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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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über der Natur und seiue Virtuosität in der Behandlung und Verwerthung
des Lichts und des Helldunkels, in welcher der Realist seine Poesie sucht.

Alle diese Vorzüge und eine Reihe anderer, denen wir auf verschiedenen
Blättern von Menzel's Hand zerstreut begegnen, finden sich auf einem Werke
vereinigt, das vor kurzem erst das Atelier des Meisters verlassen hat und in
Privatbesitz übergegangen ist. Seit Michel Angelo's Zeit hat niemals ein
Künstler in einem Alter, wo anderen die zitternde Hand nicht mehr folgte, ein
Werk vollendet, in welchem sich eine Kraft von gleicher Jugendfrische offenbart.
Und niemals zuvor hat ein Maler die technischen Probleme, welche das Licht
und die Wiedergabe der Lichtquellen dem Künstler stellen, so glänzend gelöst.

Das Bild ist nur vou mäßigem Umfange, sechzig Zentimeter breit und
fünfzig hoch. Aber auf diesem engen Raume hat Menzel ein unvergleichlich
treues kulturhistorisches Porträt von der Gesellschaft seiner Zeit entworfen,
das mit den lebensprühenden Portrütsgruppen, welche Rembrandt als charak¬
tervollste Denkmale seiner Zeit hinterlassen hat, und mit den köstlichen Sitten¬
bildern der flandrischen und holländischen Genremaler auf gleicher Höhe steht.
Um wie viel sich aber die Gesellschaft des neunzehnte!: Jahrhunderts von der
des siebzehnten unterscheidet, um so viel höher steht das Bild des modernen
Meisters über denen der alten. Eine fröhliche Gesellschaft, die zehn oder zwölf
Köpfe zählt, um einen Tisch gruppirt, eine Versammlung gelehrter Professoren,
ein Dutzend Schützenbruder in ihren Galakleidern -- das gab ehemals den
Stoff für drei solcher kulturgeschichtlichen Bilder. Unser Maler faßt hingegen
die ganze moderne Gesellschaft in ihrer bunt schillernden Vielgestaltigkeit auf
einem Bilde zu einer malerischen Wirkung zusammen, die in der gestimmten
neueren Kunst ihres Gleichen sucht.

Ein Hofball im königlichen Schlosse zu Berlin hat dem Maler die Motive
für sein Bild geliehen, und damit ihm Niemand wieder den Vorwurf zeremo¬
nieller Trockenheit mache, hat er den Moment gewählt, der alle Regeln des
Zeremoniells über den Haufen wirft, alle Bande frommer Scheu löst -- die
Ballpause und den Sturm auf die Büffels. Nur ein Maler vou der Kraft
und der Kühnheit eines Menzel war im Stande, einen solchen Moment künst¬
lerisch zu bewältigen und in allen seinen Phasen künstlerisch zu veranschaulichen.

Der Schauplatz, auf dem sich die zahllose Menge der Figuren des Bildes
hin und her schiebt, drängt und stößt -- von eigentlicher, planmäßiger Bewe¬
gung ist kaum die Rede -- ist ein Saal von mittlerer Größe und eine darin
mündende Galerie, welche den Fond des Gemäldes einnimmt. In dieser
Galerie ist das reich mit kostbaren Gefäßen aus Silber und Krystall besetzte
Büffet aufgestellt, auf welches mächtige Kronleuchter ihr strahlendes Licht er¬
gießen. Im Hintergründe tobt der Kampf am stärksten. Man sieht ein Meer


über der Natur und seiue Virtuosität in der Behandlung und Verwerthung
des Lichts und des Helldunkels, in welcher der Realist seine Poesie sucht.

Alle diese Vorzüge und eine Reihe anderer, denen wir auf verschiedenen
Blättern von Menzel's Hand zerstreut begegnen, finden sich auf einem Werke
vereinigt, das vor kurzem erst das Atelier des Meisters verlassen hat und in
Privatbesitz übergegangen ist. Seit Michel Angelo's Zeit hat niemals ein
Künstler in einem Alter, wo anderen die zitternde Hand nicht mehr folgte, ein
Werk vollendet, in welchem sich eine Kraft von gleicher Jugendfrische offenbart.
Und niemals zuvor hat ein Maler die technischen Probleme, welche das Licht
und die Wiedergabe der Lichtquellen dem Künstler stellen, so glänzend gelöst.

Das Bild ist nur vou mäßigem Umfange, sechzig Zentimeter breit und
fünfzig hoch. Aber auf diesem engen Raume hat Menzel ein unvergleichlich
treues kulturhistorisches Porträt von der Gesellschaft seiner Zeit entworfen,
das mit den lebensprühenden Portrütsgruppen, welche Rembrandt als charak¬
tervollste Denkmale seiner Zeit hinterlassen hat, und mit den köstlichen Sitten¬
bildern der flandrischen und holländischen Genremaler auf gleicher Höhe steht.
Um wie viel sich aber die Gesellschaft des neunzehnte!: Jahrhunderts von der
des siebzehnten unterscheidet, um so viel höher steht das Bild des modernen
Meisters über denen der alten. Eine fröhliche Gesellschaft, die zehn oder zwölf
Köpfe zählt, um einen Tisch gruppirt, eine Versammlung gelehrter Professoren,
ein Dutzend Schützenbruder in ihren Galakleidern — das gab ehemals den
Stoff für drei solcher kulturgeschichtlichen Bilder. Unser Maler faßt hingegen
die ganze moderne Gesellschaft in ihrer bunt schillernden Vielgestaltigkeit auf
einem Bilde zu einer malerischen Wirkung zusammen, die in der gestimmten
neueren Kunst ihres Gleichen sucht.

Ein Hofball im königlichen Schlosse zu Berlin hat dem Maler die Motive
für sein Bild geliehen, und damit ihm Niemand wieder den Vorwurf zeremo¬
nieller Trockenheit mache, hat er den Moment gewählt, der alle Regeln des
Zeremoniells über den Haufen wirft, alle Bande frommer Scheu löst — die
Ballpause und den Sturm auf die Büffels. Nur ein Maler vou der Kraft
und der Kühnheit eines Menzel war im Stande, einen solchen Moment künst¬
lerisch zu bewältigen und in allen seinen Phasen künstlerisch zu veranschaulichen.

Der Schauplatz, auf dem sich die zahllose Menge der Figuren des Bildes
hin und her schiebt, drängt und stößt — von eigentlicher, planmäßiger Bewe¬
gung ist kaum die Rede — ist ein Saal von mittlerer Größe und eine darin
mündende Galerie, welche den Fond des Gemäldes einnimmt. In dieser
Galerie ist das reich mit kostbaren Gefäßen aus Silber und Krystall besetzte
Büffet aufgestellt, auf welches mächtige Kronleuchter ihr strahlendes Licht er¬
gießen. Im Hintergründe tobt der Kampf am stärksten. Man sieht ein Meer


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[0240] über der Natur und seiue Virtuosität in der Behandlung und Verwerthung des Lichts und des Helldunkels, in welcher der Realist seine Poesie sucht. Alle diese Vorzüge und eine Reihe anderer, denen wir auf verschiedenen Blättern von Menzel's Hand zerstreut begegnen, finden sich auf einem Werke vereinigt, das vor kurzem erst das Atelier des Meisters verlassen hat und in Privatbesitz übergegangen ist. Seit Michel Angelo's Zeit hat niemals ein Künstler in einem Alter, wo anderen die zitternde Hand nicht mehr folgte, ein Werk vollendet, in welchem sich eine Kraft von gleicher Jugendfrische offenbart. Und niemals zuvor hat ein Maler die technischen Probleme, welche das Licht und die Wiedergabe der Lichtquellen dem Künstler stellen, so glänzend gelöst. Das Bild ist nur vou mäßigem Umfange, sechzig Zentimeter breit und fünfzig hoch. Aber auf diesem engen Raume hat Menzel ein unvergleichlich treues kulturhistorisches Porträt von der Gesellschaft seiner Zeit entworfen, das mit den lebensprühenden Portrütsgruppen, welche Rembrandt als charak¬ tervollste Denkmale seiner Zeit hinterlassen hat, und mit den köstlichen Sitten¬ bildern der flandrischen und holländischen Genremaler auf gleicher Höhe steht. Um wie viel sich aber die Gesellschaft des neunzehnte!: Jahrhunderts von der des siebzehnten unterscheidet, um so viel höher steht das Bild des modernen Meisters über denen der alten. Eine fröhliche Gesellschaft, die zehn oder zwölf Köpfe zählt, um einen Tisch gruppirt, eine Versammlung gelehrter Professoren, ein Dutzend Schützenbruder in ihren Galakleidern — das gab ehemals den Stoff für drei solcher kulturgeschichtlichen Bilder. Unser Maler faßt hingegen die ganze moderne Gesellschaft in ihrer bunt schillernden Vielgestaltigkeit auf einem Bilde zu einer malerischen Wirkung zusammen, die in der gestimmten neueren Kunst ihres Gleichen sucht. Ein Hofball im königlichen Schlosse zu Berlin hat dem Maler die Motive für sein Bild geliehen, und damit ihm Niemand wieder den Vorwurf zeremo¬ nieller Trockenheit mache, hat er den Moment gewählt, der alle Regeln des Zeremoniells über den Haufen wirft, alle Bande frommer Scheu löst — die Ballpause und den Sturm auf die Büffels. Nur ein Maler vou der Kraft und der Kühnheit eines Menzel war im Stande, einen solchen Moment künst¬ lerisch zu bewältigen und in allen seinen Phasen künstlerisch zu veranschaulichen. Der Schauplatz, auf dem sich die zahllose Menge der Figuren des Bildes hin und her schiebt, drängt und stößt — von eigentlicher, planmäßiger Bewe¬ gung ist kaum die Rede — ist ein Saal von mittlerer Größe und eine darin mündende Galerie, welche den Fond des Gemäldes einnimmt. In dieser Galerie ist das reich mit kostbaren Gefäßen aus Silber und Krystall besetzte Büffet aufgestellt, auf welches mächtige Kronleuchter ihr strahlendes Licht er¬ gießen. Im Hintergründe tobt der Kampf am stärksten. Man sieht ein Meer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/240>, abgerufen am 23.07.2024.