Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.Grund, auf die utopistischen Sozialisten von so hohem Throne herab zu sehen, Ergibt sich aus Gehrke's Schrift mittelbar werthvolles Material zur Be¬ Franz Mehring. Grund, auf die utopistischen Sozialisten von so hohem Throne herab zu sehen, Ergibt sich aus Gehrke's Schrift mittelbar werthvolles Material zur Be¬ Franz Mehring. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141389"/> <p xml:id="ID_1640" prev="#ID_1639"> Grund, auf die utopistischen Sozialisten von so hohem Throne herab zu sehen,<lb/> wie sie es zu thun pflegen, ihr wissenschaftliches System liegt noch ganz in<lb/> den Windeln einer ätzenden Kritik der heutigen Ordnung; auf eigenen Füßen<lb/> stehen, eine neue Welt aufbauen kann es nicht. Darin stehen sie weit hinter<lb/> Cabet und Fourier zurück, die denn doch einen gewissen großartigen Wurf der<lb/> schaffenden Phantasie berührt haben. Selbst Fourier's anscheinend hirnver¬<lb/> brannten Träume, denen zufolge nach Einrichtung seiner Phalangen Löwen und<lb/> Tiger zahm werden würden wie Schoßhündlein, und die salzige Meerfluth<lb/> süß wie Limonade, waren nicht ohne tieferen Sinu. In ihnen sprach sich die<lb/> unbestreitbare Thatsache aus, daß dies ganze Weltverbessererthum gegen alle<lb/> irdische Natur geht und nicht eher bestehen könne, ehe alle irdischen Dinge auf<lb/> den Kopf gestellt seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1641"> Ergibt sich aus Gehrke's Schrift mittelbar werthvolles Material zur Be¬<lb/> leuchtung der sozialdemokratischen Ideen, so richtet sich eine andere sozialpolitische<lb/> Publikation, die gleichfalls zu Bremen im Nordwestdeutschen Volksschriftenver-<lb/> lage erscheint, unmittelbar gegen die kommunistische Agitation. Es ist eine Serie<lb/> von Flugschriften, welche unter dem Titel: „Soziale Fragen und Antworten"<lb/> die Hauptgesichtspunkte des zwischen der modernen Kultur und ihren Tod¬<lb/> feinden schwebenden Streits erörtern soll. Bisher liegt erst ein Heft vor über<lb/> den „Klassenkampf", allein man darf jetzt schon sagen, daß, wenn dieser An¬<lb/> fang in gleicher Weise fortgeführt wird, eine wahrhaft glänzende Leistung im<lb/> Entstehen begriffen ist. In drei entscheidenden Gesichtspunkten steht das Schrift¬<lb/> chen bergehoch über allem bisher auf diesem Gebiete Geleisteten, bei welchem<lb/> nur zu oft der Grundsatz maßgebend zu sein schien, daß das Schlechteste gerade<lb/> gut genug für die Arbeiter sei. Erstens wird nicht gescholten und raisonnirt,<lb/> sondern sachlich und würdig entwickelt. Zweitens ist die Sprache nicht jenes<lb/> läppisch-widrige Gelalle, was man sonst wohl unter „populärer" Schreibweise<lb/> verstand, sondern ein anmuthig-graziöses, aber bis in die letzte Gedankenfülle<lb/> auch für schwache Augen durchsichtiges Geplauder. Drittens endlich stehen die<lb/> Ausführungen und Darlegungen auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkennt¬<lb/> niß, was der Arbeiter sehr bald spürt, und was ihn ebenso fesselt, wie ihn das<lb/> Gegentheil abstößt. Gerade hierin hat er ein nur mehr instinktives, aber feines<lb/> und sicheres Gefühl. Mögen die folgenden Hefte der „Sozialen Fragen und<lb/> Antworten" diesen höchst erfreulichen Weg einzuhalten verstehen!</p><lb/> <note type="byline"> Franz Mehring.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
Grund, auf die utopistischen Sozialisten von so hohem Throne herab zu sehen,
wie sie es zu thun pflegen, ihr wissenschaftliches System liegt noch ganz in
den Windeln einer ätzenden Kritik der heutigen Ordnung; auf eigenen Füßen
stehen, eine neue Welt aufbauen kann es nicht. Darin stehen sie weit hinter
Cabet und Fourier zurück, die denn doch einen gewissen großartigen Wurf der
schaffenden Phantasie berührt haben. Selbst Fourier's anscheinend hirnver¬
brannten Träume, denen zufolge nach Einrichtung seiner Phalangen Löwen und
Tiger zahm werden würden wie Schoßhündlein, und die salzige Meerfluth
süß wie Limonade, waren nicht ohne tieferen Sinu. In ihnen sprach sich die
unbestreitbare Thatsache aus, daß dies ganze Weltverbessererthum gegen alle
irdische Natur geht und nicht eher bestehen könne, ehe alle irdischen Dinge auf
den Kopf gestellt seien.
Ergibt sich aus Gehrke's Schrift mittelbar werthvolles Material zur Be¬
leuchtung der sozialdemokratischen Ideen, so richtet sich eine andere sozialpolitische
Publikation, die gleichfalls zu Bremen im Nordwestdeutschen Volksschriftenver-
lage erscheint, unmittelbar gegen die kommunistische Agitation. Es ist eine Serie
von Flugschriften, welche unter dem Titel: „Soziale Fragen und Antworten"
die Hauptgesichtspunkte des zwischen der modernen Kultur und ihren Tod¬
feinden schwebenden Streits erörtern soll. Bisher liegt erst ein Heft vor über
den „Klassenkampf", allein man darf jetzt schon sagen, daß, wenn dieser An¬
fang in gleicher Weise fortgeführt wird, eine wahrhaft glänzende Leistung im
Entstehen begriffen ist. In drei entscheidenden Gesichtspunkten steht das Schrift¬
chen bergehoch über allem bisher auf diesem Gebiete Geleisteten, bei welchem
nur zu oft der Grundsatz maßgebend zu sein schien, daß das Schlechteste gerade
gut genug für die Arbeiter sei. Erstens wird nicht gescholten und raisonnirt,
sondern sachlich und würdig entwickelt. Zweitens ist die Sprache nicht jenes
läppisch-widrige Gelalle, was man sonst wohl unter „populärer" Schreibweise
verstand, sondern ein anmuthig-graziöses, aber bis in die letzte Gedankenfülle
auch für schwache Augen durchsichtiges Geplauder. Drittens endlich stehen die
Ausführungen und Darlegungen auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkennt¬
niß, was der Arbeiter sehr bald spürt, und was ihn ebenso fesselt, wie ihn das
Gegentheil abstößt. Gerade hierin hat er ein nur mehr instinktives, aber feines
und sicheres Gefühl. Mögen die folgenden Hefte der „Sozialen Fragen und
Antworten" diesen höchst erfreulichen Weg einzuhalten verstehen!
Franz Mehring.
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