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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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davon, wie es bei uns steht. Als ich Minister geworden war, hatte ich eine
Unterredung mit ihm in Paris. Da meinte er, das würde wohl nicht lange
dauern, es würde einen Aufstand geben in Berlin und Revolution im ganzen
Lande, und bei einem Plebiscit hätte der König Alle gegen sich. -- Ich sagte
ihm damals, das Volk baute bei uns keine Barrikaden, Revolutionen machten
in Preuszen nur die Könige. Wenn der König die Spannung, die freilich vor¬
handen wäre, nur drei bis vier Jahre aushielte, -- die Abwendung des
Publikums von ihm wäre allerdings unangenehm und unbequem -- so hätte
er gewonnen Spiel. Wenn er nicht müde würde und mich nicht im Stiche
ließe, würde ich nicht fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen
ließe, so hätte er schon jetzt neun Zehntheile für sich." -- "Der Kaiser hat da¬
mals über mich geäußert: "<us n'sse xg.s an Iroiruris svrisQx," woran ich
ihn im Weberhause bei Donchery natürlich nicht erinnerte." Man wolle hier¬
mit Band I, S. 318 vergleichen.

S. 325 ff.: "Er erzählte darnach, daß er heute auf dem Wege nach Samt
Cloud vielen Leuten mit Hausrath und Betten begegnet sei; wahrscheinlich seien
es Bewohner der Dörfer hier in der Nachbarschaft gewesen, die aber nicht aus
Paris gekommen sein könnten. "Die Frauen sahen ganz freundlich aus," be¬
merkte er dazu, "die Männer aber nahmen sofort, nachdem sie der Uniformen
ansichtig geworden waren, eine finstere Miene und eine heroische Haltung
an. -- Das erinnert mich, bei der früheren neapolitanischen Armee, da gab es
ein Kommandvwort -- wenn bei uns kommandirt wird: "Gewehr zur Attacke
rechts!" so hieß es da: "^ovis, isroos!" Alles ist bei den Franzosen gro߬
artige Stellung, pompöse Redensart, imponirende Miene wie auf dem Theater.
Wenn's nur recht klingt und nach etwas aussieht -- der Inhalt ist einerlei,
's ist wie mit dem Potsdamer Bürger und Hausbesitzer, der mir einmal sagte,
daß eine Rede von Radowitz ihn tief gerührt und ergriffen Hütte. Ich fragte
ihn, ob er mir eine Stelle sagen könnte, die ihm besonders zu Herzen ge¬
gangen wäre -- oder besonders schön vorgekommen. Er wußte keine anzu¬
geben. Ich nahm darauf die Rede her und erkundigte mich bei ihm, welches
die rührende Stelle wäre, indem ich das Ganze vorlas, und da ergab sich's,
daß gar nichts derart darin stand, weder was Rührendes noch was Erhabnes.
Es war eigentlich immer nur die Miene, die Stellung des Redners, die aus¬
sah, als spräche er das Tiefste, Bedeutendste und Ergreifendste - der Denker¬
blick, das andächtige Auge und die Stimme voll Klang und Gewicht. -- Mit
Waldeck war's ähnlich, obwohl der kein so gescheiter Mensch und keine so
vornehme Erscheinung war. Bei dem war's mehr der weiße Bart und die
Gesinnungstüchtigkeit." -- "Die Gabe der Beredsamkeit hat im parlamenta¬
rischen Leben Manches verdorben. Man braucht viel Zeit, weil Alle, die da


Greuzbowi IV. 1878. 35

davon, wie es bei uns steht. Als ich Minister geworden war, hatte ich eine
Unterredung mit ihm in Paris. Da meinte er, das würde wohl nicht lange
dauern, es würde einen Aufstand geben in Berlin und Revolution im ganzen
Lande, und bei einem Plebiscit hätte der König Alle gegen sich. — Ich sagte
ihm damals, das Volk baute bei uns keine Barrikaden, Revolutionen machten
in Preuszen nur die Könige. Wenn der König die Spannung, die freilich vor¬
handen wäre, nur drei bis vier Jahre aushielte, — die Abwendung des
Publikums von ihm wäre allerdings unangenehm und unbequem — so hätte
er gewonnen Spiel. Wenn er nicht müde würde und mich nicht im Stiche
ließe, würde ich nicht fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen
ließe, so hätte er schon jetzt neun Zehntheile für sich." — „Der Kaiser hat da¬
mals über mich geäußert: „<us n'sse xg.s an Iroiruris svrisQx," woran ich
ihn im Weberhause bei Donchery natürlich nicht erinnerte." Man wolle hier¬
mit Band I, S. 318 vergleichen.

S. 325 ff.: „Er erzählte darnach, daß er heute auf dem Wege nach Samt
Cloud vielen Leuten mit Hausrath und Betten begegnet sei; wahrscheinlich seien
es Bewohner der Dörfer hier in der Nachbarschaft gewesen, die aber nicht aus
Paris gekommen sein könnten. „Die Frauen sahen ganz freundlich aus," be¬
merkte er dazu, „die Männer aber nahmen sofort, nachdem sie der Uniformen
ansichtig geworden waren, eine finstere Miene und eine heroische Haltung
an. — Das erinnert mich, bei der früheren neapolitanischen Armee, da gab es
ein Kommandvwort — wenn bei uns kommandirt wird: „Gewehr zur Attacke
rechts!" so hieß es da: „^ovis, isroos!" Alles ist bei den Franzosen gro߬
artige Stellung, pompöse Redensart, imponirende Miene wie auf dem Theater.
Wenn's nur recht klingt und nach etwas aussieht — der Inhalt ist einerlei,
's ist wie mit dem Potsdamer Bürger und Hausbesitzer, der mir einmal sagte,
daß eine Rede von Radowitz ihn tief gerührt und ergriffen Hütte. Ich fragte
ihn, ob er mir eine Stelle sagen könnte, die ihm besonders zu Herzen ge¬
gangen wäre — oder besonders schön vorgekommen. Er wußte keine anzu¬
geben. Ich nahm darauf die Rede her und erkundigte mich bei ihm, welches
die rührende Stelle wäre, indem ich das Ganze vorlas, und da ergab sich's,
daß gar nichts derart darin stand, weder was Rührendes noch was Erhabnes.
Es war eigentlich immer nur die Miene, die Stellung des Redners, die aus¬
sah, als spräche er das Tiefste, Bedeutendste und Ergreifendste - der Denker¬
blick, das andächtige Auge und die Stimme voll Klang und Gewicht. — Mit
Waldeck war's ähnlich, obwohl der kein so gescheiter Mensch und keine so
vornehme Erscheinung war. Bei dem war's mehr der weiße Bart und die
Gesinnungstüchtigkeit." — „Die Gabe der Beredsamkeit hat im parlamenta¬
rischen Leben Manches verdorben. Man braucht viel Zeit, weil Alle, die da


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[0277] davon, wie es bei uns steht. Als ich Minister geworden war, hatte ich eine Unterredung mit ihm in Paris. Da meinte er, das würde wohl nicht lange dauern, es würde einen Aufstand geben in Berlin und Revolution im ganzen Lande, und bei einem Plebiscit hätte der König Alle gegen sich. — Ich sagte ihm damals, das Volk baute bei uns keine Barrikaden, Revolutionen machten in Preuszen nur die Könige. Wenn der König die Spannung, die freilich vor¬ handen wäre, nur drei bis vier Jahre aushielte, — die Abwendung des Publikums von ihm wäre allerdings unangenehm und unbequem — so hätte er gewonnen Spiel. Wenn er nicht müde würde und mich nicht im Stiche ließe, würde ich nicht fallen. Und wenn man das Volk anriefe und abstimmen ließe, so hätte er schon jetzt neun Zehntheile für sich." — „Der Kaiser hat da¬ mals über mich geäußert: „<us n'sse xg.s an Iroiruris svrisQx," woran ich ihn im Weberhause bei Donchery natürlich nicht erinnerte." Man wolle hier¬ mit Band I, S. 318 vergleichen. S. 325 ff.: „Er erzählte darnach, daß er heute auf dem Wege nach Samt Cloud vielen Leuten mit Hausrath und Betten begegnet sei; wahrscheinlich seien es Bewohner der Dörfer hier in der Nachbarschaft gewesen, die aber nicht aus Paris gekommen sein könnten. „Die Frauen sahen ganz freundlich aus," be¬ merkte er dazu, „die Männer aber nahmen sofort, nachdem sie der Uniformen ansichtig geworden waren, eine finstere Miene und eine heroische Haltung an. — Das erinnert mich, bei der früheren neapolitanischen Armee, da gab es ein Kommandvwort — wenn bei uns kommandirt wird: „Gewehr zur Attacke rechts!" so hieß es da: „^ovis, isroos!" Alles ist bei den Franzosen gro߬ artige Stellung, pompöse Redensart, imponirende Miene wie auf dem Theater. Wenn's nur recht klingt und nach etwas aussieht — der Inhalt ist einerlei, 's ist wie mit dem Potsdamer Bürger und Hausbesitzer, der mir einmal sagte, daß eine Rede von Radowitz ihn tief gerührt und ergriffen Hütte. Ich fragte ihn, ob er mir eine Stelle sagen könnte, die ihm besonders zu Herzen ge¬ gangen wäre — oder besonders schön vorgekommen. Er wußte keine anzu¬ geben. Ich nahm darauf die Rede her und erkundigte mich bei ihm, welches die rührende Stelle wäre, indem ich das Ganze vorlas, und da ergab sich's, daß gar nichts derart darin stand, weder was Rührendes noch was Erhabnes. Es war eigentlich immer nur die Miene, die Stellung des Redners, die aus¬ sah, als spräche er das Tiefste, Bedeutendste und Ergreifendste - der Denker¬ blick, das andächtige Auge und die Stimme voll Klang und Gewicht. — Mit Waldeck war's ähnlich, obwohl der kein so gescheiter Mensch und keine so vornehme Erscheinung war. Bei dem war's mehr der weiße Bart und die Gesinnungstüchtigkeit." — „Die Gabe der Beredsamkeit hat im parlamenta¬ rischen Leben Manches verdorben. Man braucht viel Zeit, weil Alle, die da Greuzbowi IV. 1878. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/277>, abgerufen am 05.02.2025.