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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Wärme und Eifer an ihrem Theile die Verwirklichung ihrer Ideale angelegen
sein. Gegnerische Stimmen verhallten oder wurden kurz und barsch als kaum
der Beachtung werth abgefertigt. Die den Schaden hatten, dursten auch für den
Spott nicht sorgen. Hätte man einen volkswirthschaftlichen Senat gehabt, wie
er in Frankreich zum Heile der dortigen Gewerbsthätigkeit und nicht zum Un-
segen des neben ihr hergehenden Volkslebens bestand, so wäre etwas zu hoffen
gewesen. So aber hatten wir einen Reichstag, ein Zollparlament und Landtage,
wo die Mehrheit gleichermaßen der Einseitigkeit und den Vorurtheilen huldigte,
aus welchen sich die Lehre des Manchesterthums oder des Freihaudels in seiner
Uebertreibung zusammensetzt.

Dem allen gegenüber war kaum recht zu Worte zu kommen, geschweige
denn Aussicht, etwas ausrichten zu können, wenn man nicht allmächtig oder
wenn man nicht wenigstens mächtiger als der Reichskanzler war. Aber der
Himmel hat sich geklärt, die Zeiten sind andere geworden. Das Leben hat
die Theorieen der Apostel des internationalen Freihandels der Unwahrheit über¬
führt, es hat deren Schädlichkeit für Staat und Volk überzeugend für jeden,
der sehen kann und will, dargethan, es hat mindestens gezeigt, daß sie nur
halbe Wahrheiten, nur mit starker Einschränkung richtige Grundsätze enthalten.
Alle Unbefangenen haben allmählich einsehen gelernt, daß sie lediglich England
und gewissen Klassen der deutschen Kaufmannswelt zu Güte kommen, und in
der festgeschlossenen, ihrer Sache gewissen Phalanx der Freihändler sind weite
Lücken entstanden, während in anderen ihrer Glieder Selbstgefühl, Zuversicht
und Ueberzeugungsgewißheit zu wanken beginnen. Die neue Reichstagsmajo¬
rität endlich ist der Beschützung der nationalen Arbeit vor der erdrückenden
Konkurrenz des Auslandes günstig gestimmt.

Und jetzt war der Moment gekommen, wo der Reichskanzler deutlicher
und immer deutlicher und zuletzt ganz offen und entschieden mit seinen inzwi¬
schen gereiften, aber noch einige Zeit vor wichtigeren Fragen und der Ungunst
der Umstände vertagten zoll- und steuerpolitischen Reformprojekten hervortreten
und Erfolg damit zu erzielen hoffen konnte.

Im vorigen Herbst erging von 204 Reichstagsabgeordneten, die sich der
bekannten "Freien volkswirthschaftlichen Vereinigung" angeschlossen hatten,
welche den Vertretern des internationalen Freihandels gegenüber unbefangen
auf praktische Erfahrungen gestützt die Reform unserer Zoll- und Handels¬
politik vertritt, eine Erklärung, die mit den Worten begann: "In den weite¬
sten Kreisen des deutschen Reiches sieht man mit Spannung einer endlichen
klaren Entschließung der verbündeten Regierungen rücksichtlich der Grundlagen
des deutschen Handelsverkehrs mit dem Auslande entgegen." Als Antwort
hierauf richtete der Reichskanzler an den Reichstagsabgeordneten v. Varnbüler


Wärme und Eifer an ihrem Theile die Verwirklichung ihrer Ideale angelegen
sein. Gegnerische Stimmen verhallten oder wurden kurz und barsch als kaum
der Beachtung werth abgefertigt. Die den Schaden hatten, dursten auch für den
Spott nicht sorgen. Hätte man einen volkswirthschaftlichen Senat gehabt, wie
er in Frankreich zum Heile der dortigen Gewerbsthätigkeit und nicht zum Un-
segen des neben ihr hergehenden Volkslebens bestand, so wäre etwas zu hoffen
gewesen. So aber hatten wir einen Reichstag, ein Zollparlament und Landtage,
wo die Mehrheit gleichermaßen der Einseitigkeit und den Vorurtheilen huldigte,
aus welchen sich die Lehre des Manchesterthums oder des Freihaudels in seiner
Uebertreibung zusammensetzt.

Dem allen gegenüber war kaum recht zu Worte zu kommen, geschweige
denn Aussicht, etwas ausrichten zu können, wenn man nicht allmächtig oder
wenn man nicht wenigstens mächtiger als der Reichskanzler war. Aber der
Himmel hat sich geklärt, die Zeiten sind andere geworden. Das Leben hat
die Theorieen der Apostel des internationalen Freihandels der Unwahrheit über¬
führt, es hat deren Schädlichkeit für Staat und Volk überzeugend für jeden,
der sehen kann und will, dargethan, es hat mindestens gezeigt, daß sie nur
halbe Wahrheiten, nur mit starker Einschränkung richtige Grundsätze enthalten.
Alle Unbefangenen haben allmählich einsehen gelernt, daß sie lediglich England
und gewissen Klassen der deutschen Kaufmannswelt zu Güte kommen, und in
der festgeschlossenen, ihrer Sache gewissen Phalanx der Freihändler sind weite
Lücken entstanden, während in anderen ihrer Glieder Selbstgefühl, Zuversicht
und Ueberzeugungsgewißheit zu wanken beginnen. Die neue Reichstagsmajo¬
rität endlich ist der Beschützung der nationalen Arbeit vor der erdrückenden
Konkurrenz des Auslandes günstig gestimmt.

Und jetzt war der Moment gekommen, wo der Reichskanzler deutlicher
und immer deutlicher und zuletzt ganz offen und entschieden mit seinen inzwi¬
schen gereiften, aber noch einige Zeit vor wichtigeren Fragen und der Ungunst
der Umstände vertagten zoll- und steuerpolitischen Reformprojekten hervortreten
und Erfolg damit zu erzielen hoffen konnte.

Im vorigen Herbst erging von 204 Reichstagsabgeordneten, die sich der
bekannten „Freien volkswirthschaftlichen Vereinigung" angeschlossen hatten,
welche den Vertretern des internationalen Freihandels gegenüber unbefangen
auf praktische Erfahrungen gestützt die Reform unserer Zoll- und Handels¬
politik vertritt, eine Erklärung, die mit den Worten begann: „In den weite¬
sten Kreisen des deutschen Reiches sieht man mit Spannung einer endlichen
klaren Entschließung der verbündeten Regierungen rücksichtlich der Grundlagen
des deutschen Handelsverkehrs mit dem Auslande entgegen." Als Antwort
hierauf richtete der Reichskanzler an den Reichstagsabgeordneten v. Varnbüler


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[0171] Wärme und Eifer an ihrem Theile die Verwirklichung ihrer Ideale angelegen sein. Gegnerische Stimmen verhallten oder wurden kurz und barsch als kaum der Beachtung werth abgefertigt. Die den Schaden hatten, dursten auch für den Spott nicht sorgen. Hätte man einen volkswirthschaftlichen Senat gehabt, wie er in Frankreich zum Heile der dortigen Gewerbsthätigkeit und nicht zum Un- segen des neben ihr hergehenden Volkslebens bestand, so wäre etwas zu hoffen gewesen. So aber hatten wir einen Reichstag, ein Zollparlament und Landtage, wo die Mehrheit gleichermaßen der Einseitigkeit und den Vorurtheilen huldigte, aus welchen sich die Lehre des Manchesterthums oder des Freihaudels in seiner Uebertreibung zusammensetzt. Dem allen gegenüber war kaum recht zu Worte zu kommen, geschweige denn Aussicht, etwas ausrichten zu können, wenn man nicht allmächtig oder wenn man nicht wenigstens mächtiger als der Reichskanzler war. Aber der Himmel hat sich geklärt, die Zeiten sind andere geworden. Das Leben hat die Theorieen der Apostel des internationalen Freihandels der Unwahrheit über¬ führt, es hat deren Schädlichkeit für Staat und Volk überzeugend für jeden, der sehen kann und will, dargethan, es hat mindestens gezeigt, daß sie nur halbe Wahrheiten, nur mit starker Einschränkung richtige Grundsätze enthalten. Alle Unbefangenen haben allmählich einsehen gelernt, daß sie lediglich England und gewissen Klassen der deutschen Kaufmannswelt zu Güte kommen, und in der festgeschlossenen, ihrer Sache gewissen Phalanx der Freihändler sind weite Lücken entstanden, während in anderen ihrer Glieder Selbstgefühl, Zuversicht und Ueberzeugungsgewißheit zu wanken beginnen. Die neue Reichstagsmajo¬ rität endlich ist der Beschützung der nationalen Arbeit vor der erdrückenden Konkurrenz des Auslandes günstig gestimmt. Und jetzt war der Moment gekommen, wo der Reichskanzler deutlicher und immer deutlicher und zuletzt ganz offen und entschieden mit seinen inzwi¬ schen gereiften, aber noch einige Zeit vor wichtigeren Fragen und der Ungunst der Umstände vertagten zoll- und steuerpolitischen Reformprojekten hervortreten und Erfolg damit zu erzielen hoffen konnte. Im vorigen Herbst erging von 204 Reichstagsabgeordneten, die sich der bekannten „Freien volkswirthschaftlichen Vereinigung" angeschlossen hatten, welche den Vertretern des internationalen Freihandels gegenüber unbefangen auf praktische Erfahrungen gestützt die Reform unserer Zoll- und Handels¬ politik vertritt, eine Erklärung, die mit den Worten begann: „In den weite¬ sten Kreisen des deutschen Reiches sieht man mit Spannung einer endlichen klaren Entschließung der verbündeten Regierungen rücksichtlich der Grundlagen des deutschen Handelsverkehrs mit dem Auslande entgegen." Als Antwort hierauf richtete der Reichskanzler an den Reichstagsabgeordneten v. Varnbüler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/171>, abgerufen am 23.07.2024.