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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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an der nicht minder dominirenden koloristischen Richtung, nach der die deutsche
Malerei lange genug geschmachtet hat, möchte man doch wünschen, daß unser
Album nach der gegenständlichen Seite hin einen gewissen Nachdruck aus das
gegenwärtig mit ungebührlicher Gleichgiltigkeit behandelte Historienbild lege,
nach der technischen Seite hin sich von den extremsten Ausläufern der kolori¬
stischen Richtung fern halte, letzteres um so mehr, als der Holzschnitt gar
nicht im Stande ist, den spezifischen Reiz der Farbe wiederzugeben, und jeder
Versuch dazu ihn nur über die durch seine Natur ihm gesteckten Grenzen
hinaustreibt. Denn Virtuosenstücke der Holzschneidekunst sind mit "Meister¬
werken der Holzschneidekunst" nicht ohne weiteres identisch. Die Leistungs¬
fähigkeit des heutigen Holzschnitts negiren und zurückschrauben zu wollen, kann
niemand in den Sinn kommen. Wenn er es fertig bringt, den schweren seidnen
Rips eines Kleides mit so vollendeter Täuschung niederzugehen, wie ans dem
letzten Bilde unseres Heftes, einem Birtuosenstückchen ersten Ranges, so mag
er das in Gottes Namen thun. Aber hoffentlich wird unser Album niemals
zu den "Meisterwerken" der Xylographie Leistungen rechnen, in denen der Holz¬
schnitt seiner ganzen Natur untreu wird und sich in den völlig vergeblichen
Wettkampf mit Kupferstich oder Radirung einläßt, oder Leistungen, denen man's
ans den ersten Blick ansieht, daß der Holzschneider -- leider auch eine immer
mehr überhandnehmende Unsitte -- es auf dem Holzstocke nicht mit einer
verständigerweise für die Technik des Xylographen berechneten Bleistift-Zeich¬
nung, sondern mit einer Tuschzeichnung oder gar mit einer -- Photographie
zu thun gehabt hat.

Der Text zu den vorliegenden Bildern, dessen Verfasser sich nicht genannt
hat, ist hinnahm-, Phrasen- und fehlerhaft und deshalb nicht nach unserm
Geschmack. Er stammt offenbar aus dilettantischer Feder, die sich zwar den
Anschein gibt, als ob sie Kritik üben könnte, wenn sie nur wollte -- von
Makart heißt es z. B.: "Wir haben von Makart'schen Schwächen weislich (!)
geschwiegen, seine glänzenden Malertugenden zwingen uns zu Dank und
Preis (!)" -- aber doch gar zu leichten Herzens auf den Gebrauch dieser
Fähigkeit verzichtet. Der allgemein verbreiteten Sucht, "Belehrung und Unterhal¬
tung." -- d. h. doch im Grunde Arbeit und Spiel -- mit einander zu verquicken,
dieser Sucht, die sich leider schon in der geistigen Nahrung der Jugend breit
macht und dort natürlich beides verdirbt, den Unterricht wie das Spiel -- die
in unseren Familienjournalen grassirt und die Hauptschuld trägt an der ober¬
flächlichen und anmaßlichen Halbbildung unserer Zeit, ihr kann nicht oft genug
entgegengetreten werden. So würden wir denn auch den "unterhaltenden"
Theil des vorliegenden Textes nicht vermissen, wenn er wegbliebe. Ueber das
Grützner'sche Bild z. B. schreibt der Verfasser: "In ansehnlicher Zahl haben sich


an der nicht minder dominirenden koloristischen Richtung, nach der die deutsche
Malerei lange genug geschmachtet hat, möchte man doch wünschen, daß unser
Album nach der gegenständlichen Seite hin einen gewissen Nachdruck aus das
gegenwärtig mit ungebührlicher Gleichgiltigkeit behandelte Historienbild lege,
nach der technischen Seite hin sich von den extremsten Ausläufern der kolori¬
stischen Richtung fern halte, letzteres um so mehr, als der Holzschnitt gar
nicht im Stande ist, den spezifischen Reiz der Farbe wiederzugeben, und jeder
Versuch dazu ihn nur über die durch seine Natur ihm gesteckten Grenzen
hinaustreibt. Denn Virtuosenstücke der Holzschneidekunst sind mit „Meister¬
werken der Holzschneidekunst" nicht ohne weiteres identisch. Die Leistungs¬
fähigkeit des heutigen Holzschnitts negiren und zurückschrauben zu wollen, kann
niemand in den Sinn kommen. Wenn er es fertig bringt, den schweren seidnen
Rips eines Kleides mit so vollendeter Täuschung niederzugehen, wie ans dem
letzten Bilde unseres Heftes, einem Birtuosenstückchen ersten Ranges, so mag
er das in Gottes Namen thun. Aber hoffentlich wird unser Album niemals
zu den „Meisterwerken" der Xylographie Leistungen rechnen, in denen der Holz¬
schnitt seiner ganzen Natur untreu wird und sich in den völlig vergeblichen
Wettkampf mit Kupferstich oder Radirung einläßt, oder Leistungen, denen man's
ans den ersten Blick ansieht, daß der Holzschneider — leider auch eine immer
mehr überhandnehmende Unsitte — es auf dem Holzstocke nicht mit einer
verständigerweise für die Technik des Xylographen berechneten Bleistift-Zeich¬
nung, sondern mit einer Tuschzeichnung oder gar mit einer — Photographie
zu thun gehabt hat.

Der Text zu den vorliegenden Bildern, dessen Verfasser sich nicht genannt
hat, ist hinnahm-, Phrasen- und fehlerhaft und deshalb nicht nach unserm
Geschmack. Er stammt offenbar aus dilettantischer Feder, die sich zwar den
Anschein gibt, als ob sie Kritik üben könnte, wenn sie nur wollte — von
Makart heißt es z. B.: „Wir haben von Makart'schen Schwächen weislich (!)
geschwiegen, seine glänzenden Malertugenden zwingen uns zu Dank und
Preis (!)" — aber doch gar zu leichten Herzens auf den Gebrauch dieser
Fähigkeit verzichtet. Der allgemein verbreiteten Sucht, „Belehrung und Unterhal¬
tung." — d. h. doch im Grunde Arbeit und Spiel — mit einander zu verquicken,
dieser Sucht, die sich leider schon in der geistigen Nahrung der Jugend breit
macht und dort natürlich beides verdirbt, den Unterricht wie das Spiel — die
in unseren Familienjournalen grassirt und die Hauptschuld trägt an der ober¬
flächlichen und anmaßlichen Halbbildung unserer Zeit, ihr kann nicht oft genug
entgegengetreten werden. So würden wir denn auch den „unterhaltenden"
Theil des vorliegenden Textes nicht vermissen, wenn er wegbliebe. Ueber das
Grützner'sche Bild z. B. schreibt der Verfasser: „In ansehnlicher Zahl haben sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/291>, abgerufen am 26.08.2024.