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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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stitutionen dürfen nicht momentane Vortheile maßgebend sein, vielmehr müssen
sie nach dem Werth geprüft werden, welcher der Natur der Sache nach ihnen
zukommt und der sich, abgesehen von zufälligen und deshalb nur kurze Zeit
währenden Wirkungen, im geschichtlichen Leben zur Geltung bringen muß. Wenn
wir nach diesem Maßstabe nun die Errichtung einer Nuntiatur würdigen, so
ergibt sich, daß sie durchaus schädliche Folgen mit sich führt. Dieselben erkennen
wir zuerst darin, daß das Papstthum, das gegenwärtig nur als eine ausschlie߬
lich kirchliche Institution zu betrachten ist, die Autorität einer politischen Sou¬
veränität empfängt. Die Genehmigung einer Nuntiatur schließt die Anerkennung
einer im Papstthum vertretenen kirchlichen Weltmonarchie in sich. Wir finden
sodann in derselben eine Stärkung des Kurialismus gegenüber dem Episko¬
palismus. Nun geben wir gern zu, daß in dieser Hinsicht seit dem Vatikanum
nicht mehr viel zu verderben ist, die Macht der Bischöfe ist jetzt schon auf ein
Minimum reduzirt, aber sollen sie denn völlig vernichtet werden, sollen die
Bischöfe und damit der Klerus überhaupt nur willenlose Organe der Kurie
werden? Verfolgen nicht die Maigesetze das Bestreben, dem katholischen Klerus
eine nationale Bildung zu geben, also auch den ans ihm hervorgehenden Epis¬
kopat mit den nationalen Interessen in einen lebendigen Zusammenhang zu
versetzen, und wird nicht durch die Begründung einer Nuntiatur, die naturgemäß
den nationalen Faktor und das aus ihm sich nothwendig erzeugende Selb¬
ständigkeitsbewußtsein niederdrückt, dieser Tendenz der Maigesetze entgegen ge¬
wirkt werden? Soviel zur Ergänzung. Und nun noch ein Wort der Abwehr,
das uns von Neuem zu der Frage nach dem Recht einer organischen Ver¬
bindung zwischen Staat und Kirche zurückführt.

Baumgarten spricht am Schlüsse seines Buchs den ungeheuerlichen Ge¬
danken aus, daß wenn die von ihm in Aussicht genommene Christkirche er¬
schienen sei, das deutsche Reich den Gliedern der Papstkirche, weil sie einem fremden
Herrn gehorchten, die Rechte deutscher Staatsbürger entziehen müsse. Verliert dieser
Gedanke etwas an Paradoxie dadurch, daß Baumgarten voraussetzt, die katholische
Kirche werde dann an Glanz und Umfang sehr reduzirt sein, so ist er doch
immer paradox genug. Denn ist diese Kirche so gering und schwach geworden,
daß ohne Gefahr einer Empörung der katholischen Bevölkerung diese so ge¬
schädigt werden können, dann ist eine solche Entrechtung durch die Interessen
des Reichs nicht geboten. Ist aber auch in dieser idealen Zeit die katholische
Kirche noch so stark, daß der Staat ihre politische Ohnmacht wünschen muß,
so wird sein darauf gerichtetes Streben eine Empörung hervorrufen, welche das
deutsche Reich nicht blos in seinen Grundfesten erschüttern, sondern völlig ver¬
nichten müßte. Und schließlich, wie wenig verträgt eine solche Proskription des
Katholizismus sich mit der Proklamation des Prinzips der Religionsfreiheit


stitutionen dürfen nicht momentane Vortheile maßgebend sein, vielmehr müssen
sie nach dem Werth geprüft werden, welcher der Natur der Sache nach ihnen
zukommt und der sich, abgesehen von zufälligen und deshalb nur kurze Zeit
währenden Wirkungen, im geschichtlichen Leben zur Geltung bringen muß. Wenn
wir nach diesem Maßstabe nun die Errichtung einer Nuntiatur würdigen, so
ergibt sich, daß sie durchaus schädliche Folgen mit sich führt. Dieselben erkennen
wir zuerst darin, daß das Papstthum, das gegenwärtig nur als eine ausschlie߬
lich kirchliche Institution zu betrachten ist, die Autorität einer politischen Sou¬
veränität empfängt. Die Genehmigung einer Nuntiatur schließt die Anerkennung
einer im Papstthum vertretenen kirchlichen Weltmonarchie in sich. Wir finden
sodann in derselben eine Stärkung des Kurialismus gegenüber dem Episko¬
palismus. Nun geben wir gern zu, daß in dieser Hinsicht seit dem Vatikanum
nicht mehr viel zu verderben ist, die Macht der Bischöfe ist jetzt schon auf ein
Minimum reduzirt, aber sollen sie denn völlig vernichtet werden, sollen die
Bischöfe und damit der Klerus überhaupt nur willenlose Organe der Kurie
werden? Verfolgen nicht die Maigesetze das Bestreben, dem katholischen Klerus
eine nationale Bildung zu geben, also auch den ans ihm hervorgehenden Epis¬
kopat mit den nationalen Interessen in einen lebendigen Zusammenhang zu
versetzen, und wird nicht durch die Begründung einer Nuntiatur, die naturgemäß
den nationalen Faktor und das aus ihm sich nothwendig erzeugende Selb¬
ständigkeitsbewußtsein niederdrückt, dieser Tendenz der Maigesetze entgegen ge¬
wirkt werden? Soviel zur Ergänzung. Und nun noch ein Wort der Abwehr,
das uns von Neuem zu der Frage nach dem Recht einer organischen Ver¬
bindung zwischen Staat und Kirche zurückführt.

Baumgarten spricht am Schlüsse seines Buchs den ungeheuerlichen Ge¬
danken aus, daß wenn die von ihm in Aussicht genommene Christkirche er¬
schienen sei, das deutsche Reich den Gliedern der Papstkirche, weil sie einem fremden
Herrn gehorchten, die Rechte deutscher Staatsbürger entziehen müsse. Verliert dieser
Gedanke etwas an Paradoxie dadurch, daß Baumgarten voraussetzt, die katholische
Kirche werde dann an Glanz und Umfang sehr reduzirt sein, so ist er doch
immer paradox genug. Denn ist diese Kirche so gering und schwach geworden,
daß ohne Gefahr einer Empörung der katholischen Bevölkerung diese so ge¬
schädigt werden können, dann ist eine solche Entrechtung durch die Interessen
des Reichs nicht geboten. Ist aber auch in dieser idealen Zeit die katholische
Kirche noch so stark, daß der Staat ihre politische Ohnmacht wünschen muß,
so wird sein darauf gerichtetes Streben eine Empörung hervorrufen, welche das
deutsche Reich nicht blos in seinen Grundfesten erschüttern, sondern völlig ver¬
nichten müßte. Und schließlich, wie wenig verträgt eine solche Proskription des
Katholizismus sich mit der Proklamation des Prinzips der Religionsfreiheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/472>, abgerufen am 05.02.2025.