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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Herausgeber und Uebersetzer des Schedels Jehuda, ist sogar noch einen Schritt
weiter gegangen, indem er in einem Aufsatze des Werthheimer Jahrbuchs für
Jsraeliten (1857), S. 171--79 nicht nur auf die im Schedels Jehuda ent¬
haltene Erzählung aufmerksam gemacht und dieselbe mit den verschiedenen Dar¬
stellungen verglichen, sondern sie auch als ursprüngliche Quelle erwiesen hat.
Das Resultat seiner Untersuchung läßt sich kurz in die zwei Sätze zusammen¬
fassen: Die jüdische Relation des Märchens ist ein Produkt des jüdischen
Scharfsinns, und sie hat die meiste historische Glaubwürdigkeit und den größten
ethischen Werth. Nach Wiener ist endlich auch noch von Marcus Landau in
seinem Werke über die Quellen des Decamerone (Wien, 1869) die jüdische
Bearbeitung herangezogen worden, ohne daß er jedoch in ihr die Quelle für
die italienischen Fassungen erblickte.

Daß die Parabel einen Juden zum Verfasser hat, darüber kann wohl
kaum ein Zweifel sein. Eine Frage der schwierigsten Art ist dagegen die, ob
die in der jüdischen Quelle angeführte historische Thatsache ihr wirklich zu
Grunde liegt und zu Grunde liegen kann. Die Erzählung, wie sie sich im
Schedels Jehuda (Kap. 32.) findet, lautet folgendermaßen:

König Don Pedro der Alte wollte einen Kriegszug gegen die Ungläubigen
unternehmen. Da sprach zu ihm der weise Nikolas von Valencia: "Warum
willst du gegen die Feinde draußen ziehen und die Ungläubigen im eigenen
Lande, die Juden, verschonen, deren Haß doch groß gegen uns ist, und in
deren Schriften es heißt, daß sie uns nicht grüßen dürfen?" -- "Hast du das
mit eigenen Ohren gehört?" fragte der König, worauf Nikolas erwiederte, er
habe es von einem getauften Juden vernommen. "Einem solchen darf man
nicht glauben, warf der König ein, "denn wer feine Religion wechselt, dem
fällt es auch nicht schwer, seine Worte zu wechseln. Zudem ist der Haß, der
in Folge der Verschiedenheit des Bekenntnisses entsteht, oft nur ein zufälliger,
indem man dabei nur die Liebe zu seinem eigenen an den Tag legen will." --
"Mich schmerzt nichts mehr," fuhr Nikolas fort, "als die Unverschämtheit jener,
so daß sie dir in's Gesicht sagen werden: Unser Herr, dein Bekenntniß ist ein
irriges." Der König sprach: "So möge einer der jüdischen Weisen gerufen
werden, den wir fragen wollen." Darauf erschien ein Jude Namens Ephraim Sancho
Der König sprach zu ihm: "Ich habe dich rufen lassen, damit du mir sagest,
welches von den beiden Gesetzen das bessere sei, das Gesetz Jesu oder das
deinige." Der Weise versetzte: "Mein Gesetz ist bester für mich, in Beziehung
auf meine Verhältnisse, da ich dereinst in Egypten Sklave war, von dort aber
von Gott durch Wunder und Zeichen herausgeführt worden bin; für dich aber
ist dein Gesetz besser, da es fortwährend das herrschende ist." -- "Ich frage
in Rücksicht auf die Gesetze selbst," fuhr der König fort, "und nicht in Rücksicht


Herausgeber und Uebersetzer des Schedels Jehuda, ist sogar noch einen Schritt
weiter gegangen, indem er in einem Aufsatze des Werthheimer Jahrbuchs für
Jsraeliten (1857), S. 171—79 nicht nur auf die im Schedels Jehuda ent¬
haltene Erzählung aufmerksam gemacht und dieselbe mit den verschiedenen Dar¬
stellungen verglichen, sondern sie auch als ursprüngliche Quelle erwiesen hat.
Das Resultat seiner Untersuchung läßt sich kurz in die zwei Sätze zusammen¬
fassen: Die jüdische Relation des Märchens ist ein Produkt des jüdischen
Scharfsinns, und sie hat die meiste historische Glaubwürdigkeit und den größten
ethischen Werth. Nach Wiener ist endlich auch noch von Marcus Landau in
seinem Werke über die Quellen des Decamerone (Wien, 1869) die jüdische
Bearbeitung herangezogen worden, ohne daß er jedoch in ihr die Quelle für
die italienischen Fassungen erblickte.

Daß die Parabel einen Juden zum Verfasser hat, darüber kann wohl
kaum ein Zweifel sein. Eine Frage der schwierigsten Art ist dagegen die, ob
die in der jüdischen Quelle angeführte historische Thatsache ihr wirklich zu
Grunde liegt und zu Grunde liegen kann. Die Erzählung, wie sie sich im
Schedels Jehuda (Kap. 32.) findet, lautet folgendermaßen:

König Don Pedro der Alte wollte einen Kriegszug gegen die Ungläubigen
unternehmen. Da sprach zu ihm der weise Nikolas von Valencia: „Warum
willst du gegen die Feinde draußen ziehen und die Ungläubigen im eigenen
Lande, die Juden, verschonen, deren Haß doch groß gegen uns ist, und in
deren Schriften es heißt, daß sie uns nicht grüßen dürfen?" — „Hast du das
mit eigenen Ohren gehört?" fragte der König, worauf Nikolas erwiederte, er
habe es von einem getauften Juden vernommen. „Einem solchen darf man
nicht glauben, warf der König ein, „denn wer feine Religion wechselt, dem
fällt es auch nicht schwer, seine Worte zu wechseln. Zudem ist der Haß, der
in Folge der Verschiedenheit des Bekenntnisses entsteht, oft nur ein zufälliger,
indem man dabei nur die Liebe zu seinem eigenen an den Tag legen will." —
„Mich schmerzt nichts mehr," fuhr Nikolas fort, „als die Unverschämtheit jener,
so daß sie dir in's Gesicht sagen werden: Unser Herr, dein Bekenntniß ist ein
irriges." Der König sprach: „So möge einer der jüdischen Weisen gerufen
werden, den wir fragen wollen." Darauf erschien ein Jude Namens Ephraim Sancho
Der König sprach zu ihm: „Ich habe dich rufen lassen, damit du mir sagest,
welches von den beiden Gesetzen das bessere sei, das Gesetz Jesu oder das
deinige." Der Weise versetzte: „Mein Gesetz ist bester für mich, in Beziehung
auf meine Verhältnisse, da ich dereinst in Egypten Sklave war, von dort aber
von Gott durch Wunder und Zeichen herausgeführt worden bin; für dich aber
ist dein Gesetz besser, da es fortwährend das herrschende ist." — „Ich frage
in Rücksicht auf die Gesetze selbst," fuhr der König fort, „und nicht in Rücksicht


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[0139] Herausgeber und Uebersetzer des Schedels Jehuda, ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen, indem er in einem Aufsatze des Werthheimer Jahrbuchs für Jsraeliten (1857), S. 171—79 nicht nur auf die im Schedels Jehuda ent¬ haltene Erzählung aufmerksam gemacht und dieselbe mit den verschiedenen Dar¬ stellungen verglichen, sondern sie auch als ursprüngliche Quelle erwiesen hat. Das Resultat seiner Untersuchung läßt sich kurz in die zwei Sätze zusammen¬ fassen: Die jüdische Relation des Märchens ist ein Produkt des jüdischen Scharfsinns, und sie hat die meiste historische Glaubwürdigkeit und den größten ethischen Werth. Nach Wiener ist endlich auch noch von Marcus Landau in seinem Werke über die Quellen des Decamerone (Wien, 1869) die jüdische Bearbeitung herangezogen worden, ohne daß er jedoch in ihr die Quelle für die italienischen Fassungen erblickte. Daß die Parabel einen Juden zum Verfasser hat, darüber kann wohl kaum ein Zweifel sein. Eine Frage der schwierigsten Art ist dagegen die, ob die in der jüdischen Quelle angeführte historische Thatsache ihr wirklich zu Grunde liegt und zu Grunde liegen kann. Die Erzählung, wie sie sich im Schedels Jehuda (Kap. 32.) findet, lautet folgendermaßen: König Don Pedro der Alte wollte einen Kriegszug gegen die Ungläubigen unternehmen. Da sprach zu ihm der weise Nikolas von Valencia: „Warum willst du gegen die Feinde draußen ziehen und die Ungläubigen im eigenen Lande, die Juden, verschonen, deren Haß doch groß gegen uns ist, und in deren Schriften es heißt, daß sie uns nicht grüßen dürfen?" — „Hast du das mit eigenen Ohren gehört?" fragte der König, worauf Nikolas erwiederte, er habe es von einem getauften Juden vernommen. „Einem solchen darf man nicht glauben, warf der König ein, „denn wer feine Religion wechselt, dem fällt es auch nicht schwer, seine Worte zu wechseln. Zudem ist der Haß, der in Folge der Verschiedenheit des Bekenntnisses entsteht, oft nur ein zufälliger, indem man dabei nur die Liebe zu seinem eigenen an den Tag legen will." — „Mich schmerzt nichts mehr," fuhr Nikolas fort, „als die Unverschämtheit jener, so daß sie dir in's Gesicht sagen werden: Unser Herr, dein Bekenntniß ist ein irriges." Der König sprach: „So möge einer der jüdischen Weisen gerufen werden, den wir fragen wollen." Darauf erschien ein Jude Namens Ephraim Sancho Der König sprach zu ihm: „Ich habe dich rufen lassen, damit du mir sagest, welches von den beiden Gesetzen das bessere sei, das Gesetz Jesu oder das deinige." Der Weise versetzte: „Mein Gesetz ist bester für mich, in Beziehung auf meine Verhältnisse, da ich dereinst in Egypten Sklave war, von dort aber von Gott durch Wunder und Zeichen herausgeführt worden bin; für dich aber ist dein Gesetz besser, da es fortwährend das herrschende ist." — „Ich frage in Rücksicht auf die Gesetze selbst," fuhr der König fort, „und nicht in Rücksicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/139>, abgerufen am 23.07.2024.