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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Allmählich hatten aber die Wojewoden auch der Selbstverwaltung der Ge¬
meinden ein Ende gemacht, indem sie die Ernennung aller Gemeindebeamten
an sich rissen und so eine Art von Regierung schufen, welche ganz der Pascha¬
regierung der Osmanen analog war. Von dem persönlichen Charakter, von
dem Zustande des Vermögens, welches der Wojewode besaß, hing allein das
Wohl und Wehe der ihm untergebenen Landestheile ab. Die Leibeigenschaft
und das Interesse der übrigen Bojaren hatten allmählich feste Formen her¬
vorgerufen und Schranken gegen cillzngroße Willkür errichtet, so daß diese
patriarchalische Regierungsform dem Volke weit weniger hart erschien, als die
aus Europa entlehnten Einrichtungen, welche eine Menge neuer Pflichte" für
die raissrs, xlsds herbeiführten, ohne ihr neue Rechte zu gewähren oder die
alten Pflichten ganz zu beseitigen.

Peter I. war trotz seines Herrschergenies doch zu sehr in den Banden der
Erziehung und Tradition von der schrankenlosen Macht des Czarenthums be¬
fangen, um zu sehen, daß seine gewaltsam revolutionären Reformen zum größten
Theile nur auf der Oberfläche bleiben, also eigentlich scheitern mußten, scheitern
an dem Mangel an Material. Wohl rief er Schaaren von Ausländern zu
Hilfe, welche rings um ihn her deu trügerischen Schein einer Zivilisation
schufen. Aber so weit sein Herrscherblick auch reichte, er umspannte doch nur
einen kleinen Theil seines Reiches, und so zahlreich auch seine ausländischen
Mitarbeiter waren, sie genügten bei weitem nicht dem unternommenen Werke,
weil -- aus dem Volke selbst ihnen so gut wie keine Unterstützung erwuchs.
Dieser Mangel an geeigneten Menschen war und ist es, an dem auch seine
Nachfolger scheiterten. Der langsame, aber sichere Weg der allgemeinen Volks¬
bildung ist erst mit ernstlichem, redlichem Willen von dem jetzigen Kaiser ein¬
geschlagen worden. Am wenigsten neigte sein Vorgänger, Nikolaus, dazu, der
Alexander's I. Schöpfungen, wo er sie nicht geradezu zerstörte, derart in spa¬
nische Stiefeln einschnürte, daß sie wieder hinsiechen mußten.

Das Wort Bureaukratie hat einen schlechten Klang bei uns. Wenn es
in unserer Skizze öfter wiederkehren sollte, um eine Sache am kürzesten zu
bezeichnen, so mag es nur in gutem Sinne aufgefaßt werden. Rußland besaß
und besitzt heute noch keine Bureaukratie in diesem guten Sinne. In der Um¬
gebung des Herrschers, auf der Oberfläche so zu sagen, herrscht Ordnung,
Regelmäßigkeit, Gesetzlichkeit; je weiter man sich vom Mittelpunkte entfernt,
desto schwächer treten diese Seiten, desto schärfer die Schattenseiten hervor.
Die Maschine hat zu viel Reibung, die eine, scheinbar allmächtige, Triebfeder
reicht nicht bis an's Ende.

Des Kaisers Wille ist das höchste Agens, seine Entscheidung die allmäch¬
tige Triebfeder. Unter ihm arbeiten zunächst zwei große Regierungskörper:


Allmählich hatten aber die Wojewoden auch der Selbstverwaltung der Ge¬
meinden ein Ende gemacht, indem sie die Ernennung aller Gemeindebeamten
an sich rissen und so eine Art von Regierung schufen, welche ganz der Pascha¬
regierung der Osmanen analog war. Von dem persönlichen Charakter, von
dem Zustande des Vermögens, welches der Wojewode besaß, hing allein das
Wohl und Wehe der ihm untergebenen Landestheile ab. Die Leibeigenschaft
und das Interesse der übrigen Bojaren hatten allmählich feste Formen her¬
vorgerufen und Schranken gegen cillzngroße Willkür errichtet, so daß diese
patriarchalische Regierungsform dem Volke weit weniger hart erschien, als die
aus Europa entlehnten Einrichtungen, welche eine Menge neuer Pflichte« für
die raissrs, xlsds herbeiführten, ohne ihr neue Rechte zu gewähren oder die
alten Pflichten ganz zu beseitigen.

Peter I. war trotz seines Herrschergenies doch zu sehr in den Banden der
Erziehung und Tradition von der schrankenlosen Macht des Czarenthums be¬
fangen, um zu sehen, daß seine gewaltsam revolutionären Reformen zum größten
Theile nur auf der Oberfläche bleiben, also eigentlich scheitern mußten, scheitern
an dem Mangel an Material. Wohl rief er Schaaren von Ausländern zu
Hilfe, welche rings um ihn her deu trügerischen Schein einer Zivilisation
schufen. Aber so weit sein Herrscherblick auch reichte, er umspannte doch nur
einen kleinen Theil seines Reiches, und so zahlreich auch seine ausländischen
Mitarbeiter waren, sie genügten bei weitem nicht dem unternommenen Werke,
weil — aus dem Volke selbst ihnen so gut wie keine Unterstützung erwuchs.
Dieser Mangel an geeigneten Menschen war und ist es, an dem auch seine
Nachfolger scheiterten. Der langsame, aber sichere Weg der allgemeinen Volks¬
bildung ist erst mit ernstlichem, redlichem Willen von dem jetzigen Kaiser ein¬
geschlagen worden. Am wenigsten neigte sein Vorgänger, Nikolaus, dazu, der
Alexander's I. Schöpfungen, wo er sie nicht geradezu zerstörte, derart in spa¬
nische Stiefeln einschnürte, daß sie wieder hinsiechen mußten.

Das Wort Bureaukratie hat einen schlechten Klang bei uns. Wenn es
in unserer Skizze öfter wiederkehren sollte, um eine Sache am kürzesten zu
bezeichnen, so mag es nur in gutem Sinne aufgefaßt werden. Rußland besaß
und besitzt heute noch keine Bureaukratie in diesem guten Sinne. In der Um¬
gebung des Herrschers, auf der Oberfläche so zu sagen, herrscht Ordnung,
Regelmäßigkeit, Gesetzlichkeit; je weiter man sich vom Mittelpunkte entfernt,
desto schwächer treten diese Seiten, desto schärfer die Schattenseiten hervor.
Die Maschine hat zu viel Reibung, die eine, scheinbar allmächtige, Triebfeder
reicht nicht bis an's Ende.

Des Kaisers Wille ist das höchste Agens, seine Entscheidung die allmäch¬
tige Triebfeder. Unter ihm arbeiten zunächst zwei große Regierungskörper:


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[0298] Allmählich hatten aber die Wojewoden auch der Selbstverwaltung der Ge¬ meinden ein Ende gemacht, indem sie die Ernennung aller Gemeindebeamten an sich rissen und so eine Art von Regierung schufen, welche ganz der Pascha¬ regierung der Osmanen analog war. Von dem persönlichen Charakter, von dem Zustande des Vermögens, welches der Wojewode besaß, hing allein das Wohl und Wehe der ihm untergebenen Landestheile ab. Die Leibeigenschaft und das Interesse der übrigen Bojaren hatten allmählich feste Formen her¬ vorgerufen und Schranken gegen cillzngroße Willkür errichtet, so daß diese patriarchalische Regierungsform dem Volke weit weniger hart erschien, als die aus Europa entlehnten Einrichtungen, welche eine Menge neuer Pflichte« für die raissrs, xlsds herbeiführten, ohne ihr neue Rechte zu gewähren oder die alten Pflichten ganz zu beseitigen. Peter I. war trotz seines Herrschergenies doch zu sehr in den Banden der Erziehung und Tradition von der schrankenlosen Macht des Czarenthums be¬ fangen, um zu sehen, daß seine gewaltsam revolutionären Reformen zum größten Theile nur auf der Oberfläche bleiben, also eigentlich scheitern mußten, scheitern an dem Mangel an Material. Wohl rief er Schaaren von Ausländern zu Hilfe, welche rings um ihn her deu trügerischen Schein einer Zivilisation schufen. Aber so weit sein Herrscherblick auch reichte, er umspannte doch nur einen kleinen Theil seines Reiches, und so zahlreich auch seine ausländischen Mitarbeiter waren, sie genügten bei weitem nicht dem unternommenen Werke, weil — aus dem Volke selbst ihnen so gut wie keine Unterstützung erwuchs. Dieser Mangel an geeigneten Menschen war und ist es, an dem auch seine Nachfolger scheiterten. Der langsame, aber sichere Weg der allgemeinen Volks¬ bildung ist erst mit ernstlichem, redlichem Willen von dem jetzigen Kaiser ein¬ geschlagen worden. Am wenigsten neigte sein Vorgänger, Nikolaus, dazu, der Alexander's I. Schöpfungen, wo er sie nicht geradezu zerstörte, derart in spa¬ nische Stiefeln einschnürte, daß sie wieder hinsiechen mußten. Das Wort Bureaukratie hat einen schlechten Klang bei uns. Wenn es in unserer Skizze öfter wiederkehren sollte, um eine Sache am kürzesten zu bezeichnen, so mag es nur in gutem Sinne aufgefaßt werden. Rußland besaß und besitzt heute noch keine Bureaukratie in diesem guten Sinne. In der Um¬ gebung des Herrschers, auf der Oberfläche so zu sagen, herrscht Ordnung, Regelmäßigkeit, Gesetzlichkeit; je weiter man sich vom Mittelpunkte entfernt, desto schwächer treten diese Seiten, desto schärfer die Schattenseiten hervor. Die Maschine hat zu viel Reibung, die eine, scheinbar allmächtige, Triebfeder reicht nicht bis an's Ende. Des Kaisers Wille ist das höchste Agens, seine Entscheidung die allmäch¬ tige Triebfeder. Unter ihm arbeiten zunächst zwei große Regierungskörper:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/298>, abgerufen am 26.08.2024.