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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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unterzugehen, ohne sich herabzustürzen. So war es in diesem Augenblick un¬
möglich, nach Ihrem Bruder zu sehen, oder zu erfahren, ob er verwundet war
oder nicht. Ich war genöthigt, in meiner Angst bis zum Ende der Zeremonie
oben zu bleiben. Nachdem ich dann, so schnell ich konnte, entschlüpft war,
fand ich Ihren Bruder in seiner Wohnung mit einer Wunde an der Stirn.
Ich war um so schmerzlicher erregt darüber, als von mehr als dreißig Personen,
welche heruntergefallen waren, keine andere, soweit ich gehört habe, verstüm¬
melt oder schwer verletzt worden ist. Der Schädelknochen ist nicht berührt,
nur das Fleisch ist verletzt." Er geht dann auf seine persönlichen Angelegen¬
heiten über und sagt: "In diesem Drang der Ereignisse kann ich keine ener¬
gischen Schritte thun, weil ich fürchte, die Königin mit meinen Privatforde¬
rungen zu belästigen . . . Sonst weiß ich, daß die Königin-Mutter mit meiner
Arbeit sehr zufrieden ist, was sie mir oft mit ihrem eigenen Munde gesagt hat,
und sie wiederholt es Jedermann. Der König hat mir auch die Ehre erwiesen,
unsere Galerie zu besuchen: es war das erste Mal, daß er seinen Fuß in den
Palast setzte, an dem man vor 16 oder 18 Jahren zu bauen begonnen hat. Ich
mußte gerade das Bett hüten, Dank einem Schuhmacher, der mir meine neuen
Stiefel gemacht und dadurch fast den Fuß verdorben hat. Ich bin zehn Tage
lang an das Bett gefesselt worden und noch jetzt empfinde ich Schmerz, wenn
ich auch schon zu Pferde steigen kann. Seine Majestät hat seine volle Zufrie¬
denheit mit meinen Malereien zu erkennen gegeben, was mir von allen wieder
erzählt worden ist, welche dabei waren, besonders von dem Herrn Abt von
Samt Ambroise. Dieser hatte die Bilder erklärt und dabei den wirklichen
Sinn mit großer Schlauheit verhehlt oder umgedeutet. Ich glaube Ihnen ge¬
schrieben zu haben, daß man ein Bild entfernt hat, welches die Abreise der
Königin von Paris darstellte, und daß ich an Stelle desselben ein ganz neues
gemalt habe, welches das Glück ihrer Regentschaft und den blühenden Zustand
des Königreichs Frankreich darstellt, sowie die Förderung der Wissenschaften
und Künste durch die Freigebigkeit und den Glanz Ihrer Majestät, welche auf
einem prächtigen Throne sitzt und in der Hand eine Waage hält, die anzeigen
soll, daß ihre Klugheit und ihr Rechtsgefühl die Welt im Gleichgewicht hält.
Dieser Gegenstand, welcher die Staatsraison, insbesondere die Frankreich's,
nicht berührt, enthält keine persönlichen Anspielungen. Er- hat sehr gefallen,
und ich glaube, daß, wenn man sich ganz auf mich verlassen hätte, die anderen
Gegenstände bei Hofe besser fortgekommen wären, ohne Aergerniß und Murren,
und in Zukunft glaube ich, daß man nicht verfehlen wird, Schwierigkeiten in
Betreff der Gegenstände der anderen Galerie zu machen. Diese sollen gefällig
sein und frei von jedem Anlaß zur Verstimmung; ihr Thema ist so umfang¬
reich und prächtig, daß es für zehn Galerieen ausreichen würde. Aber der Herr


unterzugehen, ohne sich herabzustürzen. So war es in diesem Augenblick un¬
möglich, nach Ihrem Bruder zu sehen, oder zu erfahren, ob er verwundet war
oder nicht. Ich war genöthigt, in meiner Angst bis zum Ende der Zeremonie
oben zu bleiben. Nachdem ich dann, so schnell ich konnte, entschlüpft war,
fand ich Ihren Bruder in seiner Wohnung mit einer Wunde an der Stirn.
Ich war um so schmerzlicher erregt darüber, als von mehr als dreißig Personen,
welche heruntergefallen waren, keine andere, soweit ich gehört habe, verstüm¬
melt oder schwer verletzt worden ist. Der Schädelknochen ist nicht berührt,
nur das Fleisch ist verletzt." Er geht dann auf seine persönlichen Angelegen¬
heiten über und sagt: „In diesem Drang der Ereignisse kann ich keine ener¬
gischen Schritte thun, weil ich fürchte, die Königin mit meinen Privatforde¬
rungen zu belästigen . . . Sonst weiß ich, daß die Königin-Mutter mit meiner
Arbeit sehr zufrieden ist, was sie mir oft mit ihrem eigenen Munde gesagt hat,
und sie wiederholt es Jedermann. Der König hat mir auch die Ehre erwiesen,
unsere Galerie zu besuchen: es war das erste Mal, daß er seinen Fuß in den
Palast setzte, an dem man vor 16 oder 18 Jahren zu bauen begonnen hat. Ich
mußte gerade das Bett hüten, Dank einem Schuhmacher, der mir meine neuen
Stiefel gemacht und dadurch fast den Fuß verdorben hat. Ich bin zehn Tage
lang an das Bett gefesselt worden und noch jetzt empfinde ich Schmerz, wenn
ich auch schon zu Pferde steigen kann. Seine Majestät hat seine volle Zufrie¬
denheit mit meinen Malereien zu erkennen gegeben, was mir von allen wieder
erzählt worden ist, welche dabei waren, besonders von dem Herrn Abt von
Samt Ambroise. Dieser hatte die Bilder erklärt und dabei den wirklichen
Sinn mit großer Schlauheit verhehlt oder umgedeutet. Ich glaube Ihnen ge¬
schrieben zu haben, daß man ein Bild entfernt hat, welches die Abreise der
Königin von Paris darstellte, und daß ich an Stelle desselben ein ganz neues
gemalt habe, welches das Glück ihrer Regentschaft und den blühenden Zustand
des Königreichs Frankreich darstellt, sowie die Förderung der Wissenschaften
und Künste durch die Freigebigkeit und den Glanz Ihrer Majestät, welche auf
einem prächtigen Throne sitzt und in der Hand eine Waage hält, die anzeigen
soll, daß ihre Klugheit und ihr Rechtsgefühl die Welt im Gleichgewicht hält.
Dieser Gegenstand, welcher die Staatsraison, insbesondere die Frankreich's,
nicht berührt, enthält keine persönlichen Anspielungen. Er- hat sehr gefallen,
und ich glaube, daß, wenn man sich ganz auf mich verlassen hätte, die anderen
Gegenstände bei Hofe besser fortgekommen wären, ohne Aergerniß und Murren,
und in Zukunft glaube ich, daß man nicht verfehlen wird, Schwierigkeiten in
Betreff der Gegenstände der anderen Galerie zu machen. Diese sollen gefällig
sein und frei von jedem Anlaß zur Verstimmung; ihr Thema ist so umfang¬
reich und prächtig, daß es für zehn Galerieen ausreichen würde. Aber der Herr


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[0155] unterzugehen, ohne sich herabzustürzen. So war es in diesem Augenblick un¬ möglich, nach Ihrem Bruder zu sehen, oder zu erfahren, ob er verwundet war oder nicht. Ich war genöthigt, in meiner Angst bis zum Ende der Zeremonie oben zu bleiben. Nachdem ich dann, so schnell ich konnte, entschlüpft war, fand ich Ihren Bruder in seiner Wohnung mit einer Wunde an der Stirn. Ich war um so schmerzlicher erregt darüber, als von mehr als dreißig Personen, welche heruntergefallen waren, keine andere, soweit ich gehört habe, verstüm¬ melt oder schwer verletzt worden ist. Der Schädelknochen ist nicht berührt, nur das Fleisch ist verletzt." Er geht dann auf seine persönlichen Angelegen¬ heiten über und sagt: „In diesem Drang der Ereignisse kann ich keine ener¬ gischen Schritte thun, weil ich fürchte, die Königin mit meinen Privatforde¬ rungen zu belästigen . . . Sonst weiß ich, daß die Königin-Mutter mit meiner Arbeit sehr zufrieden ist, was sie mir oft mit ihrem eigenen Munde gesagt hat, und sie wiederholt es Jedermann. Der König hat mir auch die Ehre erwiesen, unsere Galerie zu besuchen: es war das erste Mal, daß er seinen Fuß in den Palast setzte, an dem man vor 16 oder 18 Jahren zu bauen begonnen hat. Ich mußte gerade das Bett hüten, Dank einem Schuhmacher, der mir meine neuen Stiefel gemacht und dadurch fast den Fuß verdorben hat. Ich bin zehn Tage lang an das Bett gefesselt worden und noch jetzt empfinde ich Schmerz, wenn ich auch schon zu Pferde steigen kann. Seine Majestät hat seine volle Zufrie¬ denheit mit meinen Malereien zu erkennen gegeben, was mir von allen wieder erzählt worden ist, welche dabei waren, besonders von dem Herrn Abt von Samt Ambroise. Dieser hatte die Bilder erklärt und dabei den wirklichen Sinn mit großer Schlauheit verhehlt oder umgedeutet. Ich glaube Ihnen ge¬ schrieben zu haben, daß man ein Bild entfernt hat, welches die Abreise der Königin von Paris darstellte, und daß ich an Stelle desselben ein ganz neues gemalt habe, welches das Glück ihrer Regentschaft und den blühenden Zustand des Königreichs Frankreich darstellt, sowie die Förderung der Wissenschaften und Künste durch die Freigebigkeit und den Glanz Ihrer Majestät, welche auf einem prächtigen Throne sitzt und in der Hand eine Waage hält, die anzeigen soll, daß ihre Klugheit und ihr Rechtsgefühl die Welt im Gleichgewicht hält. Dieser Gegenstand, welcher die Staatsraison, insbesondere die Frankreich's, nicht berührt, enthält keine persönlichen Anspielungen. Er- hat sehr gefallen, und ich glaube, daß, wenn man sich ganz auf mich verlassen hätte, die anderen Gegenstände bei Hofe besser fortgekommen wären, ohne Aergerniß und Murren, und in Zukunft glaube ich, daß man nicht verfehlen wird, Schwierigkeiten in Betreff der Gegenstände der anderen Galerie zu machen. Diese sollen gefällig sein und frei von jedem Anlaß zur Verstimmung; ihr Thema ist so umfang¬ reich und prächtig, daß es für zehn Galerieen ausreichen würde. Aber der Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/155>, abgerufen am 23.07.2024.