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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ich ihn gesetzlich nicht zur Rechenschaft ziehen kann, weil auf ihn der Grundsatz
der Gleichheit Aller vor dem Gesetze keine Anwendung findet, weil er ein Exi-
mirter ist? Wie, wenn er für gut fände, diesen Grund zu verschweigen? Wo
bleibt in allen diesen Fällen die Würde der parlamentarischen Versammlungen,
und werden wir, wenn sich Fälle, wie der vorhin erwähnte, wiederholen, nicht
schließlich dahin kommen, dem Ausdruck "parlamentarisch", der bisher etwa
mit feinfühlig, rücksichtsvoll oder schonend zusammenfiel, eine Bedeutung beizu¬
legen, die das Gegentheil dieser Eigenschaften eines Gentleman einschließt?

Aber die Sache hat ihre großen Schwierigkeiten, wirft man uns ein. Die
Volksvertretung hat das verfassungsmäßige Recht, zu reden, was ihr beliebt,
die Verhandlungen sind öffentlich, und die Presse kann dieselben straflos ver¬
breiten, wenn sie dieselben nur getreu der Wahrheit wiedergibt. Daran läßt
sich auf dem Wege einer Umgestaltung der Geschäftsordnung nichts ändern.
Keine Geschäftsordnung kann in jene verfassungsmäßigen Bürgschaften ein¬
greifen. Diejenige des Reichstags, sowie die des preußischen Abgeordnetenhauses,
bietet als einziges Gegenmittel gegen Ausschreitungen zuerst Ordnungsruf, dann
Entziehung des Wortes in Bezug auf den vorliegenden Gegenstand, und über
die letztere Maßregel hat der Präsident, ehe er sie verhängt, das Haus zu be¬
fragen, wogegen die Befugniß zur ersteren seinem eigenen Ermessen anheimge¬
geben ist. Hier wäre vielleicht damit zu helfen, daß man dem Präsidenten
das Recht beilegte, bei besonders schweren Fällen sofort beim ersten Ordnungs¬
rufe und ohne erst die Versammlung um ihre Zustimmung zu befragen, dem
Mitgliede, das sich Beleidigungen von Kollegen oder von Personen außerhalb
des Hauses oder sonstige Rede-Exzesse, die bei Anderen strafrechtlich geahndet
werden könnten, zu Schulden kommen läßt, das Wort zu entziehen.

Wir meinen, daß damit Manches verhütet werden könnte. Aber genügen
würde das nicht. Die Beleidigung, das außerhalb der Versammlung straf¬
würdige Wort wäre heraus und machte seinen Weg ungehindert und straflos
durch die Zeitungspresse und in die Welt. Es könnte bei der Erörterung eines
anderen Gegenstandes und wieder eines anderen wiederholt werden und von
neuem die Reise durch die Zeitungen, die gegenwärtig ja allesammt Berichte
über Parlamentsverhandlungen zu bringen Pflegen, und die sich "Pikantes" und
"Sensationelles" niemals entgehen lassen, ungehindert antreten und so seine Wir¬
kung verdoppeln und verdreifachen. Wenn man also innerhalb der Geschäfts¬
ordnung keinen anderen Weg zu finden weiß, einem offenbaren Uebelstande
abzuhelfen, so wird man den Weg des Gesetzes betreten müssen, und hier bietet
der Entwurf des Reichskanzlers unseres Erachtens Vorschläge, über die man
sehr wohl zu einer Verständigung gelangen könnte. Weiß man einen anderen
Ausweg, der zum Ziele führt, so wird der Fürst, wie wir ihn zu kennen


ich ihn gesetzlich nicht zur Rechenschaft ziehen kann, weil auf ihn der Grundsatz
der Gleichheit Aller vor dem Gesetze keine Anwendung findet, weil er ein Exi-
mirter ist? Wie, wenn er für gut fände, diesen Grund zu verschweigen? Wo
bleibt in allen diesen Fällen die Würde der parlamentarischen Versammlungen,
und werden wir, wenn sich Fälle, wie der vorhin erwähnte, wiederholen, nicht
schließlich dahin kommen, dem Ausdruck „parlamentarisch", der bisher etwa
mit feinfühlig, rücksichtsvoll oder schonend zusammenfiel, eine Bedeutung beizu¬
legen, die das Gegentheil dieser Eigenschaften eines Gentleman einschließt?

Aber die Sache hat ihre großen Schwierigkeiten, wirft man uns ein. Die
Volksvertretung hat das verfassungsmäßige Recht, zu reden, was ihr beliebt,
die Verhandlungen sind öffentlich, und die Presse kann dieselben straflos ver¬
breiten, wenn sie dieselben nur getreu der Wahrheit wiedergibt. Daran läßt
sich auf dem Wege einer Umgestaltung der Geschäftsordnung nichts ändern.
Keine Geschäftsordnung kann in jene verfassungsmäßigen Bürgschaften ein¬
greifen. Diejenige des Reichstags, sowie die des preußischen Abgeordnetenhauses,
bietet als einziges Gegenmittel gegen Ausschreitungen zuerst Ordnungsruf, dann
Entziehung des Wortes in Bezug auf den vorliegenden Gegenstand, und über
die letztere Maßregel hat der Präsident, ehe er sie verhängt, das Haus zu be¬
fragen, wogegen die Befugniß zur ersteren seinem eigenen Ermessen anheimge¬
geben ist. Hier wäre vielleicht damit zu helfen, daß man dem Präsidenten
das Recht beilegte, bei besonders schweren Fällen sofort beim ersten Ordnungs¬
rufe und ohne erst die Versammlung um ihre Zustimmung zu befragen, dem
Mitgliede, das sich Beleidigungen von Kollegen oder von Personen außerhalb
des Hauses oder sonstige Rede-Exzesse, die bei Anderen strafrechtlich geahndet
werden könnten, zu Schulden kommen läßt, das Wort zu entziehen.

Wir meinen, daß damit Manches verhütet werden könnte. Aber genügen
würde das nicht. Die Beleidigung, das außerhalb der Versammlung straf¬
würdige Wort wäre heraus und machte seinen Weg ungehindert und straflos
durch die Zeitungspresse und in die Welt. Es könnte bei der Erörterung eines
anderen Gegenstandes und wieder eines anderen wiederholt werden und von
neuem die Reise durch die Zeitungen, die gegenwärtig ja allesammt Berichte
über Parlamentsverhandlungen zu bringen Pflegen, und die sich „Pikantes" und
„Sensationelles" niemals entgehen lassen, ungehindert antreten und so seine Wir¬
kung verdoppeln und verdreifachen. Wenn man also innerhalb der Geschäfts¬
ordnung keinen anderen Weg zu finden weiß, einem offenbaren Uebelstande
abzuhelfen, so wird man den Weg des Gesetzes betreten müssen, und hier bietet
der Entwurf des Reichskanzlers unseres Erachtens Vorschläge, über die man
sehr wohl zu einer Verständigung gelangen könnte. Weiß man einen anderen
Ausweg, der zum Ziele führt, so wird der Fürst, wie wir ihn zu kennen


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[0217] ich ihn gesetzlich nicht zur Rechenschaft ziehen kann, weil auf ihn der Grundsatz der Gleichheit Aller vor dem Gesetze keine Anwendung findet, weil er ein Exi- mirter ist? Wie, wenn er für gut fände, diesen Grund zu verschweigen? Wo bleibt in allen diesen Fällen die Würde der parlamentarischen Versammlungen, und werden wir, wenn sich Fälle, wie der vorhin erwähnte, wiederholen, nicht schließlich dahin kommen, dem Ausdruck „parlamentarisch", der bisher etwa mit feinfühlig, rücksichtsvoll oder schonend zusammenfiel, eine Bedeutung beizu¬ legen, die das Gegentheil dieser Eigenschaften eines Gentleman einschließt? Aber die Sache hat ihre großen Schwierigkeiten, wirft man uns ein. Die Volksvertretung hat das verfassungsmäßige Recht, zu reden, was ihr beliebt, die Verhandlungen sind öffentlich, und die Presse kann dieselben straflos ver¬ breiten, wenn sie dieselben nur getreu der Wahrheit wiedergibt. Daran läßt sich auf dem Wege einer Umgestaltung der Geschäftsordnung nichts ändern. Keine Geschäftsordnung kann in jene verfassungsmäßigen Bürgschaften ein¬ greifen. Diejenige des Reichstags, sowie die des preußischen Abgeordnetenhauses, bietet als einziges Gegenmittel gegen Ausschreitungen zuerst Ordnungsruf, dann Entziehung des Wortes in Bezug auf den vorliegenden Gegenstand, und über die letztere Maßregel hat der Präsident, ehe er sie verhängt, das Haus zu be¬ fragen, wogegen die Befugniß zur ersteren seinem eigenen Ermessen anheimge¬ geben ist. Hier wäre vielleicht damit zu helfen, daß man dem Präsidenten das Recht beilegte, bei besonders schweren Fällen sofort beim ersten Ordnungs¬ rufe und ohne erst die Versammlung um ihre Zustimmung zu befragen, dem Mitgliede, das sich Beleidigungen von Kollegen oder von Personen außerhalb des Hauses oder sonstige Rede-Exzesse, die bei Anderen strafrechtlich geahndet werden könnten, zu Schulden kommen läßt, das Wort zu entziehen. Wir meinen, daß damit Manches verhütet werden könnte. Aber genügen würde das nicht. Die Beleidigung, das außerhalb der Versammlung straf¬ würdige Wort wäre heraus und machte seinen Weg ungehindert und straflos durch die Zeitungspresse und in die Welt. Es könnte bei der Erörterung eines anderen Gegenstandes und wieder eines anderen wiederholt werden und von neuem die Reise durch die Zeitungen, die gegenwärtig ja allesammt Berichte über Parlamentsverhandlungen zu bringen Pflegen, und die sich „Pikantes" und „Sensationelles" niemals entgehen lassen, ungehindert antreten und so seine Wir¬ kung verdoppeln und verdreifachen. Wenn man also innerhalb der Geschäfts¬ ordnung keinen anderen Weg zu finden weiß, einem offenbaren Uebelstande abzuhelfen, so wird man den Weg des Gesetzes betreten müssen, und hier bietet der Entwurf des Reichskanzlers unseres Erachtens Vorschläge, über die man sehr wohl zu einer Verständigung gelangen könnte. Weiß man einen anderen Ausweg, der zum Ziele führt, so wird der Fürst, wie wir ihn zu kennen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/217>, abgerufen am 23.07.2024.