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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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leicht verwundbaren Nationalstolz auf das Aeußerste verwundete." -- Kein
vernünftiger Mensch wird diese Ansicht falsch finden. Unser Mann aber seufzt:
"Allerdings ist es schwer, solche Behauptung zu widerlegen, aber es ist doch
traurig, wie man uns so niedrige Eitelkeit an Stelle hoher philosophischer und
kosmopolitischer Gesichtspunkte unterschiebt!" ---

Ferner hört er in Leipzig an der Universität einen Vortrag des Professor
Voigt vor circa 300 Hörern, über die Zeit vom 10. August 1792 bis zur
Hinrichtung Ludwig's XVI. mit an. Auch hier wird sein Gefühl "froissirt."
"Mit viel Kunst und schönem Vortrag waren alle inneren Motoren jener
großen Epoche zusammengestellt und wurden in ihrer Wechselwirkung zur An¬
schauung gebracht. Da war aber keine Spur jener erhebenden Begeisterung,
welche die Größe der Bühne, die Tragik des Drama's beanspruchen können.
Die Zuhörer erhielten ein Bild, das sie mit Widerwillen (inüxris) gegen alle
Parteien jener Zeit erfüllen mußte. Es wurde der Hofpartei Egoismus und
Verblendung, den Girondisten schwächlicher Ehrgeiz und Prinzipienreiterei, den
Jakobinern Habgier und Grausamkeit nachgewiesen. -- Wohl waren mir alle
diese Anklagen bekannt, aber so aus einem Munde zusammengefaßt sie zu
hören, bedrückte mich. Bald glaubte ich einen Redner unserer Legitimisten,
bald einen Radikalen zuhören!" Wer jemals einen französischen Vortrag in seiner
gänzlich abgeschlossenen Subjektivität, der zudem in seiner outrirten Redeweise
und Gestikulation an einen keineswegs guten Schauspieler erinnert, gehört hat, der
wird erst ganz das mißvergnügte Erstaunen unsers Verfassers über eine Lehr¬
methode verstehen, die in ruhiger Objektivität nicht durch die Phantasie, sondern
durch die brutale Logik der Thatsachen wirkt. Der Franzose hat in der Haupt¬
sache weder Sinn noch Verständniß für historische Wahrheit. -- Während in
Frankreich der Versuch des französischen Unterrichtsministers Duruy, die Ge¬
schichte der Jetztzeit in den Unterricht der Lehranstalten zu ziehen, den erbit¬
terten Widerstand der ganzen Presse in's Leben rief, da keine politische Partei
soviel ehrenhafte Männer bei der andern voraussetzte, um diesen Unterricht in
würdiger Weise, und ohne das parteizerrissene Land zu schädigen, auszuführen,
sieht der Verfasser mit stillem Neide, aber ehrlicher Anerkennung, auf die ana¬
logen deutschen Schulverhältnisse in hohen und niederen Schulen. Daß sein
Patriotismus auch hier häufig zu scharfe Worte findet, ist natürlich, aber ge¬
wiß kaum zu tadeln von dem, der im wirklichen Leben statt in Wolken lebt.
Selbst der biedere "Kohlrausch" macht ihm patriotische Beklemmungen. Der
gereizte Dünkel in Verbindung mit dem oben behaupteten geringen Wahrheits¬
sinn des Franzosen machen den sonst -- für seine Verhältnisse -- sehr ma߬
vollen Mann zum vollkommen unwahren Sophisten, wenn der Ausdruck nicht
zu schwach ist. Eigentlich nämlich müßte man es anders nennen, wenn Herr


leicht verwundbaren Nationalstolz auf das Aeußerste verwundete." — Kein
vernünftiger Mensch wird diese Ansicht falsch finden. Unser Mann aber seufzt:
„Allerdings ist es schwer, solche Behauptung zu widerlegen, aber es ist doch
traurig, wie man uns so niedrige Eitelkeit an Stelle hoher philosophischer und
kosmopolitischer Gesichtspunkte unterschiebt!" —-

Ferner hört er in Leipzig an der Universität einen Vortrag des Professor
Voigt vor circa 300 Hörern, über die Zeit vom 10. August 1792 bis zur
Hinrichtung Ludwig's XVI. mit an. Auch hier wird sein Gefühl „froissirt."
„Mit viel Kunst und schönem Vortrag waren alle inneren Motoren jener
großen Epoche zusammengestellt und wurden in ihrer Wechselwirkung zur An¬
schauung gebracht. Da war aber keine Spur jener erhebenden Begeisterung,
welche die Größe der Bühne, die Tragik des Drama's beanspruchen können.
Die Zuhörer erhielten ein Bild, das sie mit Widerwillen (inüxris) gegen alle
Parteien jener Zeit erfüllen mußte. Es wurde der Hofpartei Egoismus und
Verblendung, den Girondisten schwächlicher Ehrgeiz und Prinzipienreiterei, den
Jakobinern Habgier und Grausamkeit nachgewiesen. — Wohl waren mir alle
diese Anklagen bekannt, aber so aus einem Munde zusammengefaßt sie zu
hören, bedrückte mich. Bald glaubte ich einen Redner unserer Legitimisten,
bald einen Radikalen zuhören!" Wer jemals einen französischen Vortrag in seiner
gänzlich abgeschlossenen Subjektivität, der zudem in seiner outrirten Redeweise
und Gestikulation an einen keineswegs guten Schauspieler erinnert, gehört hat, der
wird erst ganz das mißvergnügte Erstaunen unsers Verfassers über eine Lehr¬
methode verstehen, die in ruhiger Objektivität nicht durch die Phantasie, sondern
durch die brutale Logik der Thatsachen wirkt. Der Franzose hat in der Haupt¬
sache weder Sinn noch Verständniß für historische Wahrheit. — Während in
Frankreich der Versuch des französischen Unterrichtsministers Duruy, die Ge¬
schichte der Jetztzeit in den Unterricht der Lehranstalten zu ziehen, den erbit¬
terten Widerstand der ganzen Presse in's Leben rief, da keine politische Partei
soviel ehrenhafte Männer bei der andern voraussetzte, um diesen Unterricht in
würdiger Weise, und ohne das parteizerrissene Land zu schädigen, auszuführen,
sieht der Verfasser mit stillem Neide, aber ehrlicher Anerkennung, auf die ana¬
logen deutschen Schulverhältnisse in hohen und niederen Schulen. Daß sein
Patriotismus auch hier häufig zu scharfe Worte findet, ist natürlich, aber ge¬
wiß kaum zu tadeln von dem, der im wirklichen Leben statt in Wolken lebt.
Selbst der biedere „Kohlrausch" macht ihm patriotische Beklemmungen. Der
gereizte Dünkel in Verbindung mit dem oben behaupteten geringen Wahrheits¬
sinn des Franzosen machen den sonst — für seine Verhältnisse — sehr ma߬
vollen Mann zum vollkommen unwahren Sophisten, wenn der Ausdruck nicht
zu schwach ist. Eigentlich nämlich müßte man es anders nennen, wenn Herr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/222>, abgerufen am 05.02.2025.