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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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lung konnte fortan einfach verboten werden, und wurde verboten, sondern die
Juliordonnanz des Ministeriums Könneritz erklärte geradezu der damals auch
in Sachsen herrschenden Richtung der protestantischen Kirche, der rationalisti¬
schen, den Krieg. Als ein Jahrzehnt vorher der Wunsch geäußert wurde, es
möchte auch in Sachsen, wie in Preußen, die Union der lutherischen und refor-
mirten Kirche vollzogen werden, durfte Großmann versichern, "dogmatisch und
im Herzen sei die Schranke längst gefallen, und das Weitere möge man ruhig
der Zeit überlassen."") Als derselbe Großmann im Jahre 1844 versuchte, die
Rosenmttller'sche Bekenntnißformel bei der Konfirmation durch das apostolische
Glaubensbekenntniß zu ersetzen, stieß er bei einem Theil der Leipziger Geist¬
lichkeit und in der Presse ans den heftigsten Widerstand. Namentlich machte
Blum in den "Vaterlandsblättern" auf das Gefährliche der Neuerung aufmerk¬
sam und die Bürgerschaft wurde lebhaft erregt. Gerade dieser Vorfall brachte
Allen zum Bewußtsein, was eigentlich der lutherischen Kirche fehle, eine Um¬
gestaltung ihres seit der Reformation unentwickelt gebliebenen Verfassungslebens,
die Mitwirkung der Gemeindeglieder an der innern und äußern Entwickelung
der Kirche. Eben infolge dieser aufsteigenden Klarheit hatte man den Reform¬
gedanken der Lichtfreunde sein Ohr geschenkt, und nun erklärte plötzlich das
Ministerium, daß es den im Protestantismus erwachten freien Geist gewaltsam
zurückdrängen wolle in die engen Fesseln eines starren Symbolglaubens, den
Großmann schon vor einem Jahrzehnt für gefallen erachtete, den die große
Mehrzahl der Bevölkerung und Geistlichkeit nicht mehr bekannte!

Die Gährung, welche diese Regierungsmaßregel hervorrief war ungeheuer.
An vielen Orten wurden öffentliche Versammlungen abgehalten, Proteste an
das Ministerium gerichtet, offen die Anklage erhoben, die Bekanntmachung vom
17. Juli sei verfassungswidrig, da sie die in der Verfassung allen Staats¬
bürgern gewährleistete Gewissensfreiheit verletze. Dieser Agitation hat auch
Robert Blum seine Zeit und Kraft geliehen. Namentlich gaben die "Vater¬
landsblätter" die kluge Losung aus, die Regierung ans ihrem eigenen Gebiete
zu bekämpfen, für sämmtliche Dissidenten die gesetzliche Anerkennung zu for¬
dern und dadurch von selbst eine Aufhebung der Verordnungswillkür der
Regierung zu erzielen. Infolge dessen reichten sämmtliche Dissidenten Sachsen's
am 20. August 1845 ein weit umfassenderes Glaubensbekenntniß und Verfas¬
sungsstatut ein, als dasjenige der Deutschkatholiken gewesen war und baten um
staatliche Prüfung desselben und um Anerkennung und Ertheilung kirchlicher
Korporationsrechte.

Ehe jedoch dieser letzte Schritt der Dissidenten geschah, hatte schon das



*) Flathe, Sachs. Geschichte. 3. Band. S. S39.

lung konnte fortan einfach verboten werden, und wurde verboten, sondern die
Juliordonnanz des Ministeriums Könneritz erklärte geradezu der damals auch
in Sachsen herrschenden Richtung der protestantischen Kirche, der rationalisti¬
schen, den Krieg. Als ein Jahrzehnt vorher der Wunsch geäußert wurde, es
möchte auch in Sachsen, wie in Preußen, die Union der lutherischen und refor-
mirten Kirche vollzogen werden, durfte Großmann versichern, „dogmatisch und
im Herzen sei die Schranke längst gefallen, und das Weitere möge man ruhig
der Zeit überlassen."") Als derselbe Großmann im Jahre 1844 versuchte, die
Rosenmttller'sche Bekenntnißformel bei der Konfirmation durch das apostolische
Glaubensbekenntniß zu ersetzen, stieß er bei einem Theil der Leipziger Geist¬
lichkeit und in der Presse ans den heftigsten Widerstand. Namentlich machte
Blum in den „Vaterlandsblättern" auf das Gefährliche der Neuerung aufmerk¬
sam und die Bürgerschaft wurde lebhaft erregt. Gerade dieser Vorfall brachte
Allen zum Bewußtsein, was eigentlich der lutherischen Kirche fehle, eine Um¬
gestaltung ihres seit der Reformation unentwickelt gebliebenen Verfassungslebens,
die Mitwirkung der Gemeindeglieder an der innern und äußern Entwickelung
der Kirche. Eben infolge dieser aufsteigenden Klarheit hatte man den Reform¬
gedanken der Lichtfreunde sein Ohr geschenkt, und nun erklärte plötzlich das
Ministerium, daß es den im Protestantismus erwachten freien Geist gewaltsam
zurückdrängen wolle in die engen Fesseln eines starren Symbolglaubens, den
Großmann schon vor einem Jahrzehnt für gefallen erachtete, den die große
Mehrzahl der Bevölkerung und Geistlichkeit nicht mehr bekannte!

Die Gährung, welche diese Regierungsmaßregel hervorrief war ungeheuer.
An vielen Orten wurden öffentliche Versammlungen abgehalten, Proteste an
das Ministerium gerichtet, offen die Anklage erhoben, die Bekanntmachung vom
17. Juli sei verfassungswidrig, da sie die in der Verfassung allen Staats¬
bürgern gewährleistete Gewissensfreiheit verletze. Dieser Agitation hat auch
Robert Blum seine Zeit und Kraft geliehen. Namentlich gaben die „Vater¬
landsblätter" die kluge Losung aus, die Regierung ans ihrem eigenen Gebiete
zu bekämpfen, für sämmtliche Dissidenten die gesetzliche Anerkennung zu for¬
dern und dadurch von selbst eine Aufhebung der Verordnungswillkür der
Regierung zu erzielen. Infolge dessen reichten sämmtliche Dissidenten Sachsen's
am 20. August 1845 ein weit umfassenderes Glaubensbekenntniß und Verfas¬
sungsstatut ein, als dasjenige der Deutschkatholiken gewesen war und baten um
staatliche Prüfung desselben und um Anerkennung und Ertheilung kirchlicher
Korporationsrechte.

Ehe jedoch dieser letzte Schritt der Dissidenten geschah, hatte schon das



*) Flathe, Sachs. Geschichte. 3. Band. S. S39.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/55>, abgerufen am 05.02.2025.