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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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zwar von Handwerk im handwerksmäßigsten Sinne des Wortes. Es gibt
Leute, welche ihren Kopf gänzlich feiern lassen und doch mit Tinte und Feder
noch umfangreiche Bücher schreiben können; wären diese die Schlimmsten auf
dem Gebiete der neuesten, sozialpolitischen Literatur, so wären wir noch lange
nicht so schlimm daran, wie wir thatsächlich sind. Für die neuesten Retter
und Richter in unseren sozialen Wirren sind Tinte und Feder nur zu häufig
noch viel zu edle und erhabene Dinge; Kleistertopf und Scheere sind die Massen,
mit denen sie schlagen und siegen. Siegen wenigstens, so weit der Unverstand
der großen Menge und leider auch die kritische Stimme eines nicht ganz un¬
erheblichen Theils der Tagespresse entscheiden. In letzterer Beziehung darf
und muß gesagt werden, daß es sich dabei nicht sowohl um eine geflissentliche
Hehlerei, als vielmehr nur um einen gewissen Auswuchs patriotischen Sinnes
handelt, der, sobald eine sozialpolitische Schrift der heutigen Ordnung ein
freundliches und der sozialdemokratischen Agitation ein feindliches Gesicht zeigt,
ohne weiteres Bedenken den Grundsatz anwendet, daß die Flagge die Ladung
deckt. Sollte dieser Gesichtspunkt, was hier dahingestellt bleiben mag, selbst
eine Art relativer Berechtigung beanspruchen können, so sollte er doch unter
allen Umständen gewisse Schranken respektiren; man kann über einen offenbaren
Unfug zur Noth schweigen, weil er das kleinere von zwei Uebeln ist; man
sollte aber niemals das Schlechte loben, weil es noch Schlechteren feind ist. Es
ist weder ehrenvoll noch erfreulich, daß, wer alle Sozialdemokraten kurzweg als
Gauner oder Narren brandmarkt, alle Gründer als nationale Kulturheroen
feiert und alle, welche über Diese wie über Jene ein wenig ehrlicher und sach¬
licher zu urtheilen sich bemühen, für heimliche Helfershelfer der Umsturzpartei
erklärt, sofort als moderner Drachentödter auf die breiten Gänseflügel der
Reklame erhoben wird. Beispiele dieser Art ließen sich gerade aus den letzten
Monaten in unerfreulicher Menge beibringen. Der große Schaden, den dieses
Treiben anrichtet, besteht darin, daß es der Lesewelt, die endlich ein ernstes
und lerneifriges Interesse diesen brennenden Fragen entgegenträgt, eine Menge
literarischen Schundes in die Hände spielt, der nicht nur nicht aufklärt und be¬
lehrt, sondern im geraden Gegentheil die eingehende Beschäftigung mit sozial¬
politischen Dingen gründlich verleidet.

Indessen ist es nicht meine Absicht, dies Thema hier weiter auszuspinnen
oder etwa gar im Einzelnen das unfruchtbare Gebiet zu durchstreifen, auf
welchem solche Sumpfpflanzen gedeihen. Vielmehr möchte ich nur mittelbar
dem erwähnten Uebelstande zu steuern suchen, indem ich die Aufmerksamkeit
des geneigten Lesers auf eine Reihe von Schriften lenke, welche als gesunde
und reise Früchte in unserer sozialpolitischen Literatur der letzten Monate er¬
wachsen sind. Denn auch an solchen fehlt es nicht, Gott sei Dank; man wird


zwar von Handwerk im handwerksmäßigsten Sinne des Wortes. Es gibt
Leute, welche ihren Kopf gänzlich feiern lassen und doch mit Tinte und Feder
noch umfangreiche Bücher schreiben können; wären diese die Schlimmsten auf
dem Gebiete der neuesten, sozialpolitischen Literatur, so wären wir noch lange
nicht so schlimm daran, wie wir thatsächlich sind. Für die neuesten Retter
und Richter in unseren sozialen Wirren sind Tinte und Feder nur zu häufig
noch viel zu edle und erhabene Dinge; Kleistertopf und Scheere sind die Massen,
mit denen sie schlagen und siegen. Siegen wenigstens, so weit der Unverstand
der großen Menge und leider auch die kritische Stimme eines nicht ganz un¬
erheblichen Theils der Tagespresse entscheiden. In letzterer Beziehung darf
und muß gesagt werden, daß es sich dabei nicht sowohl um eine geflissentliche
Hehlerei, als vielmehr nur um einen gewissen Auswuchs patriotischen Sinnes
handelt, der, sobald eine sozialpolitische Schrift der heutigen Ordnung ein
freundliches und der sozialdemokratischen Agitation ein feindliches Gesicht zeigt,
ohne weiteres Bedenken den Grundsatz anwendet, daß die Flagge die Ladung
deckt. Sollte dieser Gesichtspunkt, was hier dahingestellt bleiben mag, selbst
eine Art relativer Berechtigung beanspruchen können, so sollte er doch unter
allen Umständen gewisse Schranken respektiren; man kann über einen offenbaren
Unfug zur Noth schweigen, weil er das kleinere von zwei Uebeln ist; man
sollte aber niemals das Schlechte loben, weil es noch Schlechteren feind ist. Es
ist weder ehrenvoll noch erfreulich, daß, wer alle Sozialdemokraten kurzweg als
Gauner oder Narren brandmarkt, alle Gründer als nationale Kulturheroen
feiert und alle, welche über Diese wie über Jene ein wenig ehrlicher und sach¬
licher zu urtheilen sich bemühen, für heimliche Helfershelfer der Umsturzpartei
erklärt, sofort als moderner Drachentödter auf die breiten Gänseflügel der
Reklame erhoben wird. Beispiele dieser Art ließen sich gerade aus den letzten
Monaten in unerfreulicher Menge beibringen. Der große Schaden, den dieses
Treiben anrichtet, besteht darin, daß es der Lesewelt, die endlich ein ernstes
und lerneifriges Interesse diesen brennenden Fragen entgegenträgt, eine Menge
literarischen Schundes in die Hände spielt, der nicht nur nicht aufklärt und be¬
lehrt, sondern im geraden Gegentheil die eingehende Beschäftigung mit sozial¬
politischen Dingen gründlich verleidet.

Indessen ist es nicht meine Absicht, dies Thema hier weiter auszuspinnen
oder etwa gar im Einzelnen das unfruchtbare Gebiet zu durchstreifen, auf
welchem solche Sumpfpflanzen gedeihen. Vielmehr möchte ich nur mittelbar
dem erwähnten Uebelstande zu steuern suchen, indem ich die Aufmerksamkeit
des geneigten Lesers auf eine Reihe von Schriften lenke, welche als gesunde
und reise Früchte in unserer sozialpolitischen Literatur der letzten Monate er¬
wachsen sind. Denn auch an solchen fehlt es nicht, Gott sei Dank; man wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/500>, abgerufen am 05.02.2025.