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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Ensemble zeigen", andere Bühnen vielfach "Vorstellungen mittlerer Kräfte, wo
dieses Ensemble fehlt". Wo liegen da die "unleugbaren künstlerischen Vorzüge"?

Leider müssen wir es uns versagen, auf die Bedeutung einzelner schau¬
spielerischer Kräfte der Meiniuger nochmals einzugehen. Ueber manche von
ihnen hat sich, wie dies ja nicht ausbleiben konnte, unser Urtheil etwas ver¬
schoben, nachdem wir die späteren Vorstellungen gesehen. Bei weitem für die
bedeutendste Kraft möchten wir Herrn Hellmuth-Bräu erklären; er hat auch in den
späteren Aufführungen (als Verrina, Mardochai, Stauffacher) immer nur die
reifsten, edelsten Gaben geboten; er ist ein ebenso Verständniß- wie geschmack¬
voller Künstler und zudem unterstützt durch treffliche äußere Mittel, vor
allem durch ein prachtvolles, breit und klangreich austönendes Organ; Herr Hell¬
muth-Bräu spricht, wie Stockhausen singt -- oder sang, muß man ja leider
sagen. Für Musiker wäre damit genug gesagt. Eine zweite Kraft, Herrn Nesper,
glauben wir Anfangs etwas überschätzt zu haben; sein Fiesco, sein Ahasver,
sein Tell haben uns nicht denselben tiefen Eindruck gemacht, wie sein Antonius
und sein Karl Moor. Unleugbar ist Herr Nesper von der Natur verschwen¬
derisch mit Anlagen und Mitteln zur darstellenden Kunst ausgerüstet; aber es
sind eben doch diese natürlichen Mittel, die in seinem Spiel etwas dominiren.
Durchaus nicht gerecht geworden sind wir dagegen bis jetzt Frl. Habelmann; ihre
Julia, Hermione, Hedwig und -- Tvinette zeigten sie als eine viel bedeuten¬
dere Künstlerin, als wir Anfangs glaubten. Eine lauge Reihe von Namen
aber schließt an diese drei sich an -- Frl. Pauli (Leonore, Esther), Frau Berg
(Paulina, Zares, Gertrud), Frl. Grevenberg, Frl. Werner, die Herren Godet
(Andreas Doria, Walter Fürst), Teller (Autolytus, Haman, Geßler), Kober
(Hassan, Attinghansen), Hassel, Pückert, Richard, Heine, Görner, Kainz u. A,
die Godet'schen Kleinen nicht zu vergessen, die ihre Sache immer so prächtig
machten --, die vor vier Wochen uus sammt und sonders fremd gegenüber¬
traten und die uns nun alle lieb und vertraut geworden sind, weil mit jedem
von ihnen eine Anzahl fein ausgearbeiteter poetischer Charakterköpfe verknüpft
ist, welche in unserer Erinnerung nicht so bald verblassen werden.

Wie man hört, ist das Gastspiel der Meiuinger in Leipzig pekuniär zur
vollen Zufriedenheit der Betheiligten ausgefallen. Die Gäste haben einen er¬
klecklichen Reingewinn mit hinweggenommen, und Herr Dr. Förster soll -- und
zwar, was entschieden das Hübscheste bei der Sache ist, ohne einen Finger
krumm zu machen -- das nette Sümmchen von 20,000 Mark als vierwöchent¬
liches Pachtgeld für das alte Theater von seinen Gästen eingestrichen haben.
Wir haben in unserer vorigen Besprechung es als einen rüthselhaften Muth
des Leipziger Theaterdirektors bezeichnet, das Gastspiel der Meininger zu ver-


Ensemble zeigen", andere Bühnen vielfach „Vorstellungen mittlerer Kräfte, wo
dieses Ensemble fehlt". Wo liegen da die „unleugbaren künstlerischen Vorzüge"?

Leider müssen wir es uns versagen, auf die Bedeutung einzelner schau¬
spielerischer Kräfte der Meiniuger nochmals einzugehen. Ueber manche von
ihnen hat sich, wie dies ja nicht ausbleiben konnte, unser Urtheil etwas ver¬
schoben, nachdem wir die späteren Vorstellungen gesehen. Bei weitem für die
bedeutendste Kraft möchten wir Herrn Hellmuth-Bräu erklären; er hat auch in den
späteren Aufführungen (als Verrina, Mardochai, Stauffacher) immer nur die
reifsten, edelsten Gaben geboten; er ist ein ebenso Verständniß- wie geschmack¬
voller Künstler und zudem unterstützt durch treffliche äußere Mittel, vor
allem durch ein prachtvolles, breit und klangreich austönendes Organ; Herr Hell¬
muth-Bräu spricht, wie Stockhausen singt — oder sang, muß man ja leider
sagen. Für Musiker wäre damit genug gesagt. Eine zweite Kraft, Herrn Nesper,
glauben wir Anfangs etwas überschätzt zu haben; sein Fiesco, sein Ahasver,
sein Tell haben uns nicht denselben tiefen Eindruck gemacht, wie sein Antonius
und sein Karl Moor. Unleugbar ist Herr Nesper von der Natur verschwen¬
derisch mit Anlagen und Mitteln zur darstellenden Kunst ausgerüstet; aber es
sind eben doch diese natürlichen Mittel, die in seinem Spiel etwas dominiren.
Durchaus nicht gerecht geworden sind wir dagegen bis jetzt Frl. Habelmann; ihre
Julia, Hermione, Hedwig und — Tvinette zeigten sie als eine viel bedeuten¬
dere Künstlerin, als wir Anfangs glaubten. Eine lauge Reihe von Namen
aber schließt an diese drei sich an — Frl. Pauli (Leonore, Esther), Frau Berg
(Paulina, Zares, Gertrud), Frl. Grevenberg, Frl. Werner, die Herren Godet
(Andreas Doria, Walter Fürst), Teller (Autolytus, Haman, Geßler), Kober
(Hassan, Attinghansen), Hassel, Pückert, Richard, Heine, Görner, Kainz u. A,
die Godet'schen Kleinen nicht zu vergessen, die ihre Sache immer so prächtig
machten —, die vor vier Wochen uus sammt und sonders fremd gegenüber¬
traten und die uns nun alle lieb und vertraut geworden sind, weil mit jedem
von ihnen eine Anzahl fein ausgearbeiteter poetischer Charakterköpfe verknüpft
ist, welche in unserer Erinnerung nicht so bald verblassen werden.

Wie man hört, ist das Gastspiel der Meiuinger in Leipzig pekuniär zur
vollen Zufriedenheit der Betheiligten ausgefallen. Die Gäste haben einen er¬
klecklichen Reingewinn mit hinweggenommen, und Herr Dr. Förster soll — und
zwar, was entschieden das Hübscheste bei der Sache ist, ohne einen Finger
krumm zu machen — das nette Sümmchen von 20,000 Mark als vierwöchent¬
liches Pachtgeld für das alte Theater von seinen Gästen eingestrichen haben.
Wir haben in unserer vorigen Besprechung es als einen rüthselhaften Muth
des Leipziger Theaterdirektors bezeichnet, das Gastspiel der Meininger zu ver-


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[0319] Ensemble zeigen", andere Bühnen vielfach „Vorstellungen mittlerer Kräfte, wo dieses Ensemble fehlt". Wo liegen da die „unleugbaren künstlerischen Vorzüge"? Leider müssen wir es uns versagen, auf die Bedeutung einzelner schau¬ spielerischer Kräfte der Meiniuger nochmals einzugehen. Ueber manche von ihnen hat sich, wie dies ja nicht ausbleiben konnte, unser Urtheil etwas ver¬ schoben, nachdem wir die späteren Vorstellungen gesehen. Bei weitem für die bedeutendste Kraft möchten wir Herrn Hellmuth-Bräu erklären; er hat auch in den späteren Aufführungen (als Verrina, Mardochai, Stauffacher) immer nur die reifsten, edelsten Gaben geboten; er ist ein ebenso Verständniß- wie geschmack¬ voller Künstler und zudem unterstützt durch treffliche äußere Mittel, vor allem durch ein prachtvolles, breit und klangreich austönendes Organ; Herr Hell¬ muth-Bräu spricht, wie Stockhausen singt — oder sang, muß man ja leider sagen. Für Musiker wäre damit genug gesagt. Eine zweite Kraft, Herrn Nesper, glauben wir Anfangs etwas überschätzt zu haben; sein Fiesco, sein Ahasver, sein Tell haben uns nicht denselben tiefen Eindruck gemacht, wie sein Antonius und sein Karl Moor. Unleugbar ist Herr Nesper von der Natur verschwen¬ derisch mit Anlagen und Mitteln zur darstellenden Kunst ausgerüstet; aber es sind eben doch diese natürlichen Mittel, die in seinem Spiel etwas dominiren. Durchaus nicht gerecht geworden sind wir dagegen bis jetzt Frl. Habelmann; ihre Julia, Hermione, Hedwig und — Tvinette zeigten sie als eine viel bedeuten¬ dere Künstlerin, als wir Anfangs glaubten. Eine lauge Reihe von Namen aber schließt an diese drei sich an — Frl. Pauli (Leonore, Esther), Frau Berg (Paulina, Zares, Gertrud), Frl. Grevenberg, Frl. Werner, die Herren Godet (Andreas Doria, Walter Fürst), Teller (Autolytus, Haman, Geßler), Kober (Hassan, Attinghansen), Hassel, Pückert, Richard, Heine, Görner, Kainz u. A, die Godet'schen Kleinen nicht zu vergessen, die ihre Sache immer so prächtig machten —, die vor vier Wochen uus sammt und sonders fremd gegenüber¬ traten und die uns nun alle lieb und vertraut geworden sind, weil mit jedem von ihnen eine Anzahl fein ausgearbeiteter poetischer Charakterköpfe verknüpft ist, welche in unserer Erinnerung nicht so bald verblassen werden. Wie man hört, ist das Gastspiel der Meiuinger in Leipzig pekuniär zur vollen Zufriedenheit der Betheiligten ausgefallen. Die Gäste haben einen er¬ klecklichen Reingewinn mit hinweggenommen, und Herr Dr. Förster soll — und zwar, was entschieden das Hübscheste bei der Sache ist, ohne einen Finger krumm zu machen — das nette Sümmchen von 20,000 Mark als vierwöchent¬ liches Pachtgeld für das alte Theater von seinen Gästen eingestrichen haben. Wir haben in unserer vorigen Besprechung es als einen rüthselhaften Muth des Leipziger Theaterdirektors bezeichnet, das Gastspiel der Meininger zu ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/319>, abgerufen am 05.02.2025.