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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Im fünften Jahrhundert war von Anhängern der lyrischen Lehre keiner
mehr vorhanden, nur eine Erscheinung in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahr¬
hunderts zeigte einige verwandtschaftliche Züge mit den Lehren des Kynosarges.
Es waren dies die Dogmen der Turiluvini, von denen Alexander Rossäus in
seinem Buche über die Religionen der Welt berichtet. In späterer Zeit fand
der Satz des Spinoza: Intöllsetus 6t voluntas umira se iäsra sunt (Verstand
und Wille sind ein und dasselbe), welcher den Kardinalpunkt der lyrischen
Lehre bildet, Vertreter in großer Zahl, die aber alle durch einen gewissen Zug
von Familienähnlichkeit an Diogenes, den Kynosargiten, erinnern.




Kobert Mayer.
(am 20. März 1S78.) II.

Das Leben der Männer, welche die geistige Entwickelung, Befreiung und
Veredelung der Menschheit durch bahnbrechende Thaten gefördert haben, erweckt
unser höchstes Interesse. Dankbar erinnern wir uns ihrer; die Dankbarkeit
aber steigert sich zu pietätvoller Verehrung, wenn ein großer Geist für die
Wahrheiten, die er der Welt offenbarte, feindlichen Gewalten, dem Egoismus
und dem Neide des Unverstandes, sein Lebensglück hinopfern mußte. Robert
Mayer hatte dies harte Loos gezogen.

Wir haben die Entdeckung Mayer's mit derjenigen Galilei's auf gleiche
Stufe gestellt. Diese Nebenordnung ist nicht erschöpfend. Auch das persönliche
Schicksal beider Denker hat ähnliche Züge aufzuweisen. Galilei, von dessen
Ruhm Europa voll war, als seine Entdeckungen zuerst bekannt wurden, mußte
als Greis die Qualen der Folter") und einer langen Haft erdulden. Mayer,
ohne Anerkennung und ohne Freunde, mit denen er über seine Ideen hätte
verkehren können, verspottet von Feinden und Neidern, wurde im Zwangsstuhle
des Irrenhauses vom "Größenwahn" kurirt und fand erst am Abende seines
Lebens etwas von dem Ruhme, der ihm gebührt.

Erst kurz vor dem Tode Mayer's ist die ganze Tragik seines Schicksals
bekannt geworden. Dühring, der seit Jahren für die wissenschaftlichen Ver-



*) Daß Galilei gefoltert wurde, nehmen wir nicht trotz der neuesten Veröffentlichungen
Gehler's an, sondern gerade diese sind es, welche eine solche Auffassung des Galilei'schen
Prozesses bei uns hervorgerufen und befestigt haben.

Im fünften Jahrhundert war von Anhängern der lyrischen Lehre keiner
mehr vorhanden, nur eine Erscheinung in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahr¬
hunderts zeigte einige verwandtschaftliche Züge mit den Lehren des Kynosarges.
Es waren dies die Dogmen der Turiluvini, von denen Alexander Rossäus in
seinem Buche über die Religionen der Welt berichtet. In späterer Zeit fand
der Satz des Spinoza: Intöllsetus 6t voluntas umira se iäsra sunt (Verstand
und Wille sind ein und dasselbe), welcher den Kardinalpunkt der lyrischen
Lehre bildet, Vertreter in großer Zahl, die aber alle durch einen gewissen Zug
von Familienähnlichkeit an Diogenes, den Kynosargiten, erinnern.




Kobert Mayer.
(am 20. März 1S78.) II.

Das Leben der Männer, welche die geistige Entwickelung, Befreiung und
Veredelung der Menschheit durch bahnbrechende Thaten gefördert haben, erweckt
unser höchstes Interesse. Dankbar erinnern wir uns ihrer; die Dankbarkeit
aber steigert sich zu pietätvoller Verehrung, wenn ein großer Geist für die
Wahrheiten, die er der Welt offenbarte, feindlichen Gewalten, dem Egoismus
und dem Neide des Unverstandes, sein Lebensglück hinopfern mußte. Robert
Mayer hatte dies harte Loos gezogen.

Wir haben die Entdeckung Mayer's mit derjenigen Galilei's auf gleiche
Stufe gestellt. Diese Nebenordnung ist nicht erschöpfend. Auch das persönliche
Schicksal beider Denker hat ähnliche Züge aufzuweisen. Galilei, von dessen
Ruhm Europa voll war, als seine Entdeckungen zuerst bekannt wurden, mußte
als Greis die Qualen der Folter") und einer langen Haft erdulden. Mayer,
ohne Anerkennung und ohne Freunde, mit denen er über seine Ideen hätte
verkehren können, verspottet von Feinden und Neidern, wurde im Zwangsstuhle
des Irrenhauses vom „Größenwahn" kurirt und fand erst am Abende seines
Lebens etwas von dem Ruhme, der ihm gebührt.

Erst kurz vor dem Tode Mayer's ist die ganze Tragik seines Schicksals
bekannt geworden. Dühring, der seit Jahren für die wissenschaftlichen Ver-



*) Daß Galilei gefoltert wurde, nehmen wir nicht trotz der neuesten Veröffentlichungen
Gehler's an, sondern gerade diese sind es, welche eine solche Auffassung des Galilei'schen
Prozesses bei uns hervorgerufen und befestigt haben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/100>, abgerufen am 24.07.2024.