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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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dort fanden und nach Art dieser Thiere erst mit dem Rüssel durchwühlten, dann
mit den Zähnen packten und hin und herschüttelten, nach kurzer Zeit aber,
zuckend, als ob sie Gift gefressen hätten, todt auf die übel zugerichteten Fetzen
hinstürzten."

Boccaccio erzählt nun ausführlich weiter die Folgen des allgemeinen Ent¬
setzens über diese Heimsuchung, und wie man sich in Florenz ihr gegenüber ver¬
hielt. Einige suchten sich durch mäßiges Leben und Absperrung in ihren Häusern
zu schützen. Andere thaten das Gegentheil, schwelgten in Essen und Trinken,
zogen mit Sang und Klang durch die Straßen und hielten Scherz und Lachen
für das beste Mittel, sich das Uebel vom Leibe zu halten. Sie trieben ihr
Unwesen und ihren Muthwillen nicht blos in Schenken, sondern auch in
fremden Privathäusern, was ihnen um so leichter wurde, als viele der letzteren
herrenlos geworden waren, und das Ansehen der Gesetze, da deren Vollstrecker
todt oder krank oder ohne die nöthigen Gehilfen waren, sich sehr vermindert
hatte. Wieder Andere schlugen einen Mittelweg ein: sie fasteten weder wie die
Ersten, noch hielten sie im Trinken und andern Ausschweifungen so wenig
Maß wie die Zweiten. Auch schlössen sie sich nicht ein, sondern gingen umher,
wobei sie an Blumen oder duftigen Kräutern rochen, "überzeugt, es sei beson¬
ders heilsam, durch solchen Duft das Gehirn zu erquicken; deun die ganze Luft
schien von den Ausdünstungen der Leichname, von dem Gerüche der Kranken
und der Arzeneien geschwängert zu sein". Noch andere waren herzloser wie die
Uebrigen, indem sie sagten, kein Mittel sei gegenüber von Seuchen so zuver¬
lässig, als die Flucht vor ihnen. So verließen Viele, Männer wie Weiber, allein
auf die eigene Rettung bedacht, Haus, Vermögen und Vaterstadt, Kinder und
Verwandte und flohen ans das Land hinaus, "als ob der Zorn Gottes, der
die Ruchlosigkeit der Menschen strafen wollte, sie nicht überall gleichmäßig er¬
eilen und nur die vernichten könnte, die sich von ihm innerhalb der Mauern
dieser Stadt betreten ließen".

Unter den Zurückgebliebenen vermied jeder den andern, besonders wenn
dieser erkrankt war. Der Oheim ließ den Neffen, die Schwester den Bruder,
die Frau oft den Mann im Stich, ja das Schreckliche begab sich, daß Väter
und Mütter sich weigerten, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen. Nur gegen
übermäßigen Lohn verschafften wohlhabende Kranke sich Bedienung, die über¬
dies dann meist ohne Einsicht und Geschick besorgt wurde. Zuletzt kam es da¬
hin, daß viele Leichen nicht in herkömmlicher Weise feierlich beerdigt wurden,
auch wenn die Betreffenden vornehme Leute gewesen waren, die Armen aber
nicht einmal in die geweihte Erde des Gottesackers gebettet, sondern einfach, nach¬
dem man sie vor ihre Thür geworfen, in großen Gruben, die Hunderte zugleich
aufnahmen, untergebracht wurden.


dort fanden und nach Art dieser Thiere erst mit dem Rüssel durchwühlten, dann
mit den Zähnen packten und hin und herschüttelten, nach kurzer Zeit aber,
zuckend, als ob sie Gift gefressen hätten, todt auf die übel zugerichteten Fetzen
hinstürzten."

Boccaccio erzählt nun ausführlich weiter die Folgen des allgemeinen Ent¬
setzens über diese Heimsuchung, und wie man sich in Florenz ihr gegenüber ver¬
hielt. Einige suchten sich durch mäßiges Leben und Absperrung in ihren Häusern
zu schützen. Andere thaten das Gegentheil, schwelgten in Essen und Trinken,
zogen mit Sang und Klang durch die Straßen und hielten Scherz und Lachen
für das beste Mittel, sich das Uebel vom Leibe zu halten. Sie trieben ihr
Unwesen und ihren Muthwillen nicht blos in Schenken, sondern auch in
fremden Privathäusern, was ihnen um so leichter wurde, als viele der letzteren
herrenlos geworden waren, und das Ansehen der Gesetze, da deren Vollstrecker
todt oder krank oder ohne die nöthigen Gehilfen waren, sich sehr vermindert
hatte. Wieder Andere schlugen einen Mittelweg ein: sie fasteten weder wie die
Ersten, noch hielten sie im Trinken und andern Ausschweifungen so wenig
Maß wie die Zweiten. Auch schlössen sie sich nicht ein, sondern gingen umher,
wobei sie an Blumen oder duftigen Kräutern rochen, „überzeugt, es sei beson¬
ders heilsam, durch solchen Duft das Gehirn zu erquicken; deun die ganze Luft
schien von den Ausdünstungen der Leichname, von dem Gerüche der Kranken
und der Arzeneien geschwängert zu sein". Noch andere waren herzloser wie die
Uebrigen, indem sie sagten, kein Mittel sei gegenüber von Seuchen so zuver¬
lässig, als die Flucht vor ihnen. So verließen Viele, Männer wie Weiber, allein
auf die eigene Rettung bedacht, Haus, Vermögen und Vaterstadt, Kinder und
Verwandte und flohen ans das Land hinaus, »als ob der Zorn Gottes, der
die Ruchlosigkeit der Menschen strafen wollte, sie nicht überall gleichmäßig er¬
eilen und nur die vernichten könnte, die sich von ihm innerhalb der Mauern
dieser Stadt betreten ließen".

Unter den Zurückgebliebenen vermied jeder den andern, besonders wenn
dieser erkrankt war. Der Oheim ließ den Neffen, die Schwester den Bruder,
die Frau oft den Mann im Stich, ja das Schreckliche begab sich, daß Väter
und Mütter sich weigerten, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen. Nur gegen
übermäßigen Lohn verschafften wohlhabende Kranke sich Bedienung, die über¬
dies dann meist ohne Einsicht und Geschick besorgt wurde. Zuletzt kam es da¬
hin, daß viele Leichen nicht in herkömmlicher Weise feierlich beerdigt wurden,
auch wenn die Betreffenden vornehme Leute gewesen waren, die Armen aber
nicht einmal in die geweihte Erde des Gottesackers gebettet, sondern einfach, nach¬
dem man sie vor ihre Thür geworfen, in großen Gruben, die Hunderte zugleich
aufnahmen, untergebracht wurden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/206>, abgerufen am 06.02.2025.