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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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richtiger die Realschule 1. Ordnung ohne Latein, denn eine solche ist sie
eigentlich. Das Interesse des Hauses richtete sich auf die Frage, ob für die tech¬
nischen Beamten eine klassische Bildung gefordert werden solle, wie eine Petition
der Berliner Techniker es wünschte, oder nicht, wie der Handelsminister es
bereits angeordnet hatte. Die niederen Gewerbeschulen kamen so gut wie gar
nicht zur Sprache, und doch sind sie wichtiger als die höheren. Aus diese, auf
die kunstgewerblichen Schulen und auf die Fachschulen mit Lehrwerkstätten
richten sich die Hoffnungen für die Zukunft unseres Gewerbes und unserer
Industrie. Die Denkschrift des Ministeriums hat ihnen die eingehendste Er¬
örterung geschenkt; im Abgeordnetenhause aber wies nur Miquel mit Nachdruck
auf die Handwerkerschulen hin. Wo soll die höhere technische Bildung denn
auch Verwerthung finden, wenn das Handwerk und die Industrie darniederliegt,
welche die Grundlage für den Wohlstand der Nation abgeben müssen? Das
Haus beschloß übrigens, Techniker mit und ohne klassische Bildung in Staats¬
stellungen zuzulassen, sodaß also Gymnasium und Realschule 1. Ordnung mit
und ohne Latein als Vorbereitungsanstalten für die höheren technischen Beamten
gewählt werden können.

Auch der Organisationsplan der Regierung für die technische Hochschule
in Berlin fand die Zustimmung des Abgeordnetenhauses. Danach wird die
"Technische Hochschule" künftighin nach dem Prinzip der Fakultäten an den
Universitäten eingerichtet sein. Sie wird fünf Abtheilungen, Fakultäten, ent¬
halten und zwar für Architektur, Bau-Jugenieurwesen, Maschinenbau, Hütten¬
wesen, allgemeine mathematisch-physikalische Wissenschaften. Jeder Dozent wird
nur einer dieser Abtheilungen angehören können, während sie früher in ver¬
schiedenen Abtheilungen zugleich lehrten. Die Leitung der Hochschule liegt in
den Händen des Senats und des Rektors, die Leitung der Abtheilung führt ein
Abtheilungs-Vorsteher, der von den Dozenten einer Abtheilung jährlich zu
wählen ist, während der Rektor von den gesammten Abtheilungen gewühlt
wird. Der Senat besteht aus dem Rektor, seinem Vorgänger, den Abtheiluugs-
vorstehern, je zwei Senatoren aus jeder Abtheilung und einem Syndikus der
Regierung. Er bildet die Disziplinarbehörde für die Gesammtheit der Studi-
renden. Doch genug -- man sieht, die äußere Organisation ist derjenigen der
Universitäten nachgebildet. Die Regierung gedenkt die Polytechniker zu Han¬
nover und Aachen baldigst in derselben Weise zu organisiren, so daß dann die
preußischen Polytechniker sämmtlich derartige Hochschulen bilden werden. --

Im Zusammenhange mit dem Vorstehenden wollen wir es nicht unter¬
lassen, des großen Fortschritts zu gedenken, den der preußische Minister für
öffentliche Arbeiten jüngst in der glücklichen Lösung der Lehrlingsfrage, der
technischen und sittlichen Erziehung der Arbeiter für die großen Industrien,


Grenzboten I. 1879. 33

richtiger die Realschule 1. Ordnung ohne Latein, denn eine solche ist sie
eigentlich. Das Interesse des Hauses richtete sich auf die Frage, ob für die tech¬
nischen Beamten eine klassische Bildung gefordert werden solle, wie eine Petition
der Berliner Techniker es wünschte, oder nicht, wie der Handelsminister es
bereits angeordnet hatte. Die niederen Gewerbeschulen kamen so gut wie gar
nicht zur Sprache, und doch sind sie wichtiger als die höheren. Aus diese, auf
die kunstgewerblichen Schulen und auf die Fachschulen mit Lehrwerkstätten
richten sich die Hoffnungen für die Zukunft unseres Gewerbes und unserer
Industrie. Die Denkschrift des Ministeriums hat ihnen die eingehendste Er¬
örterung geschenkt; im Abgeordnetenhause aber wies nur Miquel mit Nachdruck
auf die Handwerkerschulen hin. Wo soll die höhere technische Bildung denn
auch Verwerthung finden, wenn das Handwerk und die Industrie darniederliegt,
welche die Grundlage für den Wohlstand der Nation abgeben müssen? Das
Haus beschloß übrigens, Techniker mit und ohne klassische Bildung in Staats¬
stellungen zuzulassen, sodaß also Gymnasium und Realschule 1. Ordnung mit
und ohne Latein als Vorbereitungsanstalten für die höheren technischen Beamten
gewählt werden können.

Auch der Organisationsplan der Regierung für die technische Hochschule
in Berlin fand die Zustimmung des Abgeordnetenhauses. Danach wird die
„Technische Hochschule" künftighin nach dem Prinzip der Fakultäten an den
Universitäten eingerichtet sein. Sie wird fünf Abtheilungen, Fakultäten, ent¬
halten und zwar für Architektur, Bau-Jugenieurwesen, Maschinenbau, Hütten¬
wesen, allgemeine mathematisch-physikalische Wissenschaften. Jeder Dozent wird
nur einer dieser Abtheilungen angehören können, während sie früher in ver¬
schiedenen Abtheilungen zugleich lehrten. Die Leitung der Hochschule liegt in
den Händen des Senats und des Rektors, die Leitung der Abtheilung führt ein
Abtheilungs-Vorsteher, der von den Dozenten einer Abtheilung jährlich zu
wählen ist, während der Rektor von den gesammten Abtheilungen gewühlt
wird. Der Senat besteht aus dem Rektor, seinem Vorgänger, den Abtheiluugs-
vorstehern, je zwei Senatoren aus jeder Abtheilung und einem Syndikus der
Regierung. Er bildet die Disziplinarbehörde für die Gesammtheit der Studi-
renden. Doch genug — man sieht, die äußere Organisation ist derjenigen der
Universitäten nachgebildet. Die Regierung gedenkt die Polytechniker zu Han¬
nover und Aachen baldigst in derselben Weise zu organisiren, so daß dann die
preußischen Polytechniker sämmtlich derartige Hochschulen bilden werden. —

Im Zusammenhange mit dem Vorstehenden wollen wir es nicht unter¬
lassen, des großen Fortschritts zu gedenken, den der preußische Minister für
öffentliche Arbeiten jüngst in der glücklichen Lösung der Lehrlingsfrage, der
technischen und sittlichen Erziehung der Arbeiter für die großen Industrien,


Grenzboten I. 1879. 33
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/261>, abgerufen am 25.08.2024.