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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Förderung der Landwirthschaft, welche den Ausschlag geben wird gegen das
Interesse der blos vermittelnden Funktion des Getreidehandels.

Wir kommen nunmehr zu der Partei der Nationalliberalen. Unter den
hervorragenden Mitgliedern derselben sind einige, welche aus der Verbreitung
und Vertheidigung der Freihandelsdoktrin eine Profession gemacht haben,
keineswegs durch eigene materielle Interessen, sondern durch deutsche Liebhaberei
an der Propaganda irgend einer Doktrin bestimmt. Die Mehrzahl der National¬
liberalen sind Anhänger des Freihandels gewesen, weil sie die Richtigkeit der
Freihandelslehre für ausgemacht hielten, weil sie darin eine wissenschaftliche
Wahrheit sahen, deren Verwirklichung sich nur Befangenheit, Zufall und Egois¬
mus entgegensetzen, die aber eines der Ideale wahrer Menschheitbeglückung
bleibe. Gerade diesen Männern wird der Anschluß an die Politik des Reichs¬
kanzlers diesmal schwerer als je. Die Thatsache könnte Wunder nehmen, denn
man sollte meinen, es müsse schwerer sein, in einer politischen und Freiheits¬
frage wie bei dem Sozialistengesetz nachzugeben, als bei einer Maßregel von
vollkommen technischer Natur. Hier kommt nun das deutsche Unglück, aus techni¬
schen Doktrinen, wie den Lehren der Nationalökonomie, eine Herzenssache, ein
Dogma zu machen, von dem nicht das irdische, sondern das Seelenheil abhängt.
Nun, man würde am Ende das DogMa fallen lassen, aber man verlangt eine
regelrechte Disputation, eine vollständige Bekehrung, zu der eine Reihe Dis-
Pntationen, womöglich neu enthüllte Thatsachen und jedenfalls eine lange Zeit
gehören würden. Jetzt soll man die Umkehr von einem Dogma, zu dem man
sich bekehrt hat, dem man mit allem Eifer der Neubekehrten angehangen, freilich
ohne jemals den Stoff zu durchdringen, binnen wenigen Wochen vollziehen.
Das ist grausam. Und doch sagt man sich: trennt man sich nicht, so wird
man zum Märtyrer für eine Lehre, die möglicherweise bald von aller Welt
verleugnet wird. Denn von allen, die jetzt noch der Fahne des Freihandels
folgen, tragen doch nur wenige die Ueberzeugung im Kopfe, daß die Sache so
unbedingt richtig sei. Man fühlt sich bereits von der Mehrheit der Nation
verlassen, man sagt sich, daß bei einer durch Opposition in der Zollfrage ver¬
anlaßten Auflösung die mit dem Freihandel identifizirte nationalliberale Partei
wahrscheinlich stark zusammenschmilzt. Also um einer Tendenz willen, die mit
dem Wesen der Partei nicht zusammenhängt, die innerhalb der Partei bisher
als eine technische, die Parteizugehörigkeit nicht bedingende Ansicht gegolten.
Man wäre also im Grunde des Herzens nicht abgeneigt, sich bekehren zu lassen;
nur daß die Bekehrung so rasch, so diktatorisch vor sich gehen soll, empfindet
Man als Grausamkeit.

Hier könnte der Partei ein geistig gewandter, die Sachen objektiv durch¬
dringender Führer aus der Verlegenheit helfen. Ein Führer, der im Stande


Förderung der Landwirthschaft, welche den Ausschlag geben wird gegen das
Interesse der blos vermittelnden Funktion des Getreidehandels.

Wir kommen nunmehr zu der Partei der Nationalliberalen. Unter den
hervorragenden Mitgliedern derselben sind einige, welche aus der Verbreitung
und Vertheidigung der Freihandelsdoktrin eine Profession gemacht haben,
keineswegs durch eigene materielle Interessen, sondern durch deutsche Liebhaberei
an der Propaganda irgend einer Doktrin bestimmt. Die Mehrzahl der National¬
liberalen sind Anhänger des Freihandels gewesen, weil sie die Richtigkeit der
Freihandelslehre für ausgemacht hielten, weil sie darin eine wissenschaftliche
Wahrheit sahen, deren Verwirklichung sich nur Befangenheit, Zufall und Egois¬
mus entgegensetzen, die aber eines der Ideale wahrer Menschheitbeglückung
bleibe. Gerade diesen Männern wird der Anschluß an die Politik des Reichs¬
kanzlers diesmal schwerer als je. Die Thatsache könnte Wunder nehmen, denn
man sollte meinen, es müsse schwerer sein, in einer politischen und Freiheits¬
frage wie bei dem Sozialistengesetz nachzugeben, als bei einer Maßregel von
vollkommen technischer Natur. Hier kommt nun das deutsche Unglück, aus techni¬
schen Doktrinen, wie den Lehren der Nationalökonomie, eine Herzenssache, ein
Dogma zu machen, von dem nicht das irdische, sondern das Seelenheil abhängt.
Nun, man würde am Ende das DogMa fallen lassen, aber man verlangt eine
regelrechte Disputation, eine vollständige Bekehrung, zu der eine Reihe Dis-
Pntationen, womöglich neu enthüllte Thatsachen und jedenfalls eine lange Zeit
gehören würden. Jetzt soll man die Umkehr von einem Dogma, zu dem man
sich bekehrt hat, dem man mit allem Eifer der Neubekehrten angehangen, freilich
ohne jemals den Stoff zu durchdringen, binnen wenigen Wochen vollziehen.
Das ist grausam. Und doch sagt man sich: trennt man sich nicht, so wird
man zum Märtyrer für eine Lehre, die möglicherweise bald von aller Welt
verleugnet wird. Denn von allen, die jetzt noch der Fahne des Freihandels
folgen, tragen doch nur wenige die Ueberzeugung im Kopfe, daß die Sache so
unbedingt richtig sei. Man fühlt sich bereits von der Mehrheit der Nation
verlassen, man sagt sich, daß bei einer durch Opposition in der Zollfrage ver¬
anlaßten Auflösung die mit dem Freihandel identifizirte nationalliberale Partei
wahrscheinlich stark zusammenschmilzt. Also um einer Tendenz willen, die mit
dem Wesen der Partei nicht zusammenhängt, die innerhalb der Partei bisher
als eine technische, die Parteizugehörigkeit nicht bedingende Ansicht gegolten.
Man wäre also im Grunde des Herzens nicht abgeneigt, sich bekehren zu lassen;
nur daß die Bekehrung so rasch, so diktatorisch vor sich gehen soll, empfindet
Man als Grausamkeit.

Hier könnte der Partei ein geistig gewandter, die Sachen objektiv durch¬
dringender Führer aus der Verlegenheit helfen. Ein Führer, der im Stande


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[0295] Förderung der Landwirthschaft, welche den Ausschlag geben wird gegen das Interesse der blos vermittelnden Funktion des Getreidehandels. Wir kommen nunmehr zu der Partei der Nationalliberalen. Unter den hervorragenden Mitgliedern derselben sind einige, welche aus der Verbreitung und Vertheidigung der Freihandelsdoktrin eine Profession gemacht haben, keineswegs durch eigene materielle Interessen, sondern durch deutsche Liebhaberei an der Propaganda irgend einer Doktrin bestimmt. Die Mehrzahl der National¬ liberalen sind Anhänger des Freihandels gewesen, weil sie die Richtigkeit der Freihandelslehre für ausgemacht hielten, weil sie darin eine wissenschaftliche Wahrheit sahen, deren Verwirklichung sich nur Befangenheit, Zufall und Egois¬ mus entgegensetzen, die aber eines der Ideale wahrer Menschheitbeglückung bleibe. Gerade diesen Männern wird der Anschluß an die Politik des Reichs¬ kanzlers diesmal schwerer als je. Die Thatsache könnte Wunder nehmen, denn man sollte meinen, es müsse schwerer sein, in einer politischen und Freiheits¬ frage wie bei dem Sozialistengesetz nachzugeben, als bei einer Maßregel von vollkommen technischer Natur. Hier kommt nun das deutsche Unglück, aus techni¬ schen Doktrinen, wie den Lehren der Nationalökonomie, eine Herzenssache, ein Dogma zu machen, von dem nicht das irdische, sondern das Seelenheil abhängt. Nun, man würde am Ende das DogMa fallen lassen, aber man verlangt eine regelrechte Disputation, eine vollständige Bekehrung, zu der eine Reihe Dis- Pntationen, womöglich neu enthüllte Thatsachen und jedenfalls eine lange Zeit gehören würden. Jetzt soll man die Umkehr von einem Dogma, zu dem man sich bekehrt hat, dem man mit allem Eifer der Neubekehrten angehangen, freilich ohne jemals den Stoff zu durchdringen, binnen wenigen Wochen vollziehen. Das ist grausam. Und doch sagt man sich: trennt man sich nicht, so wird man zum Märtyrer für eine Lehre, die möglicherweise bald von aller Welt verleugnet wird. Denn von allen, die jetzt noch der Fahne des Freihandels folgen, tragen doch nur wenige die Ueberzeugung im Kopfe, daß die Sache so unbedingt richtig sei. Man fühlt sich bereits von der Mehrheit der Nation verlassen, man sagt sich, daß bei einer durch Opposition in der Zollfrage ver¬ anlaßten Auflösung die mit dem Freihandel identifizirte nationalliberale Partei wahrscheinlich stark zusammenschmilzt. Also um einer Tendenz willen, die mit dem Wesen der Partei nicht zusammenhängt, die innerhalb der Partei bisher als eine technische, die Parteizugehörigkeit nicht bedingende Ansicht gegolten. Man wäre also im Grunde des Herzens nicht abgeneigt, sich bekehren zu lassen; nur daß die Bekehrung so rasch, so diktatorisch vor sich gehen soll, empfindet Man als Grausamkeit. Hier könnte der Partei ein geistig gewandter, die Sachen objektiv durch¬ dringender Führer aus der Verlegenheit helfen. Ein Führer, der im Stande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/295>, abgerufen am 26.08.2024.