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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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dem späteren christlichen Bearbeiter nach den Kreuzzügen nahe, den christlichen
Fragesteller der älteren jüdischen Bearbeitung zu einem Bekenner des Islam zu
machen. Das Märchen mag großes Aufsehen erregt und sich rasch unter den
Juden verbreitet haben. Gelehrte Juden haben vielleicht selbst zu seiner Ver¬
breitung beigetragen. Namentlich dürfte auf zwei Männer das Augenmerk zu
richten sein. Der eine ist Petrus Alphonsus, falls die Parabel bis auf Don
Pedro I. von Aragonien hinaufreichen sollte. Er hieß eigentlich Mose Sefardi
und galt bei seinen Glaubensgenossen für einen Gelehrten. Im Alter von 44
Jahren trat er jedoch zum Christenthum über. Was ihn zu diesem Schritte
bewogen, ob weltliche Rücksicht oder innere Ueberzeugung, ist nicht bekannt.
Er wurde im Jahre 1106 in Hueska am Tage Se. Peter und Paul getauft,
wo ihm der König, welcher sein Pathe war, den Namen Petrus Alphonsus
gab.*) Wenn er auch als Christ einen Dialog gegen die Juden schrieb, um
sie zum Uebertritt zum Christenthums zu bewegen, so zeigt doch die viscixlina
elsrieslls an den ingeniösen, an König Salomo's Jurisprudenz erinnernden
Urtheilssprüchen, an den zahlreichen, oft paradox klingenden, aber immerhin
Scharfsinn und Weltklugheit verrathenden Sentenzen und lakonischer Lebens¬
regeln genugsam noch das orientalische Element. Die Einflüsse seiner Abstam¬
mung waren eben in ihm stärker als die seines neuen Christenthums und
die der ritterlichen Gesellschaft, die neben ihm turnierte, mit den Mauren
kämpfte und dem Gesänge der Troubadours lauschte. Der andere Jude ist der
Dichter Manoello, welcher, wie bereits erwähnt, ein Freund Busone's war.

Prüfen wir nun noch, nachdem wir die wichtigsten inneren Gründe für
die Originalität der jüdischen Fassung zusammengestellt haben, die geschichtliche
Thatsache selbst, wie der Schedels Jehuda sie vorführt. Nach der Quelle trug
sich die Begebenheit unter Don Pedro dem "Alten" zu. Jost denkt dabei an
Pedro I. von Aragonien, welcher von 1096 bis 1106 regierte. Dieser Fürst
plante gleich bei seinem Regierungsantritte einen Kriegszug gegen die Mauren
in Spanien. Sein Vorgänger Sancho Ramirez war bei der Belagerung von
Hueska durch einen feindlichen Pfeil tödtlich verwundet worden. Don Pedro
betrachtete daher die Erwerbung Hueska's als seine Lebens- und Herrscherauf¬
gabe; seine Blicke waren sofort auf dieses Bollwerk der moslemischen Macht
im östlichen Spanien gerichtet. Es gelang ihm auch, nachdem er den Feinden
bei Alcoraz eine empfindliche Niederlage beigebracht hatte, die Stadt zu erobern.
Der Darstellung Verga's würde diese Thatsache nicht entgegenstehen. Wie
aus dem Dialoge Don Pedro's mit Nikolas hervorgeht, beabsichtigte wirklich



*) Bgl. Jost, Geschichte der Ihr. B. VI. S. 249. und M. Landau, die Quellen des
Decamerone S. 79 f.
Grenzboten I, 1879. 13

dem späteren christlichen Bearbeiter nach den Kreuzzügen nahe, den christlichen
Fragesteller der älteren jüdischen Bearbeitung zu einem Bekenner des Islam zu
machen. Das Märchen mag großes Aufsehen erregt und sich rasch unter den
Juden verbreitet haben. Gelehrte Juden haben vielleicht selbst zu seiner Ver¬
breitung beigetragen. Namentlich dürfte auf zwei Männer das Augenmerk zu
richten sein. Der eine ist Petrus Alphonsus, falls die Parabel bis auf Don
Pedro I. von Aragonien hinaufreichen sollte. Er hieß eigentlich Mose Sefardi
und galt bei seinen Glaubensgenossen für einen Gelehrten. Im Alter von 44
Jahren trat er jedoch zum Christenthum über. Was ihn zu diesem Schritte
bewogen, ob weltliche Rücksicht oder innere Ueberzeugung, ist nicht bekannt.
Er wurde im Jahre 1106 in Hueska am Tage Se. Peter und Paul getauft,
wo ihm der König, welcher sein Pathe war, den Namen Petrus Alphonsus
gab.*) Wenn er auch als Christ einen Dialog gegen die Juden schrieb, um
sie zum Uebertritt zum Christenthums zu bewegen, so zeigt doch die viscixlina
elsrieslls an den ingeniösen, an König Salomo's Jurisprudenz erinnernden
Urtheilssprüchen, an den zahlreichen, oft paradox klingenden, aber immerhin
Scharfsinn und Weltklugheit verrathenden Sentenzen und lakonischer Lebens¬
regeln genugsam noch das orientalische Element. Die Einflüsse seiner Abstam¬
mung waren eben in ihm stärker als die seines neuen Christenthums und
die der ritterlichen Gesellschaft, die neben ihm turnierte, mit den Mauren
kämpfte und dem Gesänge der Troubadours lauschte. Der andere Jude ist der
Dichter Manoello, welcher, wie bereits erwähnt, ein Freund Busone's war.

Prüfen wir nun noch, nachdem wir die wichtigsten inneren Gründe für
die Originalität der jüdischen Fassung zusammengestellt haben, die geschichtliche
Thatsache selbst, wie der Schedels Jehuda sie vorführt. Nach der Quelle trug
sich die Begebenheit unter Don Pedro dem „Alten" zu. Jost denkt dabei an
Pedro I. von Aragonien, welcher von 1096 bis 1106 regierte. Dieser Fürst
plante gleich bei seinem Regierungsantritte einen Kriegszug gegen die Mauren
in Spanien. Sein Vorgänger Sancho Ramirez war bei der Belagerung von
Hueska durch einen feindlichen Pfeil tödtlich verwundet worden. Don Pedro
betrachtete daher die Erwerbung Hueska's als seine Lebens- und Herrscherauf¬
gabe; seine Blicke waren sofort auf dieses Bollwerk der moslemischen Macht
im östlichen Spanien gerichtet. Es gelang ihm auch, nachdem er den Feinden
bei Alcoraz eine empfindliche Niederlage beigebracht hatte, die Stadt zu erobern.
Der Darstellung Verga's würde diese Thatsache nicht entgegenstehen. Wie
aus dem Dialoge Don Pedro's mit Nikolas hervorgeht, beabsichtigte wirklich



*) Bgl. Jost, Geschichte der Ihr. B. VI. S. 249. und M. Landau, die Quellen des
Decamerone S. 79 f.
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[0145] dem späteren christlichen Bearbeiter nach den Kreuzzügen nahe, den christlichen Fragesteller der älteren jüdischen Bearbeitung zu einem Bekenner des Islam zu machen. Das Märchen mag großes Aufsehen erregt und sich rasch unter den Juden verbreitet haben. Gelehrte Juden haben vielleicht selbst zu seiner Ver¬ breitung beigetragen. Namentlich dürfte auf zwei Männer das Augenmerk zu richten sein. Der eine ist Petrus Alphonsus, falls die Parabel bis auf Don Pedro I. von Aragonien hinaufreichen sollte. Er hieß eigentlich Mose Sefardi und galt bei seinen Glaubensgenossen für einen Gelehrten. Im Alter von 44 Jahren trat er jedoch zum Christenthum über. Was ihn zu diesem Schritte bewogen, ob weltliche Rücksicht oder innere Ueberzeugung, ist nicht bekannt. Er wurde im Jahre 1106 in Hueska am Tage Se. Peter und Paul getauft, wo ihm der König, welcher sein Pathe war, den Namen Petrus Alphonsus gab.*) Wenn er auch als Christ einen Dialog gegen die Juden schrieb, um sie zum Uebertritt zum Christenthums zu bewegen, so zeigt doch die viscixlina elsrieslls an den ingeniösen, an König Salomo's Jurisprudenz erinnernden Urtheilssprüchen, an den zahlreichen, oft paradox klingenden, aber immerhin Scharfsinn und Weltklugheit verrathenden Sentenzen und lakonischer Lebens¬ regeln genugsam noch das orientalische Element. Die Einflüsse seiner Abstam¬ mung waren eben in ihm stärker als die seines neuen Christenthums und die der ritterlichen Gesellschaft, die neben ihm turnierte, mit den Mauren kämpfte und dem Gesänge der Troubadours lauschte. Der andere Jude ist der Dichter Manoello, welcher, wie bereits erwähnt, ein Freund Busone's war. Prüfen wir nun noch, nachdem wir die wichtigsten inneren Gründe für die Originalität der jüdischen Fassung zusammengestellt haben, die geschichtliche Thatsache selbst, wie der Schedels Jehuda sie vorführt. Nach der Quelle trug sich die Begebenheit unter Don Pedro dem „Alten" zu. Jost denkt dabei an Pedro I. von Aragonien, welcher von 1096 bis 1106 regierte. Dieser Fürst plante gleich bei seinem Regierungsantritte einen Kriegszug gegen die Mauren in Spanien. Sein Vorgänger Sancho Ramirez war bei der Belagerung von Hueska durch einen feindlichen Pfeil tödtlich verwundet worden. Don Pedro betrachtete daher die Erwerbung Hueska's als seine Lebens- und Herrscherauf¬ gabe; seine Blicke waren sofort auf dieses Bollwerk der moslemischen Macht im östlichen Spanien gerichtet. Es gelang ihm auch, nachdem er den Feinden bei Alcoraz eine empfindliche Niederlage beigebracht hatte, die Stadt zu erobern. Der Darstellung Verga's würde diese Thatsache nicht entgegenstehen. Wie aus dem Dialoge Don Pedro's mit Nikolas hervorgeht, beabsichtigte wirklich *) Bgl. Jost, Geschichte der Ihr. B. VI. S. 249. und M. Landau, die Quellen des Decamerone S. 79 f. Grenzboten I, 1879. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/145>, abgerufen am 23.07.2024.