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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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hauptsächlicher Grund unserer mangelhaften geographischen Gesammtbildung
liegt darin, daß ehemals besetzte Lehrstühle für Geographie an den Universitäten
verwaist geblieben find, und daß an vielen deutschen Universitäten das ganze
Fach entweder nur ungenügend oder gar nicht vertreten ist. Als die nächste
Folge dieser Thatsache zeigt sich die betrübende Erscheinung, daß unsere Uni¬
versitätsbibliotheken in allem, was Geographie heißt, erschreckende Lücken auf¬
weisen, und daß somit selbst denen, die aus eigenem Antriebe diesem Aschenbrödel
unter den Wissenschaften ihre Zuneigung geschenkt haben, die nöthigen literarischen
Hilfsmittel nicht in derjenigen Ausgiebigkeit zu Gebote stehen, die zur gedeihlichen
Fortführung ihrer Studien nothwendig und in andern wissenschaftlichen Fächern
längst erreicht ist. Wird unter solchen Umständen eine auch nur von ferne
fachmännisch aussehende Bildung unmöglich gemacht, so fehlt es nun natürlich
auch an Lehrern, die den Stoff beherrschen, mit der Methodik hinreichend ver¬
traut sind und den Gegenstand mit der nöthigen Theilnahme verfolgen, so daß
man sich -an entscheidender Stelle oft in der größten Verlegenheit befindet, wem
eigentlich die geographischen Lehrstunden, die doch nun einmal der höheren Orts
festgestellte Lehrplan vorschreibt, übertragen werden sollen. Was Wunder, daß
sie oft genug solchen in die Hände fallen, die weder Beruf noch Neigung dazu
haben, aufs Gerathewohl losarbeiten und so bald als möglich die ihnen auf¬
gebürdete Last wieder abzuschütteln suchen? Dies Verhältniß wirkt aber nament¬
lich deshalb besonders schädlich, weil, während sich in den anderen Unterrichts¬
fächern ein fester methodischer Typus ausgebildet hat, hier die Ansichten der
wenigen Urtheilsfähigen noch weit aus einander gehen, der Nichteingeweihte
aber bei der Fülle des Stoffes geradezu vor einem Labyrinthe steht.

Wem die Schuld an diesen beklagenswerthen Zustünden zufällt, dies zu
untersuchen und auszusprechen, wollen wir hier ebensowenig unternehmen, wie
die Konsequenzen aufzuzeigen, die für die Schule wie für das ganze Volk daraus
entstehen müssen. Wir wollen das Bild nicht weiter ausmalen; die wenigen
Striche werden genügen, um dem unbefangenen Leser Material an die Hand
zu geben, damit er beurtheilen kann, wie weit wir in der That davon entfernt
sind, ein "Volk von Geographen" zu sein, und wie wenig moralisch dazu berech¬
tigt, uns über Mangel an geographischen Kenntnissen bei anderen Nationen lustig
zu machen, wie es bekanntermaßen von der Tagespresse namentlich den Fran¬
zosen gegenüber mit besonderem Behagen zu geschehen pflegt.

Wer die Entwickelung unserer und der französischen geographischen Lite¬
ratur seit dem gewaltigen Konflikt von-1870--71 nur ein wenig verfolgt hat,
der kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß es sich unsere Nachbarn haben
angelegen sein lassen, auf dem Gebiete der Schulgeographie, wie auf dem der
wissenschaftlichen geographischen Literatur tüchtig vorwärts zu kommen, das


Grenzboten I. 1379. 28

hauptsächlicher Grund unserer mangelhaften geographischen Gesammtbildung
liegt darin, daß ehemals besetzte Lehrstühle für Geographie an den Universitäten
verwaist geblieben find, und daß an vielen deutschen Universitäten das ganze
Fach entweder nur ungenügend oder gar nicht vertreten ist. Als die nächste
Folge dieser Thatsache zeigt sich die betrübende Erscheinung, daß unsere Uni¬
versitätsbibliotheken in allem, was Geographie heißt, erschreckende Lücken auf¬
weisen, und daß somit selbst denen, die aus eigenem Antriebe diesem Aschenbrödel
unter den Wissenschaften ihre Zuneigung geschenkt haben, die nöthigen literarischen
Hilfsmittel nicht in derjenigen Ausgiebigkeit zu Gebote stehen, die zur gedeihlichen
Fortführung ihrer Studien nothwendig und in andern wissenschaftlichen Fächern
längst erreicht ist. Wird unter solchen Umständen eine auch nur von ferne
fachmännisch aussehende Bildung unmöglich gemacht, so fehlt es nun natürlich
auch an Lehrern, die den Stoff beherrschen, mit der Methodik hinreichend ver¬
traut sind und den Gegenstand mit der nöthigen Theilnahme verfolgen, so daß
man sich -an entscheidender Stelle oft in der größten Verlegenheit befindet, wem
eigentlich die geographischen Lehrstunden, die doch nun einmal der höheren Orts
festgestellte Lehrplan vorschreibt, übertragen werden sollen. Was Wunder, daß
sie oft genug solchen in die Hände fallen, die weder Beruf noch Neigung dazu
haben, aufs Gerathewohl losarbeiten und so bald als möglich die ihnen auf¬
gebürdete Last wieder abzuschütteln suchen? Dies Verhältniß wirkt aber nament¬
lich deshalb besonders schädlich, weil, während sich in den anderen Unterrichts¬
fächern ein fester methodischer Typus ausgebildet hat, hier die Ansichten der
wenigen Urtheilsfähigen noch weit aus einander gehen, der Nichteingeweihte
aber bei der Fülle des Stoffes geradezu vor einem Labyrinthe steht.

Wem die Schuld an diesen beklagenswerthen Zustünden zufällt, dies zu
untersuchen und auszusprechen, wollen wir hier ebensowenig unternehmen, wie
die Konsequenzen aufzuzeigen, die für die Schule wie für das ganze Volk daraus
entstehen müssen. Wir wollen das Bild nicht weiter ausmalen; die wenigen
Striche werden genügen, um dem unbefangenen Leser Material an die Hand
zu geben, damit er beurtheilen kann, wie weit wir in der That davon entfernt
sind, ein „Volk von Geographen" zu sein, und wie wenig moralisch dazu berech¬
tigt, uns über Mangel an geographischen Kenntnissen bei anderen Nationen lustig
zu machen, wie es bekanntermaßen von der Tagespresse namentlich den Fran¬
zosen gegenüber mit besonderem Behagen zu geschehen pflegt.

Wer die Entwickelung unserer und der französischen geographischen Lite¬
ratur seit dem gewaltigen Konflikt von-1870—71 nur ein wenig verfolgt hat,
der kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß es sich unsere Nachbarn haben
angelegen sein lassen, auf dem Gebiete der Schulgeographie, wie auf dem der
wissenschaftlichen geographischen Literatur tüchtig vorwärts zu kommen, das


Grenzboten I. 1379. 28
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[0221] hauptsächlicher Grund unserer mangelhaften geographischen Gesammtbildung liegt darin, daß ehemals besetzte Lehrstühle für Geographie an den Universitäten verwaist geblieben find, und daß an vielen deutschen Universitäten das ganze Fach entweder nur ungenügend oder gar nicht vertreten ist. Als die nächste Folge dieser Thatsache zeigt sich die betrübende Erscheinung, daß unsere Uni¬ versitätsbibliotheken in allem, was Geographie heißt, erschreckende Lücken auf¬ weisen, und daß somit selbst denen, die aus eigenem Antriebe diesem Aschenbrödel unter den Wissenschaften ihre Zuneigung geschenkt haben, die nöthigen literarischen Hilfsmittel nicht in derjenigen Ausgiebigkeit zu Gebote stehen, die zur gedeihlichen Fortführung ihrer Studien nothwendig und in andern wissenschaftlichen Fächern längst erreicht ist. Wird unter solchen Umständen eine auch nur von ferne fachmännisch aussehende Bildung unmöglich gemacht, so fehlt es nun natürlich auch an Lehrern, die den Stoff beherrschen, mit der Methodik hinreichend ver¬ traut sind und den Gegenstand mit der nöthigen Theilnahme verfolgen, so daß man sich -an entscheidender Stelle oft in der größten Verlegenheit befindet, wem eigentlich die geographischen Lehrstunden, die doch nun einmal der höheren Orts festgestellte Lehrplan vorschreibt, übertragen werden sollen. Was Wunder, daß sie oft genug solchen in die Hände fallen, die weder Beruf noch Neigung dazu haben, aufs Gerathewohl losarbeiten und so bald als möglich die ihnen auf¬ gebürdete Last wieder abzuschütteln suchen? Dies Verhältniß wirkt aber nament¬ lich deshalb besonders schädlich, weil, während sich in den anderen Unterrichts¬ fächern ein fester methodischer Typus ausgebildet hat, hier die Ansichten der wenigen Urtheilsfähigen noch weit aus einander gehen, der Nichteingeweihte aber bei der Fülle des Stoffes geradezu vor einem Labyrinthe steht. Wem die Schuld an diesen beklagenswerthen Zustünden zufällt, dies zu untersuchen und auszusprechen, wollen wir hier ebensowenig unternehmen, wie die Konsequenzen aufzuzeigen, die für die Schule wie für das ganze Volk daraus entstehen müssen. Wir wollen das Bild nicht weiter ausmalen; die wenigen Striche werden genügen, um dem unbefangenen Leser Material an die Hand zu geben, damit er beurtheilen kann, wie weit wir in der That davon entfernt sind, ein „Volk von Geographen" zu sein, und wie wenig moralisch dazu berech¬ tigt, uns über Mangel an geographischen Kenntnissen bei anderen Nationen lustig zu machen, wie es bekanntermaßen von der Tagespresse namentlich den Fran¬ zosen gegenüber mit besonderem Behagen zu geschehen pflegt. Wer die Entwickelung unserer und der französischen geographischen Lite¬ ratur seit dem gewaltigen Konflikt von-1870—71 nur ein wenig verfolgt hat, der kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß es sich unsere Nachbarn haben angelegen sein lassen, auf dem Gebiete der Schulgeographie, wie auf dem der wissenschaftlichen geographischen Literatur tüchtig vorwärts zu kommen, das Grenzboten I. 1379. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/221>, abgerufen am 23.07.2024.