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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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zu diesem Beschlusse rundweg ablehnte, so hat sie selbst die Arbeit zu Ende
geführt, die Ausscheidung der betreffenden Landrechtssätze vollzogen. Es kommt
nun vor Allem auf die Stellung an, welche die erste Kammer zu der Frage
nehmen wird. Danach erst kann Weiteres bemessen werden.

Der Justizministerialprüsident Dr. Grimm hat im Laufe der gegenwär¬
tigen Landtagssession, der ersten, welche er als Chef des Justizministeriums
erlebt, schon manche Dornen gepflückt, namentlich in der Derogatiousfrage.
Freilich verkennt auch kein Kundiger die große, schwere Arbeit, welche anläßlich
der Einführung der Reichsjustizgesetze in Vorbereitung des Landtags und jetzt
während der Dauer der Session in diesem Ressort zu leisten war und zu leisten
ist. Aber Vorkommnisse, wie das mit dem Renaud'scheu Gutachten, hätten sich
nie ereignen sollen. Zur Uebung der praktischen Regierungsthütigkeit genügt
ein reiches, umfassendes Wissen nicht. In einem Theile des Publikums hat
bei dem langsamen Fortschreiten der auf die Einführung der Reichsjustizgesetze
bezüglichen parlamentarischen Arbeiten sich eine gewisse Mißstimmung bemerk¬
lich gemacht. Man fand, daß die Verhandlungen zu spezifisch juristisch geführt
werden; man meinte, es werde, insbesondere mit der Derogation, unnöthige
Arbeit gethan, die ganze Materie lasse sich rascher, einfacher, praktischer ordnen.
Diese Stimmung ist zu begreifen. Hier hätte aber vor Allem die Presse ihre
Aufgabe richtig erfassen und üben sollen. Sie hätte das Publikum daran
erinnern sollen, daß diese verwickelte und die vielgestaltigsten Verhältnisse des
Rechtslebens in Mitleidenschaft ziehende Materie nicht im Flug erledigt werden
könne. Statt die Kammer und ihre Justizkommission der Verschleppung, der
juristischen Haarspalterei u. tgi. anzuklagen, sollte man ihr Dank wissen für
die Gründlichkeit und Umsicht, mit der sie die höchst schwierige Arbeit leistet.
Es ist nicht Jedem gegeben, über die bei Einführung der Reichsjustizgesetze
zur Diskussion stehenden und der gesetzgeberischen Lösung harrenden Fragen
ein selbständiges Urtheil zu fällen. Deshalb dürfte es sich aber auch geziemen,
daß sich das größere Publikum ein klein wenig bescheide und zu der Einsicht,
der Gewissenhaftigkeit und der Treue seiner in freier Wahl berufenen Abge¬
ordneten das Vertrauen hege, daß dieselben nicht Lappalien treiben, nicht zum
bloßen Vergnügen Stunden und Tage lang juristisch subtile Bestimmungen
erörtern. Die souverän absprechende, immer und allewege nur verurteilende
Kritik von Regierungsmaßnahmen, wie sie von der preußischen Fortschritts¬
partei beliebt wird, hat schon längst bei jedem ruhig denkenden Politiker allen
Kredit eingebüßt. Sollte in einem konstitutionell geschulten Volke das oft aus
sehr unklarer Mißstimmung geborene luftige Raisonniren über die parlamenta¬
rische Arbeit seiner Vertreter nicht noch schärferer Beurtheilung unterstehen?
Das Knabenhafte kann Männern nicht imponiren. --


zu diesem Beschlusse rundweg ablehnte, so hat sie selbst die Arbeit zu Ende
geführt, die Ausscheidung der betreffenden Landrechtssätze vollzogen. Es kommt
nun vor Allem auf die Stellung an, welche die erste Kammer zu der Frage
nehmen wird. Danach erst kann Weiteres bemessen werden.

Der Justizministerialprüsident Dr. Grimm hat im Laufe der gegenwär¬
tigen Landtagssession, der ersten, welche er als Chef des Justizministeriums
erlebt, schon manche Dornen gepflückt, namentlich in der Derogatiousfrage.
Freilich verkennt auch kein Kundiger die große, schwere Arbeit, welche anläßlich
der Einführung der Reichsjustizgesetze in Vorbereitung des Landtags und jetzt
während der Dauer der Session in diesem Ressort zu leisten war und zu leisten
ist. Aber Vorkommnisse, wie das mit dem Renaud'scheu Gutachten, hätten sich
nie ereignen sollen. Zur Uebung der praktischen Regierungsthütigkeit genügt
ein reiches, umfassendes Wissen nicht. In einem Theile des Publikums hat
bei dem langsamen Fortschreiten der auf die Einführung der Reichsjustizgesetze
bezüglichen parlamentarischen Arbeiten sich eine gewisse Mißstimmung bemerk¬
lich gemacht. Man fand, daß die Verhandlungen zu spezifisch juristisch geführt
werden; man meinte, es werde, insbesondere mit der Derogation, unnöthige
Arbeit gethan, die ganze Materie lasse sich rascher, einfacher, praktischer ordnen.
Diese Stimmung ist zu begreifen. Hier hätte aber vor Allem die Presse ihre
Aufgabe richtig erfassen und üben sollen. Sie hätte das Publikum daran
erinnern sollen, daß diese verwickelte und die vielgestaltigsten Verhältnisse des
Rechtslebens in Mitleidenschaft ziehende Materie nicht im Flug erledigt werden
könne. Statt die Kammer und ihre Justizkommission der Verschleppung, der
juristischen Haarspalterei u. tgi. anzuklagen, sollte man ihr Dank wissen für
die Gründlichkeit und Umsicht, mit der sie die höchst schwierige Arbeit leistet.
Es ist nicht Jedem gegeben, über die bei Einführung der Reichsjustizgesetze
zur Diskussion stehenden und der gesetzgeberischen Lösung harrenden Fragen
ein selbständiges Urtheil zu fällen. Deshalb dürfte es sich aber auch geziemen,
daß sich das größere Publikum ein klein wenig bescheide und zu der Einsicht,
der Gewissenhaftigkeit und der Treue seiner in freier Wahl berufenen Abge¬
ordneten das Vertrauen hege, daß dieselben nicht Lappalien treiben, nicht zum
bloßen Vergnügen Stunden und Tage lang juristisch subtile Bestimmungen
erörtern. Die souverän absprechende, immer und allewege nur verurteilende
Kritik von Regierungsmaßnahmen, wie sie von der preußischen Fortschritts¬
partei beliebt wird, hat schon längst bei jedem ruhig denkenden Politiker allen
Kredit eingebüßt. Sollte in einem konstitutionell geschulten Volke das oft aus
sehr unklarer Mißstimmung geborene luftige Raisonniren über die parlamenta¬
rische Arbeit seiner Vertreter nicht noch schärferer Beurtheilung unterstehen?
Das Knabenhafte kann Männern nicht imponiren. —


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[0515] zu diesem Beschlusse rundweg ablehnte, so hat sie selbst die Arbeit zu Ende geführt, die Ausscheidung der betreffenden Landrechtssätze vollzogen. Es kommt nun vor Allem auf die Stellung an, welche die erste Kammer zu der Frage nehmen wird. Danach erst kann Weiteres bemessen werden. Der Justizministerialprüsident Dr. Grimm hat im Laufe der gegenwär¬ tigen Landtagssession, der ersten, welche er als Chef des Justizministeriums erlebt, schon manche Dornen gepflückt, namentlich in der Derogatiousfrage. Freilich verkennt auch kein Kundiger die große, schwere Arbeit, welche anläßlich der Einführung der Reichsjustizgesetze in Vorbereitung des Landtags und jetzt während der Dauer der Session in diesem Ressort zu leisten war und zu leisten ist. Aber Vorkommnisse, wie das mit dem Renaud'scheu Gutachten, hätten sich nie ereignen sollen. Zur Uebung der praktischen Regierungsthütigkeit genügt ein reiches, umfassendes Wissen nicht. In einem Theile des Publikums hat bei dem langsamen Fortschreiten der auf die Einführung der Reichsjustizgesetze bezüglichen parlamentarischen Arbeiten sich eine gewisse Mißstimmung bemerk¬ lich gemacht. Man fand, daß die Verhandlungen zu spezifisch juristisch geführt werden; man meinte, es werde, insbesondere mit der Derogation, unnöthige Arbeit gethan, die ganze Materie lasse sich rascher, einfacher, praktischer ordnen. Diese Stimmung ist zu begreifen. Hier hätte aber vor Allem die Presse ihre Aufgabe richtig erfassen und üben sollen. Sie hätte das Publikum daran erinnern sollen, daß diese verwickelte und die vielgestaltigsten Verhältnisse des Rechtslebens in Mitleidenschaft ziehende Materie nicht im Flug erledigt werden könne. Statt die Kammer und ihre Justizkommission der Verschleppung, der juristischen Haarspalterei u. tgi. anzuklagen, sollte man ihr Dank wissen für die Gründlichkeit und Umsicht, mit der sie die höchst schwierige Arbeit leistet. Es ist nicht Jedem gegeben, über die bei Einführung der Reichsjustizgesetze zur Diskussion stehenden und der gesetzgeberischen Lösung harrenden Fragen ein selbständiges Urtheil zu fällen. Deshalb dürfte es sich aber auch geziemen, daß sich das größere Publikum ein klein wenig bescheide und zu der Einsicht, der Gewissenhaftigkeit und der Treue seiner in freier Wahl berufenen Abge¬ ordneten das Vertrauen hege, daß dieselben nicht Lappalien treiben, nicht zum bloßen Vergnügen Stunden und Tage lang juristisch subtile Bestimmungen erörtern. Die souverän absprechende, immer und allewege nur verurteilende Kritik von Regierungsmaßnahmen, wie sie von der preußischen Fortschritts¬ partei beliebt wird, hat schon längst bei jedem ruhig denkenden Politiker allen Kredit eingebüßt. Sollte in einem konstitutionell geschulten Volke das oft aus sehr unklarer Mißstimmung geborene luftige Raisonniren über die parlamenta¬ rische Arbeit seiner Vertreter nicht noch schärferer Beurtheilung unterstehen? Das Knabenhafte kann Männern nicht imponiren. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/515>, abgerufen am 05.02.2025.