Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.kritiker ist, auf den sie sich berufen, fondern der weniger bekannte Kant, der Seinen Stoff hat der Verfasser umsichtig angeordnet. Die eigentliche kritiker ist, auf den sie sich berufen, fondern der weniger bekannte Kant, der Seinen Stoff hat der Verfasser umsichtig angeordnet. Die eigentliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141192"/> <p xml:id="ID_1069" prev="#ID_1068"> kritiker ist, auf den sie sich berufen, fondern der weniger bekannte Kant, der<lb/> den Geistern von der Berkeley'schen und gar von der Swedenborg'schen Gattung<lb/> nahestand und in jüngeren Jahren, ehe er aus seinem dogmatischen Schlummer<lb/> erwachte, sogar auch Vierdimensionale Anwandlungen hatte. In dieser Auf¬<lb/> fassung der Kant'schen Philosophie wird der Verfasser durch seine nur kurzen<lb/> Bemerkungen über diesen Punkt schwerlich Jemanden wankend gemacht haben.<lb/> Und doch hätten wir gerade hierüber im Rahmen der vorliegenden Schrift eine<lb/> ausführlichere Erörterung gewünscht, umsomehr, als besonders Zoellner mit so<lb/> großem Nachdruck — und wir glauben mit einigem Recht — die Autorität<lb/> Kant's in Anspruch nimmt und häufig zitirt. Zoellner würde das nicht wagen<lb/> dürfen, wenn Kant durchweg eine entschiedene Stellung eingenommen hätte,<lb/> oder der Nachweis geführt werden könnte, daß dieselbe so unzweideutig ist, wie<lb/> der Verfasser annimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1070" next="#ID_1071"> Seinen Stoff hat der Verfasser umsichtig angeordnet. Die eigentliche<lb/> Streitfrage ist in sieben Einzelfragen zerlegt, und am Schlüsse einer jeden<lb/> finden wir die Resultate der Untersuchung kurz zusammengefaßt, wodurch dem<lb/> Leser die Uebersicht erleichtert wird. Die Einzelfragen mögen hier anstatt einer<lb/> detaillirteren Inhaltsangabe Platz finden. Es sind folgende: Auf welchen<lb/> Beifügungen ruht überhaupt die Möglichkeit, daß wir Raumanschauung be¬<lb/> komme!? köunen? Wie wird diese Möglichkeit zu wirklicher Rnnmanschannng?<lb/> Wodurch erhält die Raumanschauung ihre Eigenthümlichkeit? Wie entsteht<lb/> ans den Eigenthümlichkeiten der Raumanschauung die Erkenntniß der geome¬<lb/> trischen Axiome? Ist es denkbar, daß der Raum noch andere Eigenthümlich¬<lb/> keiten habe? Wäre es möglich, daß wir veränderte Eigenthümlichkeiten des<lb/> Raumes und daraus folgende veränderte geometrische Axiome erreichen könnten?<lb/> Welchen Grad der Sicherheit haben also die Eigenthümlichkeiten und Gesetze<lb/> der Raumanschauung, welche die Axiome der Geometrie aussprechen? Die Be¬<lb/> antwortung dieser Fragen knüpft überall an die Bekämpfung der Helmholtz'-<lb/> schen Theorie an und findet im Sinne des Apriorismus statt. Auf die<lb/> Mathematik und eigentliche Hypergeometrie ist dabei leider wenig Rücksicht<lb/> genommen, wo es geschieht, geschieht es ohne tieferes Verständniß für die Sache.<lb/> Der Verfasser scheint sogar zu glauben, daß hinter der Niemann'scheu Hyper¬<lb/> geometrie eine ganz besondere mathematische Weisheit stecke, während doch<lb/> Riemann, soweit sich aus seinen abgerissenen Auslassungen ein Schluß ziehen<lb/> läßt, von der Raumgeometrie ans nur einen analytisch verallgemeinernden<lb/> Schritt machte, ähnlich dem, welchen man zu unternehmen genöthigt ist, wenn<lb/> man von der ebenen Geometrie zur räumlichen übergeht. Den Beweis, daß<lb/> eine derartige Verallgemeinerung noch Boden unter den Füßen behalte, hat<lb/> er zu führen unterlassen. Er hat wohl auch schwerlich einen Beweis gehabt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0313]
kritiker ist, auf den sie sich berufen, fondern der weniger bekannte Kant, der
den Geistern von der Berkeley'schen und gar von der Swedenborg'schen Gattung
nahestand und in jüngeren Jahren, ehe er aus seinem dogmatischen Schlummer
erwachte, sogar auch Vierdimensionale Anwandlungen hatte. In dieser Auf¬
fassung der Kant'schen Philosophie wird der Verfasser durch seine nur kurzen
Bemerkungen über diesen Punkt schwerlich Jemanden wankend gemacht haben.
Und doch hätten wir gerade hierüber im Rahmen der vorliegenden Schrift eine
ausführlichere Erörterung gewünscht, umsomehr, als besonders Zoellner mit so
großem Nachdruck — und wir glauben mit einigem Recht — die Autorität
Kant's in Anspruch nimmt und häufig zitirt. Zoellner würde das nicht wagen
dürfen, wenn Kant durchweg eine entschiedene Stellung eingenommen hätte,
oder der Nachweis geführt werden könnte, daß dieselbe so unzweideutig ist, wie
der Verfasser annimmt.
Seinen Stoff hat der Verfasser umsichtig angeordnet. Die eigentliche
Streitfrage ist in sieben Einzelfragen zerlegt, und am Schlüsse einer jeden
finden wir die Resultate der Untersuchung kurz zusammengefaßt, wodurch dem
Leser die Uebersicht erleichtert wird. Die Einzelfragen mögen hier anstatt einer
detaillirteren Inhaltsangabe Platz finden. Es sind folgende: Auf welchen
Beifügungen ruht überhaupt die Möglichkeit, daß wir Raumanschauung be¬
komme!? köunen? Wie wird diese Möglichkeit zu wirklicher Rnnmanschannng?
Wodurch erhält die Raumanschauung ihre Eigenthümlichkeit? Wie entsteht
ans den Eigenthümlichkeiten der Raumanschauung die Erkenntniß der geome¬
trischen Axiome? Ist es denkbar, daß der Raum noch andere Eigenthümlich¬
keiten habe? Wäre es möglich, daß wir veränderte Eigenthümlichkeiten des
Raumes und daraus folgende veränderte geometrische Axiome erreichen könnten?
Welchen Grad der Sicherheit haben also die Eigenthümlichkeiten und Gesetze
der Raumanschauung, welche die Axiome der Geometrie aussprechen? Die Be¬
antwortung dieser Fragen knüpft überall an die Bekämpfung der Helmholtz'-
schen Theorie an und findet im Sinne des Apriorismus statt. Auf die
Mathematik und eigentliche Hypergeometrie ist dabei leider wenig Rücksicht
genommen, wo es geschieht, geschieht es ohne tieferes Verständniß für die Sache.
Der Verfasser scheint sogar zu glauben, daß hinter der Niemann'scheu Hyper¬
geometrie eine ganz besondere mathematische Weisheit stecke, während doch
Riemann, soweit sich aus seinen abgerissenen Auslassungen ein Schluß ziehen
läßt, von der Raumgeometrie ans nur einen analytisch verallgemeinernden
Schritt machte, ähnlich dem, welchen man zu unternehmen genöthigt ist, wenn
man von der ebenen Geometrie zur räumlichen übergeht. Den Beweis, daß
eine derartige Verallgemeinerung noch Boden unter den Füßen behalte, hat
er zu führen unterlassen. Er hat wohl auch schwerlich einen Beweis gehabt,
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