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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Daß das Stillleben, eine Gattung ziemlich untergeordneter Art, in solchen Massen
auftritt, ist auch ein Zeichen der Zeit. Es dokumentirt einerseits die an die Maler
dringender als jemals herantretende Nothwendigkeit, Gebiete zu kultiviren, die einen
leidlichen Absatz auf dem gewöhnlichen Kunstmarkt ermöglichen, andrerseits das
Ueberwuchern des Dilettantismus, der sich von jeher mit besonderer Vorliebe
der Blumen des Feldes und der Früchte des Südens anzunehmen pflegte.
An sich ist das kein großes Unglück für die Kunst. Solche Schlingpflanzen
haben sich immer am stolzen Stamme der deutschen Kunst eingefunden. Be¬
denklicher wird erst die Sache, wenn der Dilettantismus auch, wie es leider
in diesem Jahre sichtbar geworden ist, Invasionen in höhere Gebiete, besonders
in das der Porträtmalerei, macht. Unter solchen Umstünden bietet die akade¬
mische Kunstausstellung in diesem Jahre ein wenig erquickliches Bild: auf der
einen Seite der Dilettantismus, der sein Haupt immer höher erhebt, auf der
andern Seite die sich spreizende Unfähigkeit, das gedankenlose Streberthum,
das von allerlei Protektion getragen und großgezogen, sich herausnimmt, mit
riesigen Strecken bemalter Leinwand zu Paradiren, nur in der Absicht, ein ur¬
theilsloses Publikum zu verblüffen.

Wie anders würde sich die diesjährige Kunstausstellung ausgenommen
haben, wenn sich die Jury entschlossen hätte, mit resoluter Hand alles, was
sich in der breiten Gasse der Mittelmäßigkeit und noch weiter abseits bewegt,
auszumerzen. Es ist wahr: drei- bis vierhundert Bilder wären dann dem
Urtheilsspruch der Jury zum Opfer gefallen. Aber der Genuß an dem Uebrigen
wäre dann wesentlich erhöht und mancher unheilvolle Irrthum in dem Herzen
eines strebenden Kunstjttngers hätte durch die Ehre der akademischen Ausstellung
keine neue Nahrung erhalten.

Pekuniäre Interessen konnten dabei nicht in die Wagschaale fallen. Denn
daß die Menge noch nicht durch die Masse angezogen wird, beweist die einfache
Thatsache, daß die Ausstellung im Jahre 1876, dem ersten in dem neuen Ge¬
bäude, von 120,462 Personen besucht war, während sich die Frequenz im
folgenden Jahre nur auf 92,771 Personen belief, also eine Abnahme um ein
Dritttheil zeigte.

Bevor wir auf eine nähere Besprechung der bedeutendsten Werke eingehen,
bemerken wir noch, daß von den ca. 500 Künstlern, die sich an der Ausstellung
betheiligt haben, 195 auf Berlin, 104 auf Düsseldorf, 54 auf München, 26
aus Weimar, 17 auf Dresden, 17 auf Karlsruhe, 14 auf Königsberg, 7 auf
Rom, 6 auf London und 6 auf Wien kommen. Die übrigen vertheilen sich
auf die Städte Stuttgart, Amsterdam, Frankfurt a. M, Breslau, Hamburg
u. c>. in. --

Daß die meisten unserer Maler, auch diejenigen, die sonst auf diesem Ge-


Daß das Stillleben, eine Gattung ziemlich untergeordneter Art, in solchen Massen
auftritt, ist auch ein Zeichen der Zeit. Es dokumentirt einerseits die an die Maler
dringender als jemals herantretende Nothwendigkeit, Gebiete zu kultiviren, die einen
leidlichen Absatz auf dem gewöhnlichen Kunstmarkt ermöglichen, andrerseits das
Ueberwuchern des Dilettantismus, der sich von jeher mit besonderer Vorliebe
der Blumen des Feldes und der Früchte des Südens anzunehmen pflegte.
An sich ist das kein großes Unglück für die Kunst. Solche Schlingpflanzen
haben sich immer am stolzen Stamme der deutschen Kunst eingefunden. Be¬
denklicher wird erst die Sache, wenn der Dilettantismus auch, wie es leider
in diesem Jahre sichtbar geworden ist, Invasionen in höhere Gebiete, besonders
in das der Porträtmalerei, macht. Unter solchen Umstünden bietet die akade¬
mische Kunstausstellung in diesem Jahre ein wenig erquickliches Bild: auf der
einen Seite der Dilettantismus, der sein Haupt immer höher erhebt, auf der
andern Seite die sich spreizende Unfähigkeit, das gedankenlose Streberthum,
das von allerlei Protektion getragen und großgezogen, sich herausnimmt, mit
riesigen Strecken bemalter Leinwand zu Paradiren, nur in der Absicht, ein ur¬
theilsloses Publikum zu verblüffen.

Wie anders würde sich die diesjährige Kunstausstellung ausgenommen
haben, wenn sich die Jury entschlossen hätte, mit resoluter Hand alles, was
sich in der breiten Gasse der Mittelmäßigkeit und noch weiter abseits bewegt,
auszumerzen. Es ist wahr: drei- bis vierhundert Bilder wären dann dem
Urtheilsspruch der Jury zum Opfer gefallen. Aber der Genuß an dem Uebrigen
wäre dann wesentlich erhöht und mancher unheilvolle Irrthum in dem Herzen
eines strebenden Kunstjttngers hätte durch die Ehre der akademischen Ausstellung
keine neue Nahrung erhalten.

Pekuniäre Interessen konnten dabei nicht in die Wagschaale fallen. Denn
daß die Menge noch nicht durch die Masse angezogen wird, beweist die einfache
Thatsache, daß die Ausstellung im Jahre 1876, dem ersten in dem neuen Ge¬
bäude, von 120,462 Personen besucht war, während sich die Frequenz im
folgenden Jahre nur auf 92,771 Personen belief, also eine Abnahme um ein
Dritttheil zeigte.

Bevor wir auf eine nähere Besprechung der bedeutendsten Werke eingehen,
bemerken wir noch, daß von den ca. 500 Künstlern, die sich an der Ausstellung
betheiligt haben, 195 auf Berlin, 104 auf Düsseldorf, 54 auf München, 26
aus Weimar, 17 auf Dresden, 17 auf Karlsruhe, 14 auf Königsberg, 7 auf
Rom, 6 auf London und 6 auf Wien kommen. Die übrigen vertheilen sich
auf die Städte Stuttgart, Amsterdam, Frankfurt a. M, Breslau, Hamburg
u. c>. in. —

Daß die meisten unserer Maler, auch diejenigen, die sonst auf diesem Ge-


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[0026] Daß das Stillleben, eine Gattung ziemlich untergeordneter Art, in solchen Massen auftritt, ist auch ein Zeichen der Zeit. Es dokumentirt einerseits die an die Maler dringender als jemals herantretende Nothwendigkeit, Gebiete zu kultiviren, die einen leidlichen Absatz auf dem gewöhnlichen Kunstmarkt ermöglichen, andrerseits das Ueberwuchern des Dilettantismus, der sich von jeher mit besonderer Vorliebe der Blumen des Feldes und der Früchte des Südens anzunehmen pflegte. An sich ist das kein großes Unglück für die Kunst. Solche Schlingpflanzen haben sich immer am stolzen Stamme der deutschen Kunst eingefunden. Be¬ denklicher wird erst die Sache, wenn der Dilettantismus auch, wie es leider in diesem Jahre sichtbar geworden ist, Invasionen in höhere Gebiete, besonders in das der Porträtmalerei, macht. Unter solchen Umstünden bietet die akade¬ mische Kunstausstellung in diesem Jahre ein wenig erquickliches Bild: auf der einen Seite der Dilettantismus, der sein Haupt immer höher erhebt, auf der andern Seite die sich spreizende Unfähigkeit, das gedankenlose Streberthum, das von allerlei Protektion getragen und großgezogen, sich herausnimmt, mit riesigen Strecken bemalter Leinwand zu Paradiren, nur in der Absicht, ein ur¬ theilsloses Publikum zu verblüffen. Wie anders würde sich die diesjährige Kunstausstellung ausgenommen haben, wenn sich die Jury entschlossen hätte, mit resoluter Hand alles, was sich in der breiten Gasse der Mittelmäßigkeit und noch weiter abseits bewegt, auszumerzen. Es ist wahr: drei- bis vierhundert Bilder wären dann dem Urtheilsspruch der Jury zum Opfer gefallen. Aber der Genuß an dem Uebrigen wäre dann wesentlich erhöht und mancher unheilvolle Irrthum in dem Herzen eines strebenden Kunstjttngers hätte durch die Ehre der akademischen Ausstellung keine neue Nahrung erhalten. Pekuniäre Interessen konnten dabei nicht in die Wagschaale fallen. Denn daß die Menge noch nicht durch die Masse angezogen wird, beweist die einfache Thatsache, daß die Ausstellung im Jahre 1876, dem ersten in dem neuen Ge¬ bäude, von 120,462 Personen besucht war, während sich die Frequenz im folgenden Jahre nur auf 92,771 Personen belief, also eine Abnahme um ein Dritttheil zeigte. Bevor wir auf eine nähere Besprechung der bedeutendsten Werke eingehen, bemerken wir noch, daß von den ca. 500 Künstlern, die sich an der Ausstellung betheiligt haben, 195 auf Berlin, 104 auf Düsseldorf, 54 auf München, 26 aus Weimar, 17 auf Dresden, 17 auf Karlsruhe, 14 auf Königsberg, 7 auf Rom, 6 auf London und 6 auf Wien kommen. Die übrigen vertheilen sich auf die Städte Stuttgart, Amsterdam, Frankfurt a. M, Breslau, Hamburg u. c>. in. — Daß die meisten unserer Maler, auch diejenigen, die sonst auf diesem Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/26>, abgerufen am 05.02.2025.