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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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inneren Thore kampffertig aufgestellt. Indem kommt die Kunde, Lippaj selber
sei am niederen Thore erschienen, fordere eine Unterredung mit Lassota und biete
Stillstand zu einer solchen an. Da geht ihm zwar der kaiserliche Offizier bis
auf die Zugbrücke entgegen, zieht sich aber nach einer stummen Verbeugung
wieder zurück. Aber am selben Thore hat sich auch eine größere Zahl magya¬
rischer Bürger versammelt: sie erklären Lassota, da man dem Jnsurgentenfnhrer
versprochen, ihn mit 30 Mann einzulassen, so müsse das uun auch geschehen.
Umsonst protestirt Lassota, befiehlt, das Thor gesperrt zu halten, bis er die
deutschen Knechte vom oberen Thore herbeigeholt habe, und eilt ihnen hastig
entgegen. Währenddem aber werden die ungarischen Bürger mit Lippaj han¬
delseinig, und durch das geöffnete Thor dringt der General mit 100 Mann
in die überraschte Stadt. Noch wäre nichts verloren gewesen, wenn Lassota
mit voller Kraft sich ihm entgegengeworfen hätte, und wirklich treffen an der
Pfarrkirche die deutschen Knechte unter Isla mit Lippaj's Ungarn zusammen.
Beide Theile machen sich zum Kampfe fertig, aber die Deutschen müssen sich
sagen, daß ein augenblicklicher Erfolg über die Handvoll Ungarn nichts ent¬
scheiden, sondern nur die Rache des starken vor der Stadt stehenden Korps
auf sie herabziehen werde; sie sichern deshalb dem Jnsnrgentenführer sicheres
Geleit zu und begnügen sich damit, das frühere Quartier Belgiojoso's wie das
gefüllte Zeughaus zu besetzen.

Noch war formell nichts abgeschlossen, doch die Ungarn zögerten nicht, die
thatsächliche Gunst der Lage für sich zu benutzen. Im Hause Georg Zabo's,
wo Lippaj sein Quartier genommen, versammelten sich die vornehmsten unga¬
rischen Bürger, an ihrer Spitze Stephan Hertzog, und verständigten sich mit
ihm über eiuen Vertrag, den sie ohne Vollmacht dazu zu haben "im Namen
gemeiner Stadt" eingingen; die Stadt wurde Bocskay übergeben, die deutschen
fanden und Knechte sollten freien Abzug erhalten.

So fiel der wichtigste Platz ganz Ober-Ungarn's kampflos in Feindes
Hand. Nicht der deutsche Rath, der ja um Neutralität sich bemüht hatte, voll¬
zog die Uebergabe, sondern der magyarische Theil der Bürgerschaft, deren
Führer sich schon vorher mit den Insurgenten in Verbindung gesetzt hatten.
Die deutschen Bürger und die kaiserlichen Beamten fügten sich der vollendeten
Thatsache. Diese nahmen das freie Geleit an, das ihnen bei der Kapitulation
in Aussicht gestellt worden war, und verließen nach Abdankung der Knechte
des deutschen Fabricius am 1. November die Stadt, ein Zug von 12 Wagen
und 90 Menschen, unter ihnen auch Lassota und Dnckart. Als sie aber bis
in die Nähe von Zehen gelangt waren, wurden sie durch ihre eigene Geleits¬
mannschaft überfallen, geplündert, niedergehauen oder gefangen, dann Lassota
und Duckart nach Polen entlassen.


inneren Thore kampffertig aufgestellt. Indem kommt die Kunde, Lippaj selber
sei am niederen Thore erschienen, fordere eine Unterredung mit Lassota und biete
Stillstand zu einer solchen an. Da geht ihm zwar der kaiserliche Offizier bis
auf die Zugbrücke entgegen, zieht sich aber nach einer stummen Verbeugung
wieder zurück. Aber am selben Thore hat sich auch eine größere Zahl magya¬
rischer Bürger versammelt: sie erklären Lassota, da man dem Jnsurgentenfnhrer
versprochen, ihn mit 30 Mann einzulassen, so müsse das uun auch geschehen.
Umsonst protestirt Lassota, befiehlt, das Thor gesperrt zu halten, bis er die
deutschen Knechte vom oberen Thore herbeigeholt habe, und eilt ihnen hastig
entgegen. Währenddem aber werden die ungarischen Bürger mit Lippaj han¬
delseinig, und durch das geöffnete Thor dringt der General mit 100 Mann
in die überraschte Stadt. Noch wäre nichts verloren gewesen, wenn Lassota
mit voller Kraft sich ihm entgegengeworfen hätte, und wirklich treffen an der
Pfarrkirche die deutschen Knechte unter Isla mit Lippaj's Ungarn zusammen.
Beide Theile machen sich zum Kampfe fertig, aber die Deutschen müssen sich
sagen, daß ein augenblicklicher Erfolg über die Handvoll Ungarn nichts ent¬
scheiden, sondern nur die Rache des starken vor der Stadt stehenden Korps
auf sie herabziehen werde; sie sichern deshalb dem Jnsnrgentenführer sicheres
Geleit zu und begnügen sich damit, das frühere Quartier Belgiojoso's wie das
gefüllte Zeughaus zu besetzen.

Noch war formell nichts abgeschlossen, doch die Ungarn zögerten nicht, die
thatsächliche Gunst der Lage für sich zu benutzen. Im Hause Georg Zabo's,
wo Lippaj sein Quartier genommen, versammelten sich die vornehmsten unga¬
rischen Bürger, an ihrer Spitze Stephan Hertzog, und verständigten sich mit
ihm über eiuen Vertrag, den sie ohne Vollmacht dazu zu haben „im Namen
gemeiner Stadt" eingingen; die Stadt wurde Bocskay übergeben, die deutschen
fanden und Knechte sollten freien Abzug erhalten.

So fiel der wichtigste Platz ganz Ober-Ungarn's kampflos in Feindes
Hand. Nicht der deutsche Rath, der ja um Neutralität sich bemüht hatte, voll¬
zog die Uebergabe, sondern der magyarische Theil der Bürgerschaft, deren
Führer sich schon vorher mit den Insurgenten in Verbindung gesetzt hatten.
Die deutschen Bürger und die kaiserlichen Beamten fügten sich der vollendeten
Thatsache. Diese nahmen das freie Geleit an, das ihnen bei der Kapitulation
in Aussicht gestellt worden war, und verließen nach Abdankung der Knechte
des deutschen Fabricius am 1. November die Stadt, ein Zug von 12 Wagen
und 90 Menschen, unter ihnen auch Lassota und Dnckart. Als sie aber bis
in die Nähe von Zehen gelangt waren, wurden sie durch ihre eigene Geleits¬
mannschaft überfallen, geplündert, niedergehauen oder gefangen, dann Lassota
und Duckart nach Polen entlassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/234>, abgerufen am 23.07.2024.