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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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deuten Liebespaar unter der Linde und ähnliche interessante Stoffe nach und
nach bei Seite und schauen sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft um. So
ein Gänsemarkt auf dem Berliner Schillerplatz, wie ihn Albert Conrad gut
beobachtet und treu und charakteristisch wiedergegeben hat, ist hundertmal mehr
werth als ein paar schöne Dämchen in koketten Rokokokostümen, die in einem
mit allerhand Chinoiserieen ausstaffirter Salon sitzen. Nur aus der immer¬
währenden Berührung mit dem Leben der Gegenwart kann die Kunst neue
Impulse und neue Kräfte schöpfen. Mit der ewigen Stoff- und Modellpup¬
penmalerei kommt sie nicht einen Schritt vorwärts. Da ist die Verzopfung
unausbleiblich. Das haben glücklicherweise noch andere eingesehen, z. B. Kraus,
der einen Leiermann aus dem Berliner Thiergarten gemalt hat, dem sein Töch¬
terchen zur Winterszeit den erwärmenden Nachmittagskaffee bringt, und A.
Jacob, der zwei glückliche Griffe in das Berliner Straßenleben gethan hat.
Die Leser erinnern sich vielleicht aus meinen Berichten über die Pariser Welt¬
ausstellung des Jtalieners de Nittis, der mit so frappirender Wahrheit und
mit einem hervorragenden koloristischen Talente Szenen aus dem Leben und
Treiben der beiden Weltstädte Paris und London darzustellen weiß. An ihn
erinnert Jacob, der freilich mehr Landschafts- als Genremaler ist, während de
Nittis beide Seiten zu einer seltenen Harmonie vereinigt. Dem Berliner Maler
fehlt die Noblesse des Jtalieners und vor allen Dingen seine künstlerische Bil¬
dung. Er ist viel derber, sein Kolorit ist roher, sein Pinsel struppiger. Er
malt mit Vorliebe nicht das Schöne, das Angenehme, sondern das Reizlose,
Triste, Melancholische bis zum Häßlichen und Trivialen. So zeigt er uns
auf den beiden Bildern, die uns zu dieser Charakteristik den Stoff geliefert
haben, die Situation und den Verkehr einer Berliner Straße in der Vorstadt
bei Regenwetter und den Eingang zu einem Kirchhofe mit harrenden Wagen,
mit Blumenverkäuferinnen und Besuchern in trostloser Herbstzeit. Er gehört
einer Sekte von Berliner Malern an, die der wunderlichen Ansicht huldigen,
daß das Leben und die Natur von ihren Kehr- und Nachtseiten die dankbar¬
sten künstlerischen Motive darböten. Man würde über diese sonderbaren Käuze
kein Wort verlieren, wenn sich nicht unter ihnen einige von unleugbaren Talent
befänden, außer jenem Jacob noch Max Liebermann, ein eigensinniges Genie,
das sich am behaglichsten fühlt, wenn es im Schmutze waten kann.

Wir beeilen uns, von diesen Schmutzmalern wieder in reinliche Gesellschaft
zu kommen. Fritz Werner, der den Ehrennamen des deutschen Meissonnier
mit vollstem Rechte trägt, hat auch einmal die Zeit des Rokoko verlassen, um
einen Griff in die Gegenwart zu thun. Er hat sich zugleich wieder als aus¬
gezeichneter, das Charakteristische der Formen scharf erfassender Architekturmaler
gezeigt, indem er das alte Thor des märkischen Städtchens Tangermünde und


deuten Liebespaar unter der Linde und ähnliche interessante Stoffe nach und
nach bei Seite und schauen sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft um. So
ein Gänsemarkt auf dem Berliner Schillerplatz, wie ihn Albert Conrad gut
beobachtet und treu und charakteristisch wiedergegeben hat, ist hundertmal mehr
werth als ein paar schöne Dämchen in koketten Rokokokostümen, die in einem
mit allerhand Chinoiserieen ausstaffirter Salon sitzen. Nur aus der immer¬
währenden Berührung mit dem Leben der Gegenwart kann die Kunst neue
Impulse und neue Kräfte schöpfen. Mit der ewigen Stoff- und Modellpup¬
penmalerei kommt sie nicht einen Schritt vorwärts. Da ist die Verzopfung
unausbleiblich. Das haben glücklicherweise noch andere eingesehen, z. B. Kraus,
der einen Leiermann aus dem Berliner Thiergarten gemalt hat, dem sein Töch¬
terchen zur Winterszeit den erwärmenden Nachmittagskaffee bringt, und A.
Jacob, der zwei glückliche Griffe in das Berliner Straßenleben gethan hat.
Die Leser erinnern sich vielleicht aus meinen Berichten über die Pariser Welt¬
ausstellung des Jtalieners de Nittis, der mit so frappirender Wahrheit und
mit einem hervorragenden koloristischen Talente Szenen aus dem Leben und
Treiben der beiden Weltstädte Paris und London darzustellen weiß. An ihn
erinnert Jacob, der freilich mehr Landschafts- als Genremaler ist, während de
Nittis beide Seiten zu einer seltenen Harmonie vereinigt. Dem Berliner Maler
fehlt die Noblesse des Jtalieners und vor allen Dingen seine künstlerische Bil¬
dung. Er ist viel derber, sein Kolorit ist roher, sein Pinsel struppiger. Er
malt mit Vorliebe nicht das Schöne, das Angenehme, sondern das Reizlose,
Triste, Melancholische bis zum Häßlichen und Trivialen. So zeigt er uns
auf den beiden Bildern, die uns zu dieser Charakteristik den Stoff geliefert
haben, die Situation und den Verkehr einer Berliner Straße in der Vorstadt
bei Regenwetter und den Eingang zu einem Kirchhofe mit harrenden Wagen,
mit Blumenverkäuferinnen und Besuchern in trostloser Herbstzeit. Er gehört
einer Sekte von Berliner Malern an, die der wunderlichen Ansicht huldigen,
daß das Leben und die Natur von ihren Kehr- und Nachtseiten die dankbar¬
sten künstlerischen Motive darböten. Man würde über diese sonderbaren Käuze
kein Wort verlieren, wenn sich nicht unter ihnen einige von unleugbaren Talent
befänden, außer jenem Jacob noch Max Liebermann, ein eigensinniges Genie,
das sich am behaglichsten fühlt, wenn es im Schmutze waten kann.

Wir beeilen uns, von diesen Schmutzmalern wieder in reinliche Gesellschaft
zu kommen. Fritz Werner, der den Ehrennamen des deutschen Meissonnier
mit vollstem Rechte trägt, hat auch einmal die Zeit des Rokoko verlassen, um
einen Griff in die Gegenwart zu thun. Er hat sich zugleich wieder als aus¬
gezeichneter, das Charakteristische der Formen scharf erfassender Architekturmaler
gezeigt, indem er das alte Thor des märkischen Städtchens Tangermünde und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/91>, abgerufen am 05.02.2025.