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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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einen der Führer jener Vereinigung, ein Schreiben, welches die Zollreform
betraf und seine handelspolitischen Absichten kurz andeutete. Bald darauf
sprach er sich über dieselben in einem Schreiben an den Bundesrath deutlicher
und ausführlicher aus. Am 15. Dezember endlich erfolgte die von der "Freien
volkswirtschaftlichen Vereinigung" gewünschte "klare Entschließung". Dieselbe
kam zwar noch nicht von Seiten der verbündeten Regierungen, sondern nur
von Seiten des Reichskanzlers, aber sie war dafür mehr, als man erwartet
hatte, d. h. sie war ein zollpolitisches und zugleich ein steuerpolitisches Pro¬
gramm, sie bedeutete nach beiden Richtungen hin die Absicht vollständiger Um¬
kehr auf den Wegen, die man bisher gegangen. Erst von jetzt an können wir
mit Fug sagen, daß die Entwickelung der Dinge, die hier in Rede stehen, sich
"unter der Leitung des Fürsten Bismarck vollzieht", und wenn inzwischen
v. Varnbüler, den wir von lange her als Fürsprecher des nationalen und als
entschiedenen Gegner des internationalen Freihandels thätig sahen, vom Fürsten
zum Vorsitzenden der Kommission ernannt worden ist, die der Bundesrath zur
Revision des deutschen Zolltarifs bestellt hat, so bleibt kein Zweifel mehr über
die Richtung, in welcher die Dinge sich entwickeln werden.

Mit dem Vorstehenden konnte und sollte nicht in Abrede gestellt werden,
daß das Programm, mit welchem die Zoll" und Steuerpolitik des Reichs¬
kanzlers verkündigt worden ist, seine Gestalt und theilweise auch seinen Inhalt
durch äußere Umstände gewonnen hat, die erst in den letzten Jahren sich her¬
ausgebildet haben. In keiner Theorie befangen, weniger der "Wissenschaft"
als dem Leben zugewandt, hat der Fürst es eben nicht verschmäht, im Laufe
der Jahre zu lernen, sich seine Ansichten von der Erfahrung modifiziren, sich
durch die Verhältnisse bestimmen zu lassen und sich den Thatsachen nach Mög¬
lichkeit anzupassen, wie das seine Art überhaupt ist.

Man hat ihn im Hinblick auf die jetzt von ihm in's Auge gefaßte bei¬
nahe allgemeine Zollpflichtigkeit der in Deutschland eingehenden Waaren daran
erinnert, daß er vor etwa drei Jahren im Reichstage gesagt habe: "Es fragt
sich blos" ob Sie uns helfen wollen, einen Schritt in der Richtung einer Reform
zu thun -- daß wir in unseren Zöllen, ganz unabhängig von der Frage, wie
hoch jedes Einzelne besteuert werden soll, uns doch freimachen von dieser zu
großen Masse von zollpflichtigen Gegenständen, daß wir uns auf das Gebiet
eines einfachen Finanzzollsystems zurückziehen und alle diejenigen Artikel, die
nicht wirklich Finanzartikel sind, d. h. nicht hinreichenden Ertrag geben, über
Bord werfen -- die zehn oder fünfzehn Artikel, welche die größte Einnahme
gewähren, so viel abgeben lassen, wie wir überhaupt aus den Zollquellen für
unsere Finanzen nehmen wollen." Mit Recht erwiederte darauf die "Pro-
vinzial-Korrespondenz", die Blätter, die hierauf hingewiesen, hätten doch auch


einen der Führer jener Vereinigung, ein Schreiben, welches die Zollreform
betraf und seine handelspolitischen Absichten kurz andeutete. Bald darauf
sprach er sich über dieselben in einem Schreiben an den Bundesrath deutlicher
und ausführlicher aus. Am 15. Dezember endlich erfolgte die von der „Freien
volkswirtschaftlichen Vereinigung" gewünschte „klare Entschließung". Dieselbe
kam zwar noch nicht von Seiten der verbündeten Regierungen, sondern nur
von Seiten des Reichskanzlers, aber sie war dafür mehr, als man erwartet
hatte, d. h. sie war ein zollpolitisches und zugleich ein steuerpolitisches Pro¬
gramm, sie bedeutete nach beiden Richtungen hin die Absicht vollständiger Um¬
kehr auf den Wegen, die man bisher gegangen. Erst von jetzt an können wir
mit Fug sagen, daß die Entwickelung der Dinge, die hier in Rede stehen, sich
„unter der Leitung des Fürsten Bismarck vollzieht", und wenn inzwischen
v. Varnbüler, den wir von lange her als Fürsprecher des nationalen und als
entschiedenen Gegner des internationalen Freihandels thätig sahen, vom Fürsten
zum Vorsitzenden der Kommission ernannt worden ist, die der Bundesrath zur
Revision des deutschen Zolltarifs bestellt hat, so bleibt kein Zweifel mehr über
die Richtung, in welcher die Dinge sich entwickeln werden.

Mit dem Vorstehenden konnte und sollte nicht in Abrede gestellt werden,
daß das Programm, mit welchem die Zoll» und Steuerpolitik des Reichs¬
kanzlers verkündigt worden ist, seine Gestalt und theilweise auch seinen Inhalt
durch äußere Umstände gewonnen hat, die erst in den letzten Jahren sich her¬
ausgebildet haben. In keiner Theorie befangen, weniger der „Wissenschaft"
als dem Leben zugewandt, hat der Fürst es eben nicht verschmäht, im Laufe
der Jahre zu lernen, sich seine Ansichten von der Erfahrung modifiziren, sich
durch die Verhältnisse bestimmen zu lassen und sich den Thatsachen nach Mög¬
lichkeit anzupassen, wie das seine Art überhaupt ist.

Man hat ihn im Hinblick auf die jetzt von ihm in's Auge gefaßte bei¬
nahe allgemeine Zollpflichtigkeit der in Deutschland eingehenden Waaren daran
erinnert, daß er vor etwa drei Jahren im Reichstage gesagt habe: „Es fragt
sich blos» ob Sie uns helfen wollen, einen Schritt in der Richtung einer Reform
zu thun — daß wir in unseren Zöllen, ganz unabhängig von der Frage, wie
hoch jedes Einzelne besteuert werden soll, uns doch freimachen von dieser zu
großen Masse von zollpflichtigen Gegenständen, daß wir uns auf das Gebiet
eines einfachen Finanzzollsystems zurückziehen und alle diejenigen Artikel, die
nicht wirklich Finanzartikel sind, d. h. nicht hinreichenden Ertrag geben, über
Bord werfen — die zehn oder fünfzehn Artikel, welche die größte Einnahme
gewähren, so viel abgeben lassen, wie wir überhaupt aus den Zollquellen für
unsere Finanzen nehmen wollen." Mit Recht erwiederte darauf die „Pro-
vinzial-Korrespondenz", die Blätter, die hierauf hingewiesen, hätten doch auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/172>, abgerufen am 23.07.2024.