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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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54, 55, 68, 69 und 70, in der französischen Bearbeitung überhaupt gar nicht
vorkommen, die übrigen neun, im wesentlichen die Geschichte von den Töchtern
des Cid, Donna Sol und Donna Elvira behandelnd, zwar darin vorkommen,
aber trotzdem nicht im Anschluß an sie, sondern an abweichende spanische Ori¬
ginale bearbeitet sind.

Die Frage, warum Herder nach so ungleichwerthigen Quellen gearbeitet, warum
er die französische Quelle, die eine Menge moderner, fremdartiger Elemente
in den Stoff hineingebracht hat, fo auffällig den Originalen gegenüber bevor¬
zugt hat, dürfte nicht schwer zu beantworten sein. Die französische Bearbeitung
beabsichtigte eigentlich im Julihefte von 1783 abzubrechen; sie begnügte sich mit
einem Hinweis auf die Geschichte von den Töchtern des Cid, die sie intürsLSWts,
mais Pas vraissrQdIa,d1s se ä'plus lonAusur ravrtslls nennt. Trotzdem erschien
im Oktoberhefte von 1784 noch der anfangs verschmähte Abschnitt: ZAvirs se
Kot, Wss as <üiä. Wahrscheinlich hat sich nun Herder nach diesem Nachtrag
in der LibliotMHus ass Koins-us gar nicht umgesehen, sondern er suchte sich
für das vermeintlich Fehlende jetzt erst direkt die spanischen Vorlagen zu ver¬
schaffen. Daß er dann, als ihm die Originale vollständig vorlagen, nicht noch
einmal daran ging, die sämmtlichen 53 bereits fertigen Romanzen an der Hand
der Originale umzugestalten, ist sehr erklärlich.

Gänzlich ignorirt kann übrigens Herder die nachträglich in seine Hände
gelangten Originale nicht haben. Es finden sich in denjenigen Partieen, die
durchweg an die französische Vorlage sich anschließen, plötzlich einmal verstreute
Einzelheiten, nach denen man darauf schwören möchte, daß er hier durch die
spanische Quelle zu kleinen nachträglichen Aenderungen veranlaßt worden sei.
In der 5. Romanze bei Herder z. B. wird der Cid geschildert, wie er mit seinen
dreihundert Knappen nach Burgos an den Königshof kommt:


Sins Maulthieren ritten alle,
Er allein auf einem Roß;
Bisamhandschuh' trugen alle,
Er allein den Reiterhandschuh;
Alle reich in Gold und Seide,
Er allein in Waffenwehr.

Die französische Bearbeitung erzählt dafür so: ?vus s'su visimsnt Lur ass
inulss, Roärixus eg.it xlo^ör un, soursisr supsrbs; tous sont vstus as
sois <zus rslsvs 1a risdssss as 1'ör se as broäsi'is, KsäriAns sse pödu
as ehr; tous xortsvt as3 AMts xartUrass, Roäi-iAUS !>, 1s8 raalns nuff.
Dagegen heißt es im spanischen Original:


[Beginn Spaltensatz] ?oäos visrsil oro ssüs,,
Nockrixo vo. bien s,rio!>,i1o;
^'mlok! "kli>!>,nig,8 vsLiäs,",
[Spaltenumbruch]
Alle tragen Gold und Seide,
Wohl bewaffnet kommt Rodrigo;
Alle Schwerter umgegürtet,
[Ende Spaltensatz]

54, 55, 68, 69 und 70, in der französischen Bearbeitung überhaupt gar nicht
vorkommen, die übrigen neun, im wesentlichen die Geschichte von den Töchtern
des Cid, Donna Sol und Donna Elvira behandelnd, zwar darin vorkommen,
aber trotzdem nicht im Anschluß an sie, sondern an abweichende spanische Ori¬
ginale bearbeitet sind.

Die Frage, warum Herder nach so ungleichwerthigen Quellen gearbeitet, warum
er die französische Quelle, die eine Menge moderner, fremdartiger Elemente
in den Stoff hineingebracht hat, fo auffällig den Originalen gegenüber bevor¬
zugt hat, dürfte nicht schwer zu beantworten sein. Die französische Bearbeitung
beabsichtigte eigentlich im Julihefte von 1783 abzubrechen; sie begnügte sich mit
einem Hinweis auf die Geschichte von den Töchtern des Cid, die sie intürsLSWts,
mais Pas vraissrQdIa,d1s se ä'plus lonAusur ravrtslls nennt. Trotzdem erschien
im Oktoberhefte von 1784 noch der anfangs verschmähte Abschnitt: ZAvirs se
Kot, Wss as <üiä. Wahrscheinlich hat sich nun Herder nach diesem Nachtrag
in der LibliotMHus ass Koins-us gar nicht umgesehen, sondern er suchte sich
für das vermeintlich Fehlende jetzt erst direkt die spanischen Vorlagen zu ver¬
schaffen. Daß er dann, als ihm die Originale vollständig vorlagen, nicht noch
einmal daran ging, die sämmtlichen 53 bereits fertigen Romanzen an der Hand
der Originale umzugestalten, ist sehr erklärlich.

Gänzlich ignorirt kann übrigens Herder die nachträglich in seine Hände
gelangten Originale nicht haben. Es finden sich in denjenigen Partieen, die
durchweg an die französische Vorlage sich anschließen, plötzlich einmal verstreute
Einzelheiten, nach denen man darauf schwören möchte, daß er hier durch die
spanische Quelle zu kleinen nachträglichen Aenderungen veranlaßt worden sei.
In der 5. Romanze bei Herder z. B. wird der Cid geschildert, wie er mit seinen
dreihundert Knappen nach Burgos an den Königshof kommt:


Sins Maulthieren ritten alle,
Er allein auf einem Roß;
Bisamhandschuh' trugen alle,
Er allein den Reiterhandschuh;
Alle reich in Gold und Seide,
Er allein in Waffenwehr.

Die französische Bearbeitung erzählt dafür so: ?vus s'su visimsnt Lur ass
inulss, Roärixus eg.it xlo^ör un, soursisr supsrbs; tous sont vstus as
sois <zus rslsvs 1a risdssss as 1'ör se as broäsi'is, KsäriAns sse pödu
as ehr; tous xortsvt as3 AMts xartUrass, Roäi-iAUS !>, 1s8 raalns nuff.
Dagegen heißt es im spanischen Original:


[Beginn Spaltensatz] ?oäos visrsil oro ssüs,,
Nockrixo vo. bien s,rio!>,i1o;
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Wohl bewaffnet kommt Rodrigo;
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[0283] 54, 55, 68, 69 und 70, in der französischen Bearbeitung überhaupt gar nicht vorkommen, die übrigen neun, im wesentlichen die Geschichte von den Töchtern des Cid, Donna Sol und Donna Elvira behandelnd, zwar darin vorkommen, aber trotzdem nicht im Anschluß an sie, sondern an abweichende spanische Ori¬ ginale bearbeitet sind. Die Frage, warum Herder nach so ungleichwerthigen Quellen gearbeitet, warum er die französische Quelle, die eine Menge moderner, fremdartiger Elemente in den Stoff hineingebracht hat, fo auffällig den Originalen gegenüber bevor¬ zugt hat, dürfte nicht schwer zu beantworten sein. Die französische Bearbeitung beabsichtigte eigentlich im Julihefte von 1783 abzubrechen; sie begnügte sich mit einem Hinweis auf die Geschichte von den Töchtern des Cid, die sie intürsLSWts, mais Pas vraissrQdIa,d1s se ä'plus lonAusur ravrtslls nennt. Trotzdem erschien im Oktoberhefte von 1784 noch der anfangs verschmähte Abschnitt: ZAvirs se Kot, Wss as <üiä. Wahrscheinlich hat sich nun Herder nach diesem Nachtrag in der LibliotMHus ass Koins-us gar nicht umgesehen, sondern er suchte sich für das vermeintlich Fehlende jetzt erst direkt die spanischen Vorlagen zu ver¬ schaffen. Daß er dann, als ihm die Originale vollständig vorlagen, nicht noch einmal daran ging, die sämmtlichen 53 bereits fertigen Romanzen an der Hand der Originale umzugestalten, ist sehr erklärlich. Gänzlich ignorirt kann übrigens Herder die nachträglich in seine Hände gelangten Originale nicht haben. Es finden sich in denjenigen Partieen, die durchweg an die französische Vorlage sich anschließen, plötzlich einmal verstreute Einzelheiten, nach denen man darauf schwören möchte, daß er hier durch die spanische Quelle zu kleinen nachträglichen Aenderungen veranlaßt worden sei. In der 5. Romanze bei Herder z. B. wird der Cid geschildert, wie er mit seinen dreihundert Knappen nach Burgos an den Königshof kommt: Sins Maulthieren ritten alle, Er allein auf einem Roß; Bisamhandschuh' trugen alle, Er allein den Reiterhandschuh; Alle reich in Gold und Seide, Er allein in Waffenwehr. Die französische Bearbeitung erzählt dafür so: ?vus s'su visimsnt Lur ass inulss, Roärixus eg.it xlo^ör un, soursisr supsrbs; tous sont vstus as sois <zus rslsvs 1a risdssss as 1'ör se as broäsi'is, KsäriAns sse pödu as ehr; tous xortsvt as3 AMts xartUrass, Roäi-iAUS !>, 1s8 raalns nuff. Dagegen heißt es im spanischen Original: ?oäos visrsil oro ssüs,, Nockrixo vo. bien s,rio!>,i1o; ^'mlok! «kli>!>,nig,8 vsLiäs,«, Alle tragen Gold und Seide, Wohl bewaffnet kommt Rodrigo; Alle Schwerter umgegürtet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/283>, abgerufen am 23.07.2024.