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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Der Kaiserlichen also war Kaschau ledig, denn auch ein letzter Versuch
Lassota's, es zur Aufnahme der vier Arkebusierabtheilungen zu bewegen, wurde
rundweg abgewiesen, obwohl die Reiter fast alle Lutheraner waren und nur
aus militärischem Gehorsam bei der Wegnahme der Kirche mitgewirkt hatten.
Aber schon zog eine andere, kaum geringere Gefahr heran: die Insurgenten
standen uuter Blasius (Balkasch) Lippaj nur noch wenige Meilen von der Stadt.

Es kann keinem Zweifel unterliegen: jene Zusicherungen der Bürgerschaft,
dem Kaiser tren zu bleiben, waren wenigstens seiten der Deutschen ganz auf¬
richtig gemeint. Was sie wollten, hatten sie erreicht. Für die kaiserliche Be¬
satzung eine ungarische einzutauschen, sich Stephan Bocskay anzuschließen und
so die Rache der kaiserlichen Partei herauszufordern, das lag nicht im mindesten
in ihrem Interesse. Ebensowenig freilich war von der Bürgerschaft, die sehr
wohl wußte, daß nur die bitterste Noth den kaiserlichen Behörden jene Kon¬
zessionen abgezwungen, und daß sie schwerlich länger beobachtet werden würden,
als diese Noth währte, ein kräftiges Eintreten für den Kaiser, eine selbständige
Vertheidigung der Stadt zu erwarten. Das Vortheilhasteste sür sie war un¬
zweifelhaft eine wenigstens thatsächliche Neutralität, Freiheit namentlich von
jeder Besatzung. Darauf ging auch das Streben des Rathes. Aber allerdings
ein beträchtlicher Theil der Bevölkerung gehörte derselben Nationalität an wie
die Aufständischen, und wenn die deutschen Kaschauer keine nationalen Sym-
pathieen für die Magyaren hatten, höchstens kirchlich sich ihnen verbunden fühlten,
bei ihren ungarischen Mitbürgern flössen beiderlei Sympathieen zusammen, und
dann war doch sehr die Frage, ob ihr Eid sie genügend an den Kaiser sesseln
werde, der ein Deutscher und ein Katholik war.

Schon im Laufe der Verhandlungen mit den Vertretern Belgiojoso's waren
bedenkliche Anzeichen von der Stimmung der magyarischen Bevölkerung hervor¬
getreten. Johannes Bocatius hatte gegenüber Rottwitz nur für die Deutschen
einstehen zu können erklärt, und wenn dann auch die ungarischen Zünfte sich
dem Kaiser neu verpflichtet hatten, so erfuhr doch Lafsota von geheimen "Prak¬
tiken" wider das deutsche Kriegsvolk und die Bürgerschaft genug, um auf der Hut
zu sein. Jedenfalls standen schon einzelne magyarische Bürger mit den Rebellen
in geheimem Einvernehmen. Da war Stephan Hertzog (Hertzeg Jstvmi), Mit¬
glied des Rathes, am Tage der Niederlage von Adorian bei ihnen in KMo
gewesen, Paul Zebeuy kurz nachher, und der letztere hatte sich dann auch in
der Stadt vernehmen lassen, es werde bald besser werden als man hoffe. Jetzt
rückten ihre Landsleute und Glaubensgenossen siegreich heran. Schon am
Abend des 27. Oktober lief die Kunde ein: Blasius Lippaj sei mit 8000 Mann
über die Theiß gesetzt, ziehe auf Kaschau, Bocskay selbst stehe an der Theiß,
das Landvolk sei allerorten im hellen Aufstande.


Der Kaiserlichen also war Kaschau ledig, denn auch ein letzter Versuch
Lassota's, es zur Aufnahme der vier Arkebusierabtheilungen zu bewegen, wurde
rundweg abgewiesen, obwohl die Reiter fast alle Lutheraner waren und nur
aus militärischem Gehorsam bei der Wegnahme der Kirche mitgewirkt hatten.
Aber schon zog eine andere, kaum geringere Gefahr heran: die Insurgenten
standen uuter Blasius (Balkasch) Lippaj nur noch wenige Meilen von der Stadt.

Es kann keinem Zweifel unterliegen: jene Zusicherungen der Bürgerschaft,
dem Kaiser tren zu bleiben, waren wenigstens seiten der Deutschen ganz auf¬
richtig gemeint. Was sie wollten, hatten sie erreicht. Für die kaiserliche Be¬
satzung eine ungarische einzutauschen, sich Stephan Bocskay anzuschließen und
so die Rache der kaiserlichen Partei herauszufordern, das lag nicht im mindesten
in ihrem Interesse. Ebensowenig freilich war von der Bürgerschaft, die sehr
wohl wußte, daß nur die bitterste Noth den kaiserlichen Behörden jene Kon¬
zessionen abgezwungen, und daß sie schwerlich länger beobachtet werden würden,
als diese Noth währte, ein kräftiges Eintreten für den Kaiser, eine selbständige
Vertheidigung der Stadt zu erwarten. Das Vortheilhasteste sür sie war un¬
zweifelhaft eine wenigstens thatsächliche Neutralität, Freiheit namentlich von
jeder Besatzung. Darauf ging auch das Streben des Rathes. Aber allerdings
ein beträchtlicher Theil der Bevölkerung gehörte derselben Nationalität an wie
die Aufständischen, und wenn die deutschen Kaschauer keine nationalen Sym-
pathieen für die Magyaren hatten, höchstens kirchlich sich ihnen verbunden fühlten,
bei ihren ungarischen Mitbürgern flössen beiderlei Sympathieen zusammen, und
dann war doch sehr die Frage, ob ihr Eid sie genügend an den Kaiser sesseln
werde, der ein Deutscher und ein Katholik war.

Schon im Laufe der Verhandlungen mit den Vertretern Belgiojoso's waren
bedenkliche Anzeichen von der Stimmung der magyarischen Bevölkerung hervor¬
getreten. Johannes Bocatius hatte gegenüber Rottwitz nur für die Deutschen
einstehen zu können erklärt, und wenn dann auch die ungarischen Zünfte sich
dem Kaiser neu verpflichtet hatten, so erfuhr doch Lafsota von geheimen „Prak¬
tiken" wider das deutsche Kriegsvolk und die Bürgerschaft genug, um auf der Hut
zu sein. Jedenfalls standen schon einzelne magyarische Bürger mit den Rebellen
in geheimem Einvernehmen. Da war Stephan Hertzog (Hertzeg Jstvmi), Mit¬
glied des Rathes, am Tage der Niederlage von Adorian bei ihnen in KMo
gewesen, Paul Zebeuy kurz nachher, und der letztere hatte sich dann auch in
der Stadt vernehmen lassen, es werde bald besser werden als man hoffe. Jetzt
rückten ihre Landsleute und Glaubensgenossen siegreich heran. Schon am
Abend des 27. Oktober lief die Kunde ein: Blasius Lippaj sei mit 8000 Mann
über die Theiß gesetzt, ziehe auf Kaschau, Bocskay selbst stehe an der Theiß,
das Landvolk sei allerorten im hellen Aufstande.


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[0231] Der Kaiserlichen also war Kaschau ledig, denn auch ein letzter Versuch Lassota's, es zur Aufnahme der vier Arkebusierabtheilungen zu bewegen, wurde rundweg abgewiesen, obwohl die Reiter fast alle Lutheraner waren und nur aus militärischem Gehorsam bei der Wegnahme der Kirche mitgewirkt hatten. Aber schon zog eine andere, kaum geringere Gefahr heran: die Insurgenten standen uuter Blasius (Balkasch) Lippaj nur noch wenige Meilen von der Stadt. Es kann keinem Zweifel unterliegen: jene Zusicherungen der Bürgerschaft, dem Kaiser tren zu bleiben, waren wenigstens seiten der Deutschen ganz auf¬ richtig gemeint. Was sie wollten, hatten sie erreicht. Für die kaiserliche Be¬ satzung eine ungarische einzutauschen, sich Stephan Bocskay anzuschließen und so die Rache der kaiserlichen Partei herauszufordern, das lag nicht im mindesten in ihrem Interesse. Ebensowenig freilich war von der Bürgerschaft, die sehr wohl wußte, daß nur die bitterste Noth den kaiserlichen Behörden jene Kon¬ zessionen abgezwungen, und daß sie schwerlich länger beobachtet werden würden, als diese Noth währte, ein kräftiges Eintreten für den Kaiser, eine selbständige Vertheidigung der Stadt zu erwarten. Das Vortheilhasteste sür sie war un¬ zweifelhaft eine wenigstens thatsächliche Neutralität, Freiheit namentlich von jeder Besatzung. Darauf ging auch das Streben des Rathes. Aber allerdings ein beträchtlicher Theil der Bevölkerung gehörte derselben Nationalität an wie die Aufständischen, und wenn die deutschen Kaschauer keine nationalen Sym- pathieen für die Magyaren hatten, höchstens kirchlich sich ihnen verbunden fühlten, bei ihren ungarischen Mitbürgern flössen beiderlei Sympathieen zusammen, und dann war doch sehr die Frage, ob ihr Eid sie genügend an den Kaiser sesseln werde, der ein Deutscher und ein Katholik war. Schon im Laufe der Verhandlungen mit den Vertretern Belgiojoso's waren bedenkliche Anzeichen von der Stimmung der magyarischen Bevölkerung hervor¬ getreten. Johannes Bocatius hatte gegenüber Rottwitz nur für die Deutschen einstehen zu können erklärt, und wenn dann auch die ungarischen Zünfte sich dem Kaiser neu verpflichtet hatten, so erfuhr doch Lafsota von geheimen „Prak¬ tiken" wider das deutsche Kriegsvolk und die Bürgerschaft genug, um auf der Hut zu sein. Jedenfalls standen schon einzelne magyarische Bürger mit den Rebellen in geheimem Einvernehmen. Da war Stephan Hertzog (Hertzeg Jstvmi), Mit¬ glied des Rathes, am Tage der Niederlage von Adorian bei ihnen in KMo gewesen, Paul Zebeuy kurz nachher, und der letztere hatte sich dann auch in der Stadt vernehmen lassen, es werde bald besser werden als man hoffe. Jetzt rückten ihre Landsleute und Glaubensgenossen siegreich heran. Schon am Abend des 27. Oktober lief die Kunde ein: Blasius Lippaj sei mit 8000 Mann über die Theiß gesetzt, ziehe auf Kaschau, Bocskay selbst stehe an der Theiß, das Landvolk sei allerorten im hellen Aufstande.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/231>, abgerufen am 24.07.2024.