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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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jede Konzentration auf einen Mittelpunkt, ja fast auch jede Sonderung in
Gruppen fehlt und auch fehlen mußte, wenn der Maler seinen Zweck, den An¬
prall der mit elementarer Gewalt heranrasenden Polen zu versinnlichen, er¬
reichen wollte. Mit einer regelrechten, leicht zu überschauenden Komposition
wäre hier nichts gethan. So mußte das Kolorit die Einheit und die Haltung
wieder einbringen, und das ist dem Maler durchaus gelungen. Gewitterschwere
Wolken haben sich am Himmel zusammengeballt, ein fahles, graues Licht fällt
auf das undurchdringliche Menschengewimmel, auf die aufgewirbelten Staub-
massen und die baumlose Steppe, die links vom Beschauer von Sümpfen kou-
pirt ist, durch welche sich einige von den Tartaren zu retten suchen. Ganz im
Vordergrunde jagt ein Mongole mit einem schönen polnischen Weibe davon,
das sich halbnackt mit der Kraft der Verzweiflung gegen den Räuber wehrt,
den im nächsten Augenblicke sein Geschick ereilen wird. Unweit davon erwartet
eine Gruppe vornehmer Frauen um einen Priester geschaart die heranstürmen¬
den Befreier. Jeder Zug, jeder Pinselstrich des Bildes ist vom höchsten In¬
teresse. Aber die eigenthümliche, fast wilde Genialität des Künstlers dürfte
mehr auf Rechnung seiner slavischen Herkunft, als auf die feiner deutschen Er¬
ziehung zu setzen sein. So könnten wir diese interessante künstlerische Indivi¬
dualität nur zum Theil für die deutsche Kunst in Anspruch nehmen.

Die neuere und neueste Geschichte hat unseren Malern in diesem Jahre
nur wenige Motive geboten. Camphausen würde sich mit seiner Episode
aus der Schlacht bei Fehrbellin, die uns nicht viel beredter als eine Illustra¬
tion für eine Jugendschrift den Augenblick schildert, wie der große Kurfürst
von seinen Dragonern aus einer gefahrdrohenden Umschlingung der Schweden
herausgehauen wird, kein neues Blatt für seinen Ruhmeskranz verdient haben,
wenn er nicht zugleich eine andere bedeutsame, für den Hauptbetheiligten minder
gut abgelaufene Katastrophe aus einer Entscheidungsschlacht, nämlich den Dezem¬
bermann im Granatfeuer von Sedan, dargestellt hätte. Es ist wirklich durch
glaubwürdige Berichte bestätigt worden, daß die Worte, mit denen Napoleon
seinen Brief an König Wilhelm begann: ^'a^ut mourir wilisu
as rues trouxss, nicht hohle Phrase gewesen sind. Die Granaten, die also vor
dem verzweifelten Kaiser niederfahren und explodiren, sind keine Mythe. Wir
wollen auch glauben, daß der Mann, der mit übernächtigen Mienen im Sattel
hängt, so geschlottert hat, wie es uns Camphausen in seiner Charakteristik zeigt.
Der Kaiser hält auf seinem Pferde, das in seiner Angst vor dem Prasseln der
zerspringenden Granaten meisterhaft dargestellt ist, ganz im Vordergrunde, hinter
ihm einige Generäle. Noch weiter im Fond sieht man Truppen vorüberziehen,
deren Disziplin bereits gelockert ist. Einer der Soldaten streckt die geballte
Faust nach dem gebrochenen Cäsar aus. Es ist ein Bild, das nach der Seite


jede Konzentration auf einen Mittelpunkt, ja fast auch jede Sonderung in
Gruppen fehlt und auch fehlen mußte, wenn der Maler seinen Zweck, den An¬
prall der mit elementarer Gewalt heranrasenden Polen zu versinnlichen, er¬
reichen wollte. Mit einer regelrechten, leicht zu überschauenden Komposition
wäre hier nichts gethan. So mußte das Kolorit die Einheit und die Haltung
wieder einbringen, und das ist dem Maler durchaus gelungen. Gewitterschwere
Wolken haben sich am Himmel zusammengeballt, ein fahles, graues Licht fällt
auf das undurchdringliche Menschengewimmel, auf die aufgewirbelten Staub-
massen und die baumlose Steppe, die links vom Beschauer von Sümpfen kou-
pirt ist, durch welche sich einige von den Tartaren zu retten suchen. Ganz im
Vordergrunde jagt ein Mongole mit einem schönen polnischen Weibe davon,
das sich halbnackt mit der Kraft der Verzweiflung gegen den Räuber wehrt,
den im nächsten Augenblicke sein Geschick ereilen wird. Unweit davon erwartet
eine Gruppe vornehmer Frauen um einen Priester geschaart die heranstürmen¬
den Befreier. Jeder Zug, jeder Pinselstrich des Bildes ist vom höchsten In¬
teresse. Aber die eigenthümliche, fast wilde Genialität des Künstlers dürfte
mehr auf Rechnung seiner slavischen Herkunft, als auf die feiner deutschen Er¬
ziehung zu setzen sein. So könnten wir diese interessante künstlerische Indivi¬
dualität nur zum Theil für die deutsche Kunst in Anspruch nehmen.

Die neuere und neueste Geschichte hat unseren Malern in diesem Jahre
nur wenige Motive geboten. Camphausen würde sich mit seiner Episode
aus der Schlacht bei Fehrbellin, die uns nicht viel beredter als eine Illustra¬
tion für eine Jugendschrift den Augenblick schildert, wie der große Kurfürst
von seinen Dragonern aus einer gefahrdrohenden Umschlingung der Schweden
herausgehauen wird, kein neues Blatt für seinen Ruhmeskranz verdient haben,
wenn er nicht zugleich eine andere bedeutsame, für den Hauptbetheiligten minder
gut abgelaufene Katastrophe aus einer Entscheidungsschlacht, nämlich den Dezem¬
bermann im Granatfeuer von Sedan, dargestellt hätte. Es ist wirklich durch
glaubwürdige Berichte bestätigt worden, daß die Worte, mit denen Napoleon
seinen Brief an König Wilhelm begann: ^'a^ut mourir wilisu
as rues trouxss, nicht hohle Phrase gewesen sind. Die Granaten, die also vor
dem verzweifelten Kaiser niederfahren und explodiren, sind keine Mythe. Wir
wollen auch glauben, daß der Mann, der mit übernächtigen Mienen im Sattel
hängt, so geschlottert hat, wie es uns Camphausen in seiner Charakteristik zeigt.
Der Kaiser hält auf seinem Pferde, das in seiner Angst vor dem Prasseln der
zerspringenden Granaten meisterhaft dargestellt ist, ganz im Vordergrunde, hinter
ihm einige Generäle. Noch weiter im Fond sieht man Truppen vorüberziehen,
deren Disziplin bereits gelockert ist. Einer der Soldaten streckt die geballte
Faust nach dem gebrochenen Cäsar aus. Es ist ein Bild, das nach der Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/88>, abgerufen am 05.02.2025.