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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Haupiinnnns Trevor hatte ihre sieben Kinder nebst entsprechender indischer
Dienerschaft bei sich und sah ihrer Entbindung binnen Kurzem entgegen. Und
dieser Fall stand nicht vereinzelt da.

Als sich der Zug am 6. Januar 1842 in Bewegung, setzte, wurde ein
Theil des Lagerwalles eingerissen, um für die Mannschaften, den Troß und
die zweitausend Kameele, die das nothwendigste Gepäck trugen, den erforder¬
lichen Raum zu schaffen. Die 2000 Afghanen, welche vertragsmäßig dem
Heere das Geleite geben sollten, waren nirgends zu sehen. Dagegen stürzten
sich die Eingeborenen massenweise auf der entgegengesetzten Seite in das Lnger
und begannen die Plünderung; überhaupt umschwärmten die Afghanen von
nun an den Zug der Flüchtlinge gleich wilden Thieren auf dem ganzen Marsche.

Der erste Tag ging zur Neige, als die letzten Engländer das Lager ver¬
ließen; dann zündeten die Afghanen alles nicht Transportirbare an und ver¬
nichteten dabei törichterweise auch einen vollständigen Artilleriepark, den Elphin-
stone in brauchbarem Zustande, ohne die Geschütze vorher haben vernageln zu
lassen, ausgeliefert hatte. Schon am ersten Tage blieben die Leute zu
Dutzenden im Schnee liegen; namentlich waren es die indischen Soldaten, die
sich in völliger Muthlosigkeit und vom Froste erstarrt zu Boden warfen und
den Tod erwarteten. Gleich in der folgenden Nacht kamen eine große Anzahl
um, und am folgenden Tage war die Hälfte kampfunfähig; die Meisten schlössen
sich dem Trosse an, erschwerten auch dort die freie Bewegung und trugen dazu
bei, die allgemeine Verwirrung vollständig zu machen. Als ein sehr empfind¬
liches Hinderniß wirkte auch der unter den Hufen der Pferde, Esel und
Kameele sich festsetzende und gefrierende Schnee.

Um diese Zeit erschien Mohamed Akbar wieder auf dem Schauplatze, und
die Engländer hatten von nun an außer den Schrecknissen der Natur noch
einen racheschnaubenden und unbarmherzigen Feind zu bekämpfen. Jedoch darf
nicht unerwähnt bleiben, daß Akbar selbst bei verschiedenen Gelegenheiten An¬
wandlungen von Großmuth gehabt zu haben scheint, und daß es seine Absicht
gewesen sein mag, nicht das gesammte britische Heer aufzureiben, sondern
wenigstens die Offiziere, Frauen und Kinder als Geiseln zu behalten. Außer¬
dem hatte er über die unversöhnlichen Ghilzis nur geringe Macht, wenigstens
schützte er später vor, daß er nicht im Stande gewesen sei, das Ungestüm der¬
selben zu zügeln. So wurden von allen eingebrachten Gefangenen nur die
Offiziere und Frauen verschont, alle Uebrigen niedergemacht.

Als die ersten Schüsse der Afghanen gefallen waren, ließ sich der Haupt¬
mann Skinner zu dem betreffenden Ghilzishäuptling führen und erfuhr von
ihm, daß er Befehl habe, die Engländer bis in's Gebirge zu begleiten und die
Stellung von sechs Geiseln für das von General Sale besetzt gehaltene


Haupiinnnns Trevor hatte ihre sieben Kinder nebst entsprechender indischer
Dienerschaft bei sich und sah ihrer Entbindung binnen Kurzem entgegen. Und
dieser Fall stand nicht vereinzelt da.

Als sich der Zug am 6. Januar 1842 in Bewegung, setzte, wurde ein
Theil des Lagerwalles eingerissen, um für die Mannschaften, den Troß und
die zweitausend Kameele, die das nothwendigste Gepäck trugen, den erforder¬
lichen Raum zu schaffen. Die 2000 Afghanen, welche vertragsmäßig dem
Heere das Geleite geben sollten, waren nirgends zu sehen. Dagegen stürzten
sich die Eingeborenen massenweise auf der entgegengesetzten Seite in das Lnger
und begannen die Plünderung; überhaupt umschwärmten die Afghanen von
nun an den Zug der Flüchtlinge gleich wilden Thieren auf dem ganzen Marsche.

Der erste Tag ging zur Neige, als die letzten Engländer das Lager ver¬
ließen; dann zündeten die Afghanen alles nicht Transportirbare an und ver¬
nichteten dabei törichterweise auch einen vollständigen Artilleriepark, den Elphin-
stone in brauchbarem Zustande, ohne die Geschütze vorher haben vernageln zu
lassen, ausgeliefert hatte. Schon am ersten Tage blieben die Leute zu
Dutzenden im Schnee liegen; namentlich waren es die indischen Soldaten, die
sich in völliger Muthlosigkeit und vom Froste erstarrt zu Boden warfen und
den Tod erwarteten. Gleich in der folgenden Nacht kamen eine große Anzahl
um, und am folgenden Tage war die Hälfte kampfunfähig; die Meisten schlössen
sich dem Trosse an, erschwerten auch dort die freie Bewegung und trugen dazu
bei, die allgemeine Verwirrung vollständig zu machen. Als ein sehr empfind¬
liches Hinderniß wirkte auch der unter den Hufen der Pferde, Esel und
Kameele sich festsetzende und gefrierende Schnee.

Um diese Zeit erschien Mohamed Akbar wieder auf dem Schauplatze, und
die Engländer hatten von nun an außer den Schrecknissen der Natur noch
einen racheschnaubenden und unbarmherzigen Feind zu bekämpfen. Jedoch darf
nicht unerwähnt bleiben, daß Akbar selbst bei verschiedenen Gelegenheiten An¬
wandlungen von Großmuth gehabt zu haben scheint, und daß es seine Absicht
gewesen sein mag, nicht das gesammte britische Heer aufzureiben, sondern
wenigstens die Offiziere, Frauen und Kinder als Geiseln zu behalten. Außer¬
dem hatte er über die unversöhnlichen Ghilzis nur geringe Macht, wenigstens
schützte er später vor, daß er nicht im Stande gewesen sei, das Ungestüm der¬
selben zu zügeln. So wurden von allen eingebrachten Gefangenen nur die
Offiziere und Frauen verschont, alle Uebrigen niedergemacht.

Als die ersten Schüsse der Afghanen gefallen waren, ließ sich der Haupt¬
mann Skinner zu dem betreffenden Ghilzishäuptling führen und erfuhr von
ihm, daß er Befehl habe, die Engländer bis in's Gebirge zu begleiten und die
Stellung von sechs Geiseln für das von General Sale besetzt gehaltene


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[0388] Haupiinnnns Trevor hatte ihre sieben Kinder nebst entsprechender indischer Dienerschaft bei sich und sah ihrer Entbindung binnen Kurzem entgegen. Und dieser Fall stand nicht vereinzelt da. Als sich der Zug am 6. Januar 1842 in Bewegung, setzte, wurde ein Theil des Lagerwalles eingerissen, um für die Mannschaften, den Troß und die zweitausend Kameele, die das nothwendigste Gepäck trugen, den erforder¬ lichen Raum zu schaffen. Die 2000 Afghanen, welche vertragsmäßig dem Heere das Geleite geben sollten, waren nirgends zu sehen. Dagegen stürzten sich die Eingeborenen massenweise auf der entgegengesetzten Seite in das Lnger und begannen die Plünderung; überhaupt umschwärmten die Afghanen von nun an den Zug der Flüchtlinge gleich wilden Thieren auf dem ganzen Marsche. Der erste Tag ging zur Neige, als die letzten Engländer das Lager ver¬ ließen; dann zündeten die Afghanen alles nicht Transportirbare an und ver¬ nichteten dabei törichterweise auch einen vollständigen Artilleriepark, den Elphin- stone in brauchbarem Zustande, ohne die Geschütze vorher haben vernageln zu lassen, ausgeliefert hatte. Schon am ersten Tage blieben die Leute zu Dutzenden im Schnee liegen; namentlich waren es die indischen Soldaten, die sich in völliger Muthlosigkeit und vom Froste erstarrt zu Boden warfen und den Tod erwarteten. Gleich in der folgenden Nacht kamen eine große Anzahl um, und am folgenden Tage war die Hälfte kampfunfähig; die Meisten schlössen sich dem Trosse an, erschwerten auch dort die freie Bewegung und trugen dazu bei, die allgemeine Verwirrung vollständig zu machen. Als ein sehr empfind¬ liches Hinderniß wirkte auch der unter den Hufen der Pferde, Esel und Kameele sich festsetzende und gefrierende Schnee. Um diese Zeit erschien Mohamed Akbar wieder auf dem Schauplatze, und die Engländer hatten von nun an außer den Schrecknissen der Natur noch einen racheschnaubenden und unbarmherzigen Feind zu bekämpfen. Jedoch darf nicht unerwähnt bleiben, daß Akbar selbst bei verschiedenen Gelegenheiten An¬ wandlungen von Großmuth gehabt zu haben scheint, und daß es seine Absicht gewesen sein mag, nicht das gesammte britische Heer aufzureiben, sondern wenigstens die Offiziere, Frauen und Kinder als Geiseln zu behalten. Außer¬ dem hatte er über die unversöhnlichen Ghilzis nur geringe Macht, wenigstens schützte er später vor, daß er nicht im Stande gewesen sei, das Ungestüm der¬ selben zu zügeln. So wurden von allen eingebrachten Gefangenen nur die Offiziere und Frauen verschont, alle Uebrigen niedergemacht. Als die ersten Schüsse der Afghanen gefallen waren, ließ sich der Haupt¬ mann Skinner zu dem betreffenden Ghilzishäuptling führen und erfuhr von ihm, daß er Befehl habe, die Engländer bis in's Gebirge zu begleiten und die Stellung von sechs Geiseln für das von General Sale besetzt gehaltene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/388>, abgerufen am 05.02.2025.