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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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schlössen den Regierungen die wahrlich nicht geringe Verantwortlichkeit wesent¬
lich in der Weise aufgelegt hätte, wie sie dieselbe zu tragen wünschten. Aber
der tiefe Widerstreit der zwei grundsätzlichen Richtungen, welcher dieses Gesetz
von Anfang an auf seinem Wege begleitet, verhinderte, daß dasselbe in einer
den Umständen entsprechenden, auch äußerlich imponirenden Weise zur Ent¬
stehung geführt wurde.

Die Regierungen ließen der Kommission gegenüber die Absicht möglichster
Vermeidung von Konflikt deutlich hervortreten und nahmen durch Graf Eulen-
burg in der Art Stellung, daß sie in Betreff einiger Hauptpunkte den Be¬
schlüssen der ersten Lesung Widerspruch entgegensetzten, einige der beschlossenen
Abänderungen, z. B. die von einer Subkommission zu 1 ausgearbeiteten
Punkte über das Kasseuwesen, ausdrücklich als Verbesserungen anerkannten, die
übrigen aber durch Stillschweigen zu genehmigen schienen.

Der erste jener Hauptpunkte bezog sich auf die im Z 1 festzusetzende nähere
Bestimmung des Begriffs der sozialistischen Bestrebungen. Wir hoben schon
im vorigen Berichte den großen Unterschied hervor, der hervortritt, wenn man
von Untergrabung oder wenn man von Umsturz der bestehenden Staats- und
Gesellschaftsordnung redet, und wir hatten es den Regierungen schon verdacht,
daß sie dem letzteren Ausdruck nicht schon in erster Lesung bestimmter
entgegengetreten waren. Wie sich nun herausstellte, hatten sie dies entgegen¬
kommend in der Unterstellung unterlassen, daß in der Praxis Beides insofern
auf dasselbe hinauslaufen werde, als es selbstverständlich nicht Absicht sein
könne, das allmälige Wühlen der Sozialdemokraten von der Verfolgung aus¬
zuschließen. Die auf dieser Erwägung ruhende Absicht ist jedoch übel gelohnt
worden. Die erst in zweiter Lesung und mit dem Anspruch der Aufnahme in
den Kommissiousbericht von Laster vorgebrachten Motive für die in erster
Lesung beschlossene Aenderung des § 1 haben gewaltig enttäuscht, denn dnrch
diese sollte nach Absicht des Antragstellers gerade die allmälige und nach
unserer Meinung gefährlichere Agitationsart dem Gesetze entzogen werden.
Wenn, nach Laster, wirklich diejenige "reformatorische Thätigkeit" unverfolgt
bliebe, "welche die allmälige Anleitung der gegebenen in neue Verhältnisse
durch den Wechsel der Ueberzeugung herbeizuführen strebt und diese Ansicht
nicht durch bloßes Wortbekeuntniß, sondern durch die Wahl der Mittel dar¬
thut," so würde gerade ein von den sozialdemokratischen Blättern jetzt starkbe¬
tonter Wunsch erfüllt, durch welchen sie irre zu führen suchen. Wenn die
"Berliner Freie Presse" täglich auf Laster's grünem Tische läge, so mochten
wir doch wissen, ob er wirklich z. B. in der Art, wie dieses Blatt Jhering's
neues Buch über das Rechtspriuzip herausstreicht, uur eine unschuldige "refor¬
matorische Thätigkeit" erblickt. Diese in das Gewand von Humanität, Wissen-


schlössen den Regierungen die wahrlich nicht geringe Verantwortlichkeit wesent¬
lich in der Weise aufgelegt hätte, wie sie dieselbe zu tragen wünschten. Aber
der tiefe Widerstreit der zwei grundsätzlichen Richtungen, welcher dieses Gesetz
von Anfang an auf seinem Wege begleitet, verhinderte, daß dasselbe in einer
den Umständen entsprechenden, auch äußerlich imponirenden Weise zur Ent¬
stehung geführt wurde.

Die Regierungen ließen der Kommission gegenüber die Absicht möglichster
Vermeidung von Konflikt deutlich hervortreten und nahmen durch Graf Eulen-
burg in der Art Stellung, daß sie in Betreff einiger Hauptpunkte den Be¬
schlüssen der ersten Lesung Widerspruch entgegensetzten, einige der beschlossenen
Abänderungen, z. B. die von einer Subkommission zu 1 ausgearbeiteten
Punkte über das Kasseuwesen, ausdrücklich als Verbesserungen anerkannten, die
übrigen aber durch Stillschweigen zu genehmigen schienen.

Der erste jener Hauptpunkte bezog sich auf die im Z 1 festzusetzende nähere
Bestimmung des Begriffs der sozialistischen Bestrebungen. Wir hoben schon
im vorigen Berichte den großen Unterschied hervor, der hervortritt, wenn man
von Untergrabung oder wenn man von Umsturz der bestehenden Staats- und
Gesellschaftsordnung redet, und wir hatten es den Regierungen schon verdacht,
daß sie dem letzteren Ausdruck nicht schon in erster Lesung bestimmter
entgegengetreten waren. Wie sich nun herausstellte, hatten sie dies entgegen¬
kommend in der Unterstellung unterlassen, daß in der Praxis Beides insofern
auf dasselbe hinauslaufen werde, als es selbstverständlich nicht Absicht sein
könne, das allmälige Wühlen der Sozialdemokraten von der Verfolgung aus¬
zuschließen. Die auf dieser Erwägung ruhende Absicht ist jedoch übel gelohnt
worden. Die erst in zweiter Lesung und mit dem Anspruch der Aufnahme in
den Kommissiousbericht von Laster vorgebrachten Motive für die in erster
Lesung beschlossene Aenderung des § 1 haben gewaltig enttäuscht, denn dnrch
diese sollte nach Absicht des Antragstellers gerade die allmälige und nach
unserer Meinung gefährlichere Agitationsart dem Gesetze entzogen werden.
Wenn, nach Laster, wirklich diejenige „reformatorische Thätigkeit" unverfolgt
bliebe, „welche die allmälige Anleitung der gegebenen in neue Verhältnisse
durch den Wechsel der Ueberzeugung herbeizuführen strebt und diese Ansicht
nicht durch bloßes Wortbekeuntniß, sondern durch die Wahl der Mittel dar¬
thut," so würde gerade ein von den sozialdemokratischen Blättern jetzt starkbe¬
tonter Wunsch erfüllt, durch welchen sie irre zu führen suchen. Wenn die
„Berliner Freie Presse" täglich auf Laster's grünem Tische läge, so mochten
wir doch wissen, ob er wirklich z. B. in der Art, wie dieses Blatt Jhering's
neues Buch über das Rechtspriuzip herausstreicht, uur eine unschuldige „refor¬
matorische Thätigkeit" erblickt. Diese in das Gewand von Humanität, Wissen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/75>, abgerufen am 05.02.2025.