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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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gegnet ihnen Nicolaus Micatius, "es hätte da keine hungarische Exzeption statt,
Jhro Gnaden (der General) machten's itzo auf Wellisch."

Den Bedrängten blieb nichts übrig, als den ihrer auf dem Rathhause
harrenden Geschworenen die Forderung Belgiojoso's mitzutheilen. Doch diese
wollten die Entscheidung darüber nicht auf sich nehmen und bestanden darauf,
daß der Fall der gesammten Bürgerschaft vorgelegt werde. Während aber
nun die angesehensten Männer in aller Hast berufen wurden, strömte das Volk
auf die Kunde von dem Geschehenen in hellen Haufen vor dem Rathhause
zusammen; mit lautem Geschrei erklärten die Aufgeregten, sie wollten "Leib
und Leben, Gut und Blut dabei zusetzen, die Kirche mit dem Schwerte schützen,
sich neben ihrem Gottesdienste schlachten lassen", und schon eilten Einzelne nach
Hause, um ihre Waffen zu holen. Nur mit Mühe verhinderte der Rath den
Ausbruch offener Empörung, während er gleichzeitig nicht im Stande war,
einen Beschluß der Bürgerschaft herbeizuführen, und doch auf eigene Verant¬
wortung vorzugehen sich nicht getraute. In qualvollsten Zweifel vergingen
die Stunden.

Da überhob Belgiojoso die Schwankenden jedweder Unsicherheit. Längst
war die gewährte Frist verflossen, es war die dritte Nachmittagsstunde heran¬
gekommen, als auf seinen Befehl wiederum der Richter mit drei Rathsherren
und dem "Vormunde" (Vertreter) der Gemeinde sowie einem Aeltesten derselben
vor ihm erschien. Abermals weigern sie sich, selbständig irgend etwas ihm
zuzugestehen; da läßt der General den Profoß holen und Ketten herbeibringen,
während gleichzeitig die vier Fähnlein Arkebusiere und die wallonische Kom¬
pagnie kampffertig mit fliegenden Fahnen unter dem Schmettern der Trompeten
in die geängstete Stadt einrücken, dort alle Plätze und Gassen besetzen und
jeden Verkehr zwischen den Bürgern unterbrechen. So der Stadt versichert befiehlt
er, die städtischen Abgeordneten umringt von Hellebardieren und Musketieren nach
der Kirche zu bringen. In ihrem Beisein werden die Thüren erbrochen, dann
unter Siegel gelegt, somit formell die Besitzergreifung des Gotteshauses voll¬
zogen. Draußen halten die Neiterhciufeu mit brennenden Lunten, in den Häusern
harrt angstvoll und erbittert die Bürgerschaft des Kommenden.

Es war 9 Uhr Abends geworden, als auf die flehentlichen Bitten der
Rathsherren, die einen blutigen Konflikt mit der zornbebenden Bevölkerung
befürchteten, Belgiojoso sich entschloß, die Reiterei aus der Stadt in die Vor¬
städte zurückzuziehen. Er that es jedoch nnr unter der Bedingung, daß ihm
der Aelteste der Gemeinde, Melchior Nenner, als Geisel übergeben werde.

Die weltliche Gewalt also hatte die Kirche ihren bisherigen Inhabern entzogen;
am nächsten Morgen ergriff die Geistlichkeit ihrerseits Besitz. In feierlicher Pro¬
zession unter militärischem Geleite zog der Bischof von Fünfkirchen mit dem


gegnet ihnen Nicolaus Micatius, „es hätte da keine hungarische Exzeption statt,
Jhro Gnaden (der General) machten's itzo auf Wellisch."

Den Bedrängten blieb nichts übrig, als den ihrer auf dem Rathhause
harrenden Geschworenen die Forderung Belgiojoso's mitzutheilen. Doch diese
wollten die Entscheidung darüber nicht auf sich nehmen und bestanden darauf,
daß der Fall der gesammten Bürgerschaft vorgelegt werde. Während aber
nun die angesehensten Männer in aller Hast berufen wurden, strömte das Volk
auf die Kunde von dem Geschehenen in hellen Haufen vor dem Rathhause
zusammen; mit lautem Geschrei erklärten die Aufgeregten, sie wollten „Leib
und Leben, Gut und Blut dabei zusetzen, die Kirche mit dem Schwerte schützen,
sich neben ihrem Gottesdienste schlachten lassen", und schon eilten Einzelne nach
Hause, um ihre Waffen zu holen. Nur mit Mühe verhinderte der Rath den
Ausbruch offener Empörung, während er gleichzeitig nicht im Stande war,
einen Beschluß der Bürgerschaft herbeizuführen, und doch auf eigene Verant¬
wortung vorzugehen sich nicht getraute. In qualvollsten Zweifel vergingen
die Stunden.

Da überhob Belgiojoso die Schwankenden jedweder Unsicherheit. Längst
war die gewährte Frist verflossen, es war die dritte Nachmittagsstunde heran¬
gekommen, als auf seinen Befehl wiederum der Richter mit drei Rathsherren
und dem „Vormunde" (Vertreter) der Gemeinde sowie einem Aeltesten derselben
vor ihm erschien. Abermals weigern sie sich, selbständig irgend etwas ihm
zuzugestehen; da läßt der General den Profoß holen und Ketten herbeibringen,
während gleichzeitig die vier Fähnlein Arkebusiere und die wallonische Kom¬
pagnie kampffertig mit fliegenden Fahnen unter dem Schmettern der Trompeten
in die geängstete Stadt einrücken, dort alle Plätze und Gassen besetzen und
jeden Verkehr zwischen den Bürgern unterbrechen. So der Stadt versichert befiehlt
er, die städtischen Abgeordneten umringt von Hellebardieren und Musketieren nach
der Kirche zu bringen. In ihrem Beisein werden die Thüren erbrochen, dann
unter Siegel gelegt, somit formell die Besitzergreifung des Gotteshauses voll¬
zogen. Draußen halten die Neiterhciufeu mit brennenden Lunten, in den Häusern
harrt angstvoll und erbittert die Bürgerschaft des Kommenden.

Es war 9 Uhr Abends geworden, als auf die flehentlichen Bitten der
Rathsherren, die einen blutigen Konflikt mit der zornbebenden Bevölkerung
befürchteten, Belgiojoso sich entschloß, die Reiterei aus der Stadt in die Vor¬
städte zurückzuziehen. Er that es jedoch nnr unter der Bedingung, daß ihm
der Aelteste der Gemeinde, Melchior Nenner, als Geisel übergeben werde.

Die weltliche Gewalt also hatte die Kirche ihren bisherigen Inhabern entzogen;
am nächsten Morgen ergriff die Geistlichkeit ihrerseits Besitz. In feierlicher Pro¬
zession unter militärischem Geleite zog der Bischof von Fünfkirchen mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/192>, abgerufen am 06.02.2025.