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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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In unserem Jahrhundert waren nur noch der eigentliche Orient und
Nordafrika der Schauplatz großer Pestepidemieen, und einzelne, bisweilen ziem¬
lich häufige Fälle von Erkrankungen an der Seuche kamen 1827 bis 1829 auf
.den Inseln und Küsten des Mittelmeeres und in den untern Donauländern
vor. In Aegypten wüthete die Pest zum letzten Male in der alten furchtbaren
Weise 1835. Jetzt ist sie auch dort sowie in Syrien und Kleinasien seit länger
als dreißig Jahren nicht mehr bemerkt worden. Schon war man geneigt, an
das Erlöschen derselben auf der ganzen Erde zu glauben, als sie sich 1850 un-
, vermuthet noch einmal im nördlichen Afrika und zwar unter der in schrecklichem
Elend lebenden Nomadenbevölkerung in der Nähe der im Paschalik Tripolis
gelegnen Stadt Bengasi zeigte, durch Verschleppung in die letztere sowie in
andere benachbarte Orte gelangte und im nächsten Jahre verschwand. 1867 ferner
trat sie in Mesopotamien und 1870 an der Nordgrenze Kurdistan's zwischen
den persischen Städten Arnika und Maraga epidemisch auf. Weitere Pestaus¬
brüche fanden 1871 in Nordpersien und 1873 in den untern Euphratgegenden
statt, und der letzte, der im Jahre 1874 die Welt erschreckte, betraf abermals
die Nachbarschaft von Bengasi.

Daß die Moräste von Unterägypten die Pest ausgehaucht, ist nicht er¬
wiesen.*) Gewiß ist dagegen, daß sie wenigstens in der letzten Zeit ihres Auf¬
tretens in Mitteleuropa immer aus dem Morgenlande dahin gekommen ist.
Sie wird einer gesunden Bevölkerung zunächst durch das Zureisen von Leuten
aus den von ihr ergriffnen Gegenden mitgetheilt. Ist die Krankheit aber an
einem Orte ausgebrochen, so scheint sich in der Luft ein Kontagium zu ent¬
wickeln, bei dem direkte Berührung mit Pestkranken oder Dingen, die von solchen
gebraucht worden sind, zur Fortpflanzung der Seuche auf Gesunde nicht er¬
forderlich ist. In den meisten Füllen bricht die Pest innerhalb sieben Tagen,
bisweilen aber schon am zweiten, in vereinzelten Fällen auch erst am fünfzehnten
Tage nach Aufnahme des Anstecküugsstoffs in den Körper aus. Ueber die
Natur dieses Stoffs fehlt uns alle nähere Kenntniß, doch scheint er Aehnlich-
keit mit dem sogenannten Leichengifte zu haben. Die in Armuth und Elend
lebenden Volksschichten werden von der Pest am leichtesten ergriffen. Wie be¬
hauptet wird, bleiben diejenigen, welche viel mit Wasser zu thun haben, nament¬
lich aber die Oelträger und Fettwarenhändler, gewöhnlich von ihr verschont.

Nach Verlauf der Inkubationszeit, d. h. derjenigen Zeit, in welcher das
Pestgift im Körper nur schleichend wirkt, bricht die Seuche bald mit örtlichen
Zufällen, Pestbeulen oder Karbunkeln, denen dann Fieber und allgemeine Er¬
krankung folgen, bald sofort mit letzterer, nämlich mit Ohrenbrausen, Schwindel



*) 1373 bewies or, Toloscm, daß die Pest eine sich selbst erzeugende Krankheit ist,
die sich unter jedem Längen- und Breitengrade der Erdoberfläche erzeugen kann.
Grenzboten I. 1S79. 26

In unserem Jahrhundert waren nur noch der eigentliche Orient und
Nordafrika der Schauplatz großer Pestepidemieen, und einzelne, bisweilen ziem¬
lich häufige Fälle von Erkrankungen an der Seuche kamen 1827 bis 1829 auf
.den Inseln und Küsten des Mittelmeeres und in den untern Donauländern
vor. In Aegypten wüthete die Pest zum letzten Male in der alten furchtbaren
Weise 1835. Jetzt ist sie auch dort sowie in Syrien und Kleinasien seit länger
als dreißig Jahren nicht mehr bemerkt worden. Schon war man geneigt, an
das Erlöschen derselben auf der ganzen Erde zu glauben, als sie sich 1850 un-
, vermuthet noch einmal im nördlichen Afrika und zwar unter der in schrecklichem
Elend lebenden Nomadenbevölkerung in der Nähe der im Paschalik Tripolis
gelegnen Stadt Bengasi zeigte, durch Verschleppung in die letztere sowie in
andere benachbarte Orte gelangte und im nächsten Jahre verschwand. 1867 ferner
trat sie in Mesopotamien und 1870 an der Nordgrenze Kurdistan's zwischen
den persischen Städten Arnika und Maraga epidemisch auf. Weitere Pestaus¬
brüche fanden 1871 in Nordpersien und 1873 in den untern Euphratgegenden
statt, und der letzte, der im Jahre 1874 die Welt erschreckte, betraf abermals
die Nachbarschaft von Bengasi.

Daß die Moräste von Unterägypten die Pest ausgehaucht, ist nicht er¬
wiesen.*) Gewiß ist dagegen, daß sie wenigstens in der letzten Zeit ihres Auf¬
tretens in Mitteleuropa immer aus dem Morgenlande dahin gekommen ist.
Sie wird einer gesunden Bevölkerung zunächst durch das Zureisen von Leuten
aus den von ihr ergriffnen Gegenden mitgetheilt. Ist die Krankheit aber an
einem Orte ausgebrochen, so scheint sich in der Luft ein Kontagium zu ent¬
wickeln, bei dem direkte Berührung mit Pestkranken oder Dingen, die von solchen
gebraucht worden sind, zur Fortpflanzung der Seuche auf Gesunde nicht er¬
forderlich ist. In den meisten Füllen bricht die Pest innerhalb sieben Tagen,
bisweilen aber schon am zweiten, in vereinzelten Fällen auch erst am fünfzehnten
Tage nach Aufnahme des Anstecküugsstoffs in den Körper aus. Ueber die
Natur dieses Stoffs fehlt uns alle nähere Kenntniß, doch scheint er Aehnlich-
keit mit dem sogenannten Leichengifte zu haben. Die in Armuth und Elend
lebenden Volksschichten werden von der Pest am leichtesten ergriffen. Wie be¬
hauptet wird, bleiben diejenigen, welche viel mit Wasser zu thun haben, nament¬
lich aber die Oelträger und Fettwarenhändler, gewöhnlich von ihr verschont.

Nach Verlauf der Inkubationszeit, d. h. derjenigen Zeit, in welcher das
Pestgift im Körper nur schleichend wirkt, bricht die Seuche bald mit örtlichen
Zufällen, Pestbeulen oder Karbunkeln, denen dann Fieber und allgemeine Er¬
krankung folgen, bald sofort mit letzterer, nämlich mit Ohrenbrausen, Schwindel



*) 1373 bewies or, Toloscm, daß die Pest eine sich selbst erzeugende Krankheit ist,
die sich unter jedem Längen- und Breitengrade der Erdoberfläche erzeugen kann.
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[0209] In unserem Jahrhundert waren nur noch der eigentliche Orient und Nordafrika der Schauplatz großer Pestepidemieen, und einzelne, bisweilen ziem¬ lich häufige Fälle von Erkrankungen an der Seuche kamen 1827 bis 1829 auf .den Inseln und Küsten des Mittelmeeres und in den untern Donauländern vor. In Aegypten wüthete die Pest zum letzten Male in der alten furchtbaren Weise 1835. Jetzt ist sie auch dort sowie in Syrien und Kleinasien seit länger als dreißig Jahren nicht mehr bemerkt worden. Schon war man geneigt, an das Erlöschen derselben auf der ganzen Erde zu glauben, als sie sich 1850 un- , vermuthet noch einmal im nördlichen Afrika und zwar unter der in schrecklichem Elend lebenden Nomadenbevölkerung in der Nähe der im Paschalik Tripolis gelegnen Stadt Bengasi zeigte, durch Verschleppung in die letztere sowie in andere benachbarte Orte gelangte und im nächsten Jahre verschwand. 1867 ferner trat sie in Mesopotamien und 1870 an der Nordgrenze Kurdistan's zwischen den persischen Städten Arnika und Maraga epidemisch auf. Weitere Pestaus¬ brüche fanden 1871 in Nordpersien und 1873 in den untern Euphratgegenden statt, und der letzte, der im Jahre 1874 die Welt erschreckte, betraf abermals die Nachbarschaft von Bengasi. Daß die Moräste von Unterägypten die Pest ausgehaucht, ist nicht er¬ wiesen.*) Gewiß ist dagegen, daß sie wenigstens in der letzten Zeit ihres Auf¬ tretens in Mitteleuropa immer aus dem Morgenlande dahin gekommen ist. Sie wird einer gesunden Bevölkerung zunächst durch das Zureisen von Leuten aus den von ihr ergriffnen Gegenden mitgetheilt. Ist die Krankheit aber an einem Orte ausgebrochen, so scheint sich in der Luft ein Kontagium zu ent¬ wickeln, bei dem direkte Berührung mit Pestkranken oder Dingen, die von solchen gebraucht worden sind, zur Fortpflanzung der Seuche auf Gesunde nicht er¬ forderlich ist. In den meisten Füllen bricht die Pest innerhalb sieben Tagen, bisweilen aber schon am zweiten, in vereinzelten Fällen auch erst am fünfzehnten Tage nach Aufnahme des Anstecküugsstoffs in den Körper aus. Ueber die Natur dieses Stoffs fehlt uns alle nähere Kenntniß, doch scheint er Aehnlich- keit mit dem sogenannten Leichengifte zu haben. Die in Armuth und Elend lebenden Volksschichten werden von der Pest am leichtesten ergriffen. Wie be¬ hauptet wird, bleiben diejenigen, welche viel mit Wasser zu thun haben, nament¬ lich aber die Oelträger und Fettwarenhändler, gewöhnlich von ihr verschont. Nach Verlauf der Inkubationszeit, d. h. derjenigen Zeit, in welcher das Pestgift im Körper nur schleichend wirkt, bricht die Seuche bald mit örtlichen Zufällen, Pestbeulen oder Karbunkeln, denen dann Fieber und allgemeine Er¬ krankung folgen, bald sofort mit letzterer, nämlich mit Ohrenbrausen, Schwindel *) 1373 bewies or, Toloscm, daß die Pest eine sich selbst erzeugende Krankheit ist, die sich unter jedem Längen- und Breitengrade der Erdoberfläche erzeugen kann. Grenzboten I. 1S79. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/209>, abgerufen am 02.10.2024.