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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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welcher die in Wetljauka ausgebrochue Seuche als Oberarzt des Astrachan'schen
Kosakenheeres zu untersuchen hatte, so schwinden wohl die letzten Zweifel an
der Behauptung, daß diese Seuche die orientalische Pest oder doch eine ihr sehr
nahe verwandte Krankheit ist.

Zuerst allerdings konnte dies nicht so scheinen. Zu Anfang des vorigen
November stellte sich bei einigen Bewohnern der genannten Stanitza Fieber ein,
und nach etwa einer Woche bildeten sich Anschwellungen der Lymphdrüsen in
den Achselgruben. Hiervon benachrichtigt, traf Dr. Depner am 18. November
in Wetljcmka ein und fand 8 Kranke in folgendem Zustande vor: mäßiger
Fieberzustand von remitierendem oder intermittirenden Typus, die Kranken
munter und auf den Füßen, der Appetit gut, der Schlaf und alle Funktionen
des Körpers normal, die Abszesse unter den Achseln sonderten, wenn sie sich
öffneten, gutartigen Eiter ab, die Kranken genasen ohne Ausnahme nach l 0 bis
12 Tagen. Aehnliche Erscheinungen hat der Berichterstatter im Mai 1877 in
Karatschi-Bnzor und in Astrachan beobachtet, und bei allen diesen waren Ver¬
lauf und Ausgang der Krankheit identisch.

Seit dem 27. November aber hatte sich in Wetljanka eine Seuche gezeigt,
an welcher Viele erkrankten und Einzelne starben. Im Dezember traf unser
Doktor zum zweiten Male dort ein und fand 23 Kranke mit folgenden Symp¬
tomen vor: fürchterlicher Schmerz in Stirn und Schläfen, desgleichen Schmerzen
in den Gliedern, nicht lange anhaltendes mäßiges Frösteln, welchem brennende
Hitze in Gesicht und Augen folgte, der Leib aufgedunsen, Leber und Milz an¬
geschwollen, Puls 100 bis 120 in der Minute. Dieser Zustand währte zwei
bis drei Tage, worauf in günstigen Fällen Transpiration und Abschwächung
der geschilderten Symptome eintrat, bei den meisten Kranken aber erneuerten
sich die Paroxysmen dann in schwerer Form, Delirium stellte sich ein, Schlaf¬
losigkeit, Unruhe, Hitze bis zu 42 Grad, Trockenheit der Zunge, röthlicher Urin
waren weitere Aeußerungen der Krankheit, und nach dem zweiten oder dritten
Fieberanfall erfolgte der Tod unter krampfhaften Zuckungen in komatösem Zu¬
stande bei sehr schneller Abnahme der Kräfte. Die Verstorbenen erstarrten bald,
und nach etwa zwölf Stunden zeigten sich die Leichenflecke. Vom 27. November
bis zum 9. Dezember starben von den Kranken 43 Prozent und nur 17 genasen.

Vom 9. Dezember an verschlimmerte sich der Charakter der Krankheit: bei
im Allgemeinen günstig erscheinendem Zustande der Patienten trat plötzlich sehr
starkes Herzklopfen ein, der Puls war unbestimmbar, Uebelkeit und Schwindel,
Brustbeklemmungen und Erbrechen dünnen, nicht gerinnenden Blutes folgten,
das Geficht zeigte sich bleich, der Ausdruck desselben war apathisch, die Pupillen
der glanzlosen, tiefeingesunkenen Augen erweiterten sich. Nach diesem Anfall
verfiel der Kranke auf mehrere Stunden in die äußerste Ermattung, und dann


welcher die in Wetljauka ausgebrochue Seuche als Oberarzt des Astrachan'schen
Kosakenheeres zu untersuchen hatte, so schwinden wohl die letzten Zweifel an
der Behauptung, daß diese Seuche die orientalische Pest oder doch eine ihr sehr
nahe verwandte Krankheit ist.

Zuerst allerdings konnte dies nicht so scheinen. Zu Anfang des vorigen
November stellte sich bei einigen Bewohnern der genannten Stanitza Fieber ein,
und nach etwa einer Woche bildeten sich Anschwellungen der Lymphdrüsen in
den Achselgruben. Hiervon benachrichtigt, traf Dr. Depner am 18. November
in Wetljcmka ein und fand 8 Kranke in folgendem Zustande vor: mäßiger
Fieberzustand von remitierendem oder intermittirenden Typus, die Kranken
munter und auf den Füßen, der Appetit gut, der Schlaf und alle Funktionen
des Körpers normal, die Abszesse unter den Achseln sonderten, wenn sie sich
öffneten, gutartigen Eiter ab, die Kranken genasen ohne Ausnahme nach l 0 bis
12 Tagen. Aehnliche Erscheinungen hat der Berichterstatter im Mai 1877 in
Karatschi-Bnzor und in Astrachan beobachtet, und bei allen diesen waren Ver¬
lauf und Ausgang der Krankheit identisch.

Seit dem 27. November aber hatte sich in Wetljanka eine Seuche gezeigt,
an welcher Viele erkrankten und Einzelne starben. Im Dezember traf unser
Doktor zum zweiten Male dort ein und fand 23 Kranke mit folgenden Symp¬
tomen vor: fürchterlicher Schmerz in Stirn und Schläfen, desgleichen Schmerzen
in den Gliedern, nicht lange anhaltendes mäßiges Frösteln, welchem brennende
Hitze in Gesicht und Augen folgte, der Leib aufgedunsen, Leber und Milz an¬
geschwollen, Puls 100 bis 120 in der Minute. Dieser Zustand währte zwei
bis drei Tage, worauf in günstigen Fällen Transpiration und Abschwächung
der geschilderten Symptome eintrat, bei den meisten Kranken aber erneuerten
sich die Paroxysmen dann in schwerer Form, Delirium stellte sich ein, Schlaf¬
losigkeit, Unruhe, Hitze bis zu 42 Grad, Trockenheit der Zunge, röthlicher Urin
waren weitere Aeußerungen der Krankheit, und nach dem zweiten oder dritten
Fieberanfall erfolgte der Tod unter krampfhaften Zuckungen in komatösem Zu¬
stande bei sehr schneller Abnahme der Kräfte. Die Verstorbenen erstarrten bald,
und nach etwa zwölf Stunden zeigten sich die Leichenflecke. Vom 27. November
bis zum 9. Dezember starben von den Kranken 43 Prozent und nur 17 genasen.

Vom 9. Dezember an verschlimmerte sich der Charakter der Krankheit: bei
im Allgemeinen günstig erscheinendem Zustande der Patienten trat plötzlich sehr
starkes Herzklopfen ein, der Puls war unbestimmbar, Uebelkeit und Schwindel,
Brustbeklemmungen und Erbrechen dünnen, nicht gerinnenden Blutes folgten,
das Geficht zeigte sich bleich, der Ausdruck desselben war apathisch, die Pupillen
der glanzlosen, tiefeingesunkenen Augen erweiterten sich. Nach diesem Anfall
verfiel der Kranke auf mehrere Stunden in die äußerste Ermattung, und dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/211>, abgerufen am 01.10.2024.