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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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kann. Besonders deutschen Spezialkarten gegenüber, die mit ihren oft er¬
drückenden Details bei verhältnißmäßig kleinem Maßstabe das Aufsuchen er¬
schweren, sällt dieser Vorzug angenehm auf.

Wie aber ist nun der Text selbst beschaffen? Was zunächst die Darstel¬
lung betrifft, so zeigt sich überall in ihr der formgewandte, elegante, scharf ent¬
gegensetzende Franzose. Ohne in eine feuilletonistische Geziertheit zu verfallen,
fließt sie ruhig und leicht dahin, vermeidet allen Wortschwall und alle über¬
flüssige Breite, entbehrt aber doch nicht des Schwunges und der Wärme, wo
es der Stoff erfordert. Ein besonderer Vorzug liegt darin, daß auch die geolo¬
gischen und sonstigen mehr fachmäßigen Bemerkungen in eine leichtfaßliche
Form gebracht sind.

Ueber die Auswahl und Anordnung des Stoffes spricht sich Reclus in
einem kurzen Vorwort zum ersten Bande selbst aus; und da dieses den
Autor nicht nur in seinen geographischen Auffassungen, fondern auch ge¬
wissermaßen in seinen ethischen Eigenschaften zu kennzeichnen im Stande ist,
so lassen wir für diesmal zum Schluß einige Stellen daraus hier folgen. "Ich
habe die Absicht," schreibt er, "alle Gegenden der Erde zu beschreiben und den
Augen des Lesers so vorzuführen, als wenn es mir vergönnt gewesen wäre, sie
selbst zu durchreisen und sie von verschiedenen Standpunkten zu betrachten; aber
im Vergleich zum einzelnen Menschen ist die Erde ohne Grenzen, und nur durch
Vermittelung der Reisenden habe ich die unendliche Folge von Landschaften der
Erde entrollen können. Jedenfalls habe ich versucht, meinen Führern nicht
blindlings zu folgen, und mich bemüht, durch unausgesetzte Lektüre die Beschrei¬
bungen und Berichte zu kontrvliren. Ehe ich fremde Worte wiedergab, war ich
immer darauf bedacht, mir sorgfältig Rechenschaft davon zu geben, und ließ so
die Natur vor mir sich reproduziren. Aber diese Natur selbst verändert be¬
stündig die von ihr ernährten Menschen. Die inneren Bewegungen heben und
senken die Gebirge, die laufenden Gewässer räumen Schutt vom Boden weg
und führen ihn zum Meere, die Fluthen untergraben die steilen Abhänge und
bauen die Archipele wieder auf, Lebendes wimmelt in den Gewässern und er¬
neuert immer die Oberfläche der Erde: endlich verändern die Völker durch
Ackerbau, Industrie, Verkehrsstraßen den Anblick und die UrVerhältnisse ihrer
Kontinente, sowie sie nicht aufhören, sich selbst durch Wanderungen und Kreu¬
zungen umzubilden. Die Veränderlichkeit von allem, was uns umgibt, ist
eine unaufhörliche, und doch muß man es versuchen, eine Vorstellung davon zu
erwecken, das eigentliche und das sich verändernde Wesen zu kennzeichnen. Ich
versuchte bereits in dem Buch "die Erde", welches gewissermaßen die Einleitung
zu dem vorliegenden Werke bildet, alle wichtigen Vorgänge auf der Erdober¬
fläche zu schildern; jetzt handelt es sich darum, ihnen in den Einzelheiten durch


kann. Besonders deutschen Spezialkarten gegenüber, die mit ihren oft er¬
drückenden Details bei verhältnißmäßig kleinem Maßstabe das Aufsuchen er¬
schweren, sällt dieser Vorzug angenehm auf.

Wie aber ist nun der Text selbst beschaffen? Was zunächst die Darstel¬
lung betrifft, so zeigt sich überall in ihr der formgewandte, elegante, scharf ent¬
gegensetzende Franzose. Ohne in eine feuilletonistische Geziertheit zu verfallen,
fließt sie ruhig und leicht dahin, vermeidet allen Wortschwall und alle über¬
flüssige Breite, entbehrt aber doch nicht des Schwunges und der Wärme, wo
es der Stoff erfordert. Ein besonderer Vorzug liegt darin, daß auch die geolo¬
gischen und sonstigen mehr fachmäßigen Bemerkungen in eine leichtfaßliche
Form gebracht sind.

Ueber die Auswahl und Anordnung des Stoffes spricht sich Reclus in
einem kurzen Vorwort zum ersten Bande selbst aus; und da dieses den
Autor nicht nur in seinen geographischen Auffassungen, fondern auch ge¬
wissermaßen in seinen ethischen Eigenschaften zu kennzeichnen im Stande ist,
so lassen wir für diesmal zum Schluß einige Stellen daraus hier folgen. „Ich
habe die Absicht," schreibt er, „alle Gegenden der Erde zu beschreiben und den
Augen des Lesers so vorzuführen, als wenn es mir vergönnt gewesen wäre, sie
selbst zu durchreisen und sie von verschiedenen Standpunkten zu betrachten; aber
im Vergleich zum einzelnen Menschen ist die Erde ohne Grenzen, und nur durch
Vermittelung der Reisenden habe ich die unendliche Folge von Landschaften der
Erde entrollen können. Jedenfalls habe ich versucht, meinen Führern nicht
blindlings zu folgen, und mich bemüht, durch unausgesetzte Lektüre die Beschrei¬
bungen und Berichte zu kontrvliren. Ehe ich fremde Worte wiedergab, war ich
immer darauf bedacht, mir sorgfältig Rechenschaft davon zu geben, und ließ so
die Natur vor mir sich reproduziren. Aber diese Natur selbst verändert be¬
stündig die von ihr ernährten Menschen. Die inneren Bewegungen heben und
senken die Gebirge, die laufenden Gewässer räumen Schutt vom Boden weg
und führen ihn zum Meere, die Fluthen untergraben die steilen Abhänge und
bauen die Archipele wieder auf, Lebendes wimmelt in den Gewässern und er¬
neuert immer die Oberfläche der Erde: endlich verändern die Völker durch
Ackerbau, Industrie, Verkehrsstraßen den Anblick und die UrVerhältnisse ihrer
Kontinente, sowie sie nicht aufhören, sich selbst durch Wanderungen und Kreu¬
zungen umzubilden. Die Veränderlichkeit von allem, was uns umgibt, ist
eine unaufhörliche, und doch muß man es versuchen, eine Vorstellung davon zu
erwecken, das eigentliche und das sich verändernde Wesen zu kennzeichnen. Ich
versuchte bereits in dem Buch „die Erde", welches gewissermaßen die Einleitung
zu dem vorliegenden Werke bildet, alle wichtigen Vorgänge auf der Erdober¬
fläche zu schildern; jetzt handelt es sich darum, ihnen in den Einzelheiten durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/225>, abgerufen am 23.07.2024.