten, eine entsetzliche Klage des schutzlos mißhandelten<lb/> Rechtes — es verliert mit jeder neuen Bahnschiene, mit jedem neuen Winkel¬<lb/> blatt, das auf grauem Papier in klein Oktav in irgend einem Landstädtchen<lb/> nnter strenger Zensur erscheint, seine fürchterliche Bedeutung.</p><lb/> <p xml:id="ID_903" next="#ID_904"> Als Peter I. schon die Nothwendigkeit einsah, eine Bureaukratie im guten<lb/> Sinne des Wortes zu schaffen, befand er sich einer tabula rasa gegenüber.<lb/> Es gab kein Bürgerthum, keinen Adel, keine Geistlichkeit im Sinne unserer<lb/> Staaten. Ausländer und deren Nachkommen nebst einzelnen ehrenvollen Aus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0302]
Sprichwort gilt: „Auf einen Hieb fällt kein Baum!" Zum Glück bestätigt
sich auch ein anderes Sprichwort: „Wo ein Baum gehauen wird, da fliegen
Späne." Die Späne fliegen tüchtig umher, mitunter solche von außerordent¬
licher Dimension, und ziemlich hoch an den giftigen Stamm, ziemlich tief an
die Wurzeln, sind namentlich bei Gelegenheit des Orientkrieges die Hiebe ge¬
führt worden. Dies erreichte der Kaiser in den Gouvernements zunächst da¬
durch, daß er den Versammlungen von Kreisinsassen, wie wir sagen würden,
sowie den Provinziallandtagen, welche zum Theil schon seit den Tagen Katha¬
rina's II. bestanden hatten, ein neues Leben einhauchte, indem er darauf hielt,
daß ihre Gerechtsame respektirt wurden, ihre Beschlüsse wirklich zur Ausführung
kamen.
Zunächst wurde eine Reform auf dem Gebiete der Justiz als das dring¬
lichste erachtet und einfach dadurch in's Leben gerufen, daß es durch Kontrole
von oben herab dem Gouverneur unmöglich gemacht wurde, ihm mißliebige
Beschlüsse einfach s.et aorg. zu legen. Stets hatten, schon seit Katharina's Zeit,
jene Versammlungen das Recht gehabt, ihren Bedarf an Landrichtern und
Exekutivbeamten der oberen Justiz durch freie Wahl zu ergänzen. Der Gou¬
verneur mußte aus der Auzahl der präsentirten Personen wühlen, nnr ein be¬
schränktes Veto hatte ihm zugestanden. Statt dessen hatten die Verhältnisse
sich thatsächlich so gestaltet, daß der Gouverneur den ganzen Gerichtsstand ein-
sach ernannte, und wenn die Versammlungen überhaupt je berufen wurden,
fo gab man ihnen leere Formfragen zum Debattiren, und nachdem die Kindlein
genug mit solchem Spielzeug gespielt, wurden sie nach Auszahlung von Diäten
und solenner Abfütterung nach Hause entlassen. So ging es im besten Falle,
die weniger guten brauchen wir nicht zu erörtern.
Dem ist nun ein Ende gemacht. Es existirt, wenn anch schüchtern, unbe-
holfen und oft mißleitet von böswilligen Intriganten, doch eine öffentliche
Meinung. Die erleichterten Verkehrsmittel veranlassen häufige Reisen des
Czaren und seiner Minister und erleichtern dem Bedrückten den Weg zum
Herrscher. Das furchtbare Wort „Der Himmel ist hoch, der Czar ist weit!" —
man muß es selbst gehört haben, wenn es stöhnend sich losrang aus dem
Herzen des Bedrängten, eine entsetzliche Klage des schutzlos mißhandelten
Rechtes — es verliert mit jeder neuen Bahnschiene, mit jedem neuen Winkel¬
blatt, das auf grauem Papier in klein Oktav in irgend einem Landstädtchen
nnter strenger Zensur erscheint, seine fürchterliche Bedeutung.
Als Peter I. schon die Nothwendigkeit einsah, eine Bureaukratie im guten
Sinne des Wortes zu schaffen, befand er sich einer tabula rasa gegenüber.
Es gab kein Bürgerthum, keinen Adel, keine Geistlichkeit im Sinne unserer
Staaten. Ausländer und deren Nachkommen nebst einzelnen ehrenvollen Aus-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |