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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Am 5. Dezember 1872 wurde auf Vorschlag des Justizministers Dufaure
eine Kommission zur Regelung der Beziehungen der Staatsgewalten gewählt,
in welcher die Rechte die entschiedene Mehrheit hatte. Am 13. März 1873
nahm die Nationalversammlung den Antrag dieser Kommission, nicht eher
auseinanderzugehen, als bis über die Organisation der legislativen''und der
exekutiven Gewalt und über die Errichtung und die Befugnisse einer ersten
Kammer entschieden sei, mit 411 gegen 237 Stimmen an. Am 2. April zwang
die Majorität der Versammlung Grevy, ihren republikanisch gesinnten Präsi¬
denten, zur Niederlegung seines Amtes und ersetzte ihn durch Büffet, den
Kandidaten der Rechten. Am 24. Mai endlich wurde Thiers, nachdem er die
Erklärung abgegeben, die Monarchie sei vorläufig eine Unmöglichkeit, die Repu¬
blik eine Nothwendigkeit, durch ein Mißtrauensvotum zum Rücktritt genöthigt
und der Marschall Mac Mahon zum Präsidenten > gewählt. Derselbe umgab
sich mit einem Ministerium, das aus den Reihen der drei monarchischen Frak¬
tionen zusammengesetzt und dessen Leiter Broglie war. Nachdem die National¬
versammlung im Einklang mit diesem Ministerium mehrere Gesetzvorschläge er¬
ledigt hatte, von denen einer die Klerikalen begünstigte, ein anderer das von
Thiers eingeführte Schutzzollsystem stürzte, vertagte sie sich im Juli. Ein
abermaliger Versuch, eine Verschmelzung der Legitimsten mit den Orleanisten
zu Stande zu bringen, hatte keinen besseren Erfolg als der erste. Anfangs
August erschien der Graf von Paris in Frohsdorf beim Grafen Chambord,
um ihm als oberstem Vertreter des monarchischen Prinzips in Frankreich zu
huldigen, und schon hatte sich die Mehrheit der Rechten zu einem Antrag auf
Zurückführung des "Königs Heinrich V." auf den französischen Thron ver¬
einigt, als durch ein Schreiben des Frohsdorfer Exulanten, welches jedes Zu¬
geständnis; an die modernen Vorstellungen von Staat, Regierung und Kirche
verweigerte, alle Hoffnungen auf das Gelingen der bourbonischen Restauration
zu nichte gemacht wurden.

Die Rechte gab deshalb ihre Sache noch keineswegs auf. Ihre drei Frak¬
tionen verbanden sich zur Verlängerung und Ausbeutung des Provisoriums,
und als Mac Mahon die Herstellung einer dauernden und starken Exekutivge¬
walt verlangte, beschloß die Versammlung am 20. November die Verlängerung
seiner Präsidentur auf sieben Jahre. Unter dem neuen Kabinet, mit dem er
sich umgab, und in dem Broglie den Vorsitz behielt, gedieh vor Allem der
Ultramontanismus, der in den Hirtenbriefen seiner Bischöfe die feindselige Ge¬
sinnung gegen Deutschland, die ihn beseelte, deutlich kund gab und sein son¬
stiges Wesen in zahlreichen Erscheinungen der Mutter Gottes, Wundern und
zahlreich besuchten Wallfahrten äußerte. Verschiedene reaktionäre Gesetzent¬
würfe der Regierung des Präsidenten wurden von der Mehrheit der Abgeord-


Am 5. Dezember 1872 wurde auf Vorschlag des Justizministers Dufaure
eine Kommission zur Regelung der Beziehungen der Staatsgewalten gewählt,
in welcher die Rechte die entschiedene Mehrheit hatte. Am 13. März 1873
nahm die Nationalversammlung den Antrag dieser Kommission, nicht eher
auseinanderzugehen, als bis über die Organisation der legislativen''und der
exekutiven Gewalt und über die Errichtung und die Befugnisse einer ersten
Kammer entschieden sei, mit 411 gegen 237 Stimmen an. Am 2. April zwang
die Majorität der Versammlung Grevy, ihren republikanisch gesinnten Präsi¬
denten, zur Niederlegung seines Amtes und ersetzte ihn durch Büffet, den
Kandidaten der Rechten. Am 24. Mai endlich wurde Thiers, nachdem er die
Erklärung abgegeben, die Monarchie sei vorläufig eine Unmöglichkeit, die Repu¬
blik eine Nothwendigkeit, durch ein Mißtrauensvotum zum Rücktritt genöthigt
und der Marschall Mac Mahon zum Präsidenten > gewählt. Derselbe umgab
sich mit einem Ministerium, das aus den Reihen der drei monarchischen Frak¬
tionen zusammengesetzt und dessen Leiter Broglie war. Nachdem die National¬
versammlung im Einklang mit diesem Ministerium mehrere Gesetzvorschläge er¬
ledigt hatte, von denen einer die Klerikalen begünstigte, ein anderer das von
Thiers eingeführte Schutzzollsystem stürzte, vertagte sie sich im Juli. Ein
abermaliger Versuch, eine Verschmelzung der Legitimsten mit den Orleanisten
zu Stande zu bringen, hatte keinen besseren Erfolg als der erste. Anfangs
August erschien der Graf von Paris in Frohsdorf beim Grafen Chambord,
um ihm als oberstem Vertreter des monarchischen Prinzips in Frankreich zu
huldigen, und schon hatte sich die Mehrheit der Rechten zu einem Antrag auf
Zurückführung des „Königs Heinrich V." auf den französischen Thron ver¬
einigt, als durch ein Schreiben des Frohsdorfer Exulanten, welches jedes Zu¬
geständnis; an die modernen Vorstellungen von Staat, Regierung und Kirche
verweigerte, alle Hoffnungen auf das Gelingen der bourbonischen Restauration
zu nichte gemacht wurden.

Die Rechte gab deshalb ihre Sache noch keineswegs auf. Ihre drei Frak¬
tionen verbanden sich zur Verlängerung und Ausbeutung des Provisoriums,
und als Mac Mahon die Herstellung einer dauernden und starken Exekutivge¬
walt verlangte, beschloß die Versammlung am 20. November die Verlängerung
seiner Präsidentur auf sieben Jahre. Unter dem neuen Kabinet, mit dem er
sich umgab, und in dem Broglie den Vorsitz behielt, gedieh vor Allem der
Ultramontanismus, der in den Hirtenbriefen seiner Bischöfe die feindselige Ge¬
sinnung gegen Deutschland, die ihn beseelte, deutlich kund gab und sein son¬
stiges Wesen in zahlreichen Erscheinungen der Mutter Gottes, Wundern und
zahlreich besuchten Wallfahrten äußerte. Verschiedene reaktionäre Gesetzent¬
würfe der Regierung des Präsidenten wurden von der Mehrheit der Abgeord-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/131>, abgerufen am 23.07.2024.