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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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vor dem Hütel auf. Zwei Minuten später trifft die Hciuptwache der Kommu-
ualgarde unter Dr. Heyner, über vierzig Maun stark, ein und wird von den Offi¬
zieren der Schützen verächtlich bei Seite geschoben, und Gewehr bei Fuß außer
Dienst unter den Akazien des benachbarten "Kurprinzen" aufgestellt, die Front
in der Verlängerung des Schrötergäßchens, fast im rechten Winkel zur Stel¬
lung der Schützen. Oberstlieutenant von Süßmilch ruft dem Hauptmann Dr.
Heyner gebietend zu: "Sie sind nicht mehr nöthig, gehen Sie zurück. Stellen
Sie sich aus der Schußlinie, stellen Sie sich hierher." Mehrere Gardisten
haben später zu Protokoll erklärt, daß Oberst von Buttlar auch geäußert habe:
"Es wird geschossen werden, hier können Sie nicht stehen bleiben"*); von
Buttlar hat diese Aeußerung in Abrede gestellt. Jedenfalls ist die Kvminunal-
garde absichtlich zur Zerstreuung der Menge nicht verwendet und in der un¬
gebührlichsten Weise zur Rolle müßigen Zuschauers der nun folgenden schweren
Katastrophe verurtheilt worden. Die Verwendung von Militär, bevor die
Kvmmnnalgarde zur Herstellung der Ruhe wirklich verwendet worden, war
geradezu ungesetzlich.

In wenig Minuten hatten die Schützen, Gewehr in Arm, ohne Anwen¬
dung des Bayonettes, den ganzen Platz gesäubert. Die ganze große Masse
war in die enge Lerchenallee und den dahinter laufenden Fahrweg zurückge¬
wichen und hier zusammengedrängt und strömte ab, so schnell das im dichten
Gewühl bei dem engen Raum anging. Die Schützen wichen nun wieder in
ihre vorige Stellung zurück. Der Platz blieb frei. Nur einige verwegene
Buben, nach allen Berichten blutjunge Menschen, übersprangen die Barrivren
der Allee, liefen auf das Militär zu, schimpften und warfen mit Steinen.
Deßhalb wurde, unter dem Vorantritt der Polizeimannschaft, der Lieutenant
Vollborn mit einem Peloton Schützen beordert bei Thaer's Denkmal in die
Lerchenallee einzurücken und die Menge aus dieser zu vertreiben. Er drang
da in der linken Flanke der Masse ein, und auch hier wich diese, von einzelnen
Steinwürfen Nichtswürdiger abgesehen, widerstandslos zurück, wie sämmtliche
abgehörte Polizeimaunschaften bekunden. Wegendes dichten Gedränges konnten
die Menschen nicht schneller weichen. Jedenfalls war nun längst jeder Schatten
von Besorgniß für die Sicherheit des Prinzen und seiner Leute, namentlich
auch der Truppe, zerstreut.

Da krachen mit einem Mal zahlreiche Schüsse durch die stille Nacht; vou
Süßmilch und Lieutenant von Abendroth lassen vom Hotel her über den Platz
in die Front der abströmenden Menge feuern, Lieutenant Vollborn läßt seine
Leute in Flanke und Rücken der Massen Rottenfeuer geben. Nach Versiche-



*) Offizieller Bericht S. 29.

vor dem Hütel auf. Zwei Minuten später trifft die Hciuptwache der Kommu-
ualgarde unter Dr. Heyner, über vierzig Maun stark, ein und wird von den Offi¬
zieren der Schützen verächtlich bei Seite geschoben, und Gewehr bei Fuß außer
Dienst unter den Akazien des benachbarten „Kurprinzen" aufgestellt, die Front
in der Verlängerung des Schrötergäßchens, fast im rechten Winkel zur Stel¬
lung der Schützen. Oberstlieutenant von Süßmilch ruft dem Hauptmann Dr.
Heyner gebietend zu: „Sie sind nicht mehr nöthig, gehen Sie zurück. Stellen
Sie sich aus der Schußlinie, stellen Sie sich hierher." Mehrere Gardisten
haben später zu Protokoll erklärt, daß Oberst von Buttlar auch geäußert habe:
„Es wird geschossen werden, hier können Sie nicht stehen bleiben"*); von
Buttlar hat diese Aeußerung in Abrede gestellt. Jedenfalls ist die Kvminunal-
garde absichtlich zur Zerstreuung der Menge nicht verwendet und in der un¬
gebührlichsten Weise zur Rolle müßigen Zuschauers der nun folgenden schweren
Katastrophe verurtheilt worden. Die Verwendung von Militär, bevor die
Kvmmnnalgarde zur Herstellung der Ruhe wirklich verwendet worden, war
geradezu ungesetzlich.

In wenig Minuten hatten die Schützen, Gewehr in Arm, ohne Anwen¬
dung des Bayonettes, den ganzen Platz gesäubert. Die ganze große Masse
war in die enge Lerchenallee und den dahinter laufenden Fahrweg zurückge¬
wichen und hier zusammengedrängt und strömte ab, so schnell das im dichten
Gewühl bei dem engen Raum anging. Die Schützen wichen nun wieder in
ihre vorige Stellung zurück. Der Platz blieb frei. Nur einige verwegene
Buben, nach allen Berichten blutjunge Menschen, übersprangen die Barrivren
der Allee, liefen auf das Militär zu, schimpften und warfen mit Steinen.
Deßhalb wurde, unter dem Vorantritt der Polizeimannschaft, der Lieutenant
Vollborn mit einem Peloton Schützen beordert bei Thaer's Denkmal in die
Lerchenallee einzurücken und die Menge aus dieser zu vertreiben. Er drang
da in der linken Flanke der Masse ein, und auch hier wich diese, von einzelnen
Steinwürfen Nichtswürdiger abgesehen, widerstandslos zurück, wie sämmtliche
abgehörte Polizeimaunschaften bekunden. Wegendes dichten Gedränges konnten
die Menschen nicht schneller weichen. Jedenfalls war nun längst jeder Schatten
von Besorgniß für die Sicherheit des Prinzen und seiner Leute, namentlich
auch der Truppe, zerstreut.

Da krachen mit einem Mal zahlreiche Schüsse durch die stille Nacht; vou
Süßmilch und Lieutenant von Abendroth lassen vom Hotel her über den Platz
in die Front der abströmenden Menge feuern, Lieutenant Vollborn läßt seine
Leute in Flanke und Rücken der Massen Rottenfeuer geben. Nach Versiche-



*) Offizieller Bericht S. 29.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/60>, abgerufen am 05.02.2025.