Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und alle verwandten Bestrebungen doch weit höheren Zwecken. Klopstock und
sein Bardengebrüll liest kein Mensch mehr, wie der Verfasser irriger Weise
glaubt. Dabei übersieht er vollkommen, daß ganz homogene Bestrebungen im
Süden Frankreich's, die um^us ä'Oe wieder zu beleben, von Regierung und
Volk im Norden mit sehr scheelen Augen angesehen werden, weil man politische
Tendenzen dahinter muthmaßt. Ein längere Deduktion, welche seiner Zeit
Professor Palmer als Direktor der öffentlichen Unterrichtsanstalten Würtem-
berg's über den wünschenswerten Einfluß der Schule auf den Patriotismus
des Volkes veröffentlicht hat, dient dem Verfasser dazu, um zu beweisen, daß
der deutsche Schulunterricht auch die Politik der Jetztzeit in den Bereich seiner
Thätigkeit gezogen hat. Ich kenne die angezogne Schrift nicht, nach der mit¬
getheilten Probe scheint sie ein in's Würtembergische übersetzter Stiele zu sein.
Jedenfalls ist sie sür Deutschland nicht maßgebend. Unter Anderem wird
darin dasjenige Volk, das einen guten Fürsten habe, aufgefordert, dem Himmel
für diese "Gottesgabe" zu danken. Ein sehr hübscher Gedanke, aber nicht ganz
frei von der Gefahr, unter Umstünden als Satire angesehen zu werden
-- meint Herr B>, und ich auch. --

"Man kann sich vorstellen," sagt der Verfasser, "wenn von fremden
Nationen die Rede ist, daß der Erbfeind (das sind wir Franzosen, meine Herren
Landsleute, wenn Sie Nichts dagegen haben) nicht vergessen wird. Sobald
von Frankreich die Rede ist, stößt man auf eine solche Muth von Gehässig¬
keiten, daß es schwer ist Auswahl zu treffen. Er begnügt sich zum Beweise
da sür mit einer Stelle aus dem zweiten Bande von Schmidt's obenerwähnter
Enzyklopädie (Seite 708), wo der Haß in Bibelworte sich kleidet. Es be¬
zieht sich der Passus auf ein Schulprogramm der Stadt Magdeburg aus
dem Jahre 1856, wo der Verfasser es tadelt, daß man verabsäume, den
Patriotismus der jungen Leute hinreichend zu wecken."

Um zu beweisen, daß die deutsche Philosophie im Gegensatze steht zu der
kosmopolitischen Verflachung der vaterlandslosen Redensarten der Enzyklopä¬
disten der Revolution, zitirt er eine Stelle ans den Werken des 1870 verstor¬
benen Professor Thilo in Berlin. Die Stelle, die Herrn B. so kränkt, lautet:
"Mau muß eben in jedem Volke seine entwickelte Eigenart ehren und rücksichts¬
voll behandeln. ' ?rvxrwin hör LÄruirl. selbst dem Polen!" --

In einer Berliner Gewerbeschule hört er einen Vortrag über die Ursachen
der französischen Revolution und ist entrüstet, daß der Professor als einender
ernstesten Gründe anführt: die Erbitterung der ganzen höheren Stände und
namentlich der Land- wie Seeoffiziere über die schmachvolle Rolle, welche
Frankreich's Heere und Flotten unter der elenden Regierung auf allen Kriegs¬
schauplätzen seit zwei Menschenaltern fast allgemein spielte, und welche den so


Grenzboten IV. 1L7L. 28

und alle verwandten Bestrebungen doch weit höheren Zwecken. Klopstock und
sein Bardengebrüll liest kein Mensch mehr, wie der Verfasser irriger Weise
glaubt. Dabei übersieht er vollkommen, daß ganz homogene Bestrebungen im
Süden Frankreich's, die um^us ä'Oe wieder zu beleben, von Regierung und
Volk im Norden mit sehr scheelen Augen angesehen werden, weil man politische
Tendenzen dahinter muthmaßt. Ein längere Deduktion, welche seiner Zeit
Professor Palmer als Direktor der öffentlichen Unterrichtsanstalten Würtem-
berg's über den wünschenswerten Einfluß der Schule auf den Patriotismus
des Volkes veröffentlicht hat, dient dem Verfasser dazu, um zu beweisen, daß
der deutsche Schulunterricht auch die Politik der Jetztzeit in den Bereich seiner
Thätigkeit gezogen hat. Ich kenne die angezogne Schrift nicht, nach der mit¬
getheilten Probe scheint sie ein in's Würtembergische übersetzter Stiele zu sein.
Jedenfalls ist sie sür Deutschland nicht maßgebend. Unter Anderem wird
darin dasjenige Volk, das einen guten Fürsten habe, aufgefordert, dem Himmel
für diese „Gottesgabe" zu danken. Ein sehr hübscher Gedanke, aber nicht ganz
frei von der Gefahr, unter Umstünden als Satire angesehen zu werden
— meint Herr B>, und ich auch. —

„Man kann sich vorstellen," sagt der Verfasser, „wenn von fremden
Nationen die Rede ist, daß der Erbfeind (das sind wir Franzosen, meine Herren
Landsleute, wenn Sie Nichts dagegen haben) nicht vergessen wird. Sobald
von Frankreich die Rede ist, stößt man auf eine solche Muth von Gehässig¬
keiten, daß es schwer ist Auswahl zu treffen. Er begnügt sich zum Beweise
da sür mit einer Stelle aus dem zweiten Bande von Schmidt's obenerwähnter
Enzyklopädie (Seite 708), wo der Haß in Bibelworte sich kleidet. Es be¬
zieht sich der Passus auf ein Schulprogramm der Stadt Magdeburg aus
dem Jahre 1856, wo der Verfasser es tadelt, daß man verabsäume, den
Patriotismus der jungen Leute hinreichend zu wecken."

Um zu beweisen, daß die deutsche Philosophie im Gegensatze steht zu der
kosmopolitischen Verflachung der vaterlandslosen Redensarten der Enzyklopä¬
disten der Revolution, zitirt er eine Stelle ans den Werken des 1870 verstor¬
benen Professor Thilo in Berlin. Die Stelle, die Herrn B. so kränkt, lautet:
„Mau muß eben in jedem Volke seine entwickelte Eigenart ehren und rücksichts¬
voll behandeln. ' ?rvxrwin hör LÄruirl. selbst dem Polen!" —

In einer Berliner Gewerbeschule hört er einen Vortrag über die Ursachen
der französischen Revolution und ist entrüstet, daß der Professor als einender
ernstesten Gründe anführt: die Erbitterung der ganzen höheren Stände und
namentlich der Land- wie Seeoffiziere über die schmachvolle Rolle, welche
Frankreich's Heere und Flotten unter der elenden Regierung auf allen Kriegs¬
schauplätzen seit zwei Menschenaltern fast allgemein spielte, und welche den so


Grenzboten IV. 1L7L. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141100"/>
          <p xml:id="ID_753" prev="#ID_752"> und alle verwandten Bestrebungen doch weit höheren Zwecken. Klopstock und<lb/>
sein Bardengebrüll liest kein Mensch mehr, wie der Verfasser irriger Weise<lb/>
glaubt. Dabei übersieht er vollkommen, daß ganz homogene Bestrebungen im<lb/>
Süden Frankreich's, die um^us ä'Oe wieder zu beleben, von Regierung und<lb/>
Volk im Norden mit sehr scheelen Augen angesehen werden, weil man politische<lb/>
Tendenzen dahinter muthmaßt. Ein längere Deduktion, welche seiner Zeit<lb/>
Professor Palmer als Direktor der öffentlichen Unterrichtsanstalten Würtem-<lb/>
berg's über den wünschenswerten Einfluß der Schule auf den Patriotismus<lb/>
des Volkes veröffentlicht hat, dient dem Verfasser dazu, um zu beweisen, daß<lb/>
der deutsche Schulunterricht auch die Politik der Jetztzeit in den Bereich seiner<lb/>
Thätigkeit gezogen hat. Ich kenne die angezogne Schrift nicht, nach der mit¬<lb/>
getheilten Probe scheint sie ein in's Würtembergische übersetzter Stiele zu sein.<lb/>
Jedenfalls ist sie sür Deutschland nicht maßgebend. Unter Anderem wird<lb/>
darin dasjenige Volk, das einen guten Fürsten habe, aufgefordert, dem Himmel<lb/>
für diese &#x201E;Gottesgabe" zu danken. Ein sehr hübscher Gedanke, aber nicht ganz<lb/>
frei von der Gefahr, unter Umstünden als Satire angesehen zu werden<lb/>
&#x2014; meint Herr B&gt;, und ich auch. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_754"> &#x201E;Man kann sich vorstellen," sagt der Verfasser, &#x201E;wenn von fremden<lb/>
Nationen die Rede ist, daß der Erbfeind (das sind wir Franzosen, meine Herren<lb/>
Landsleute, wenn Sie Nichts dagegen haben) nicht vergessen wird. Sobald<lb/>
von Frankreich die Rede ist, stößt man auf eine solche Muth von Gehässig¬<lb/>
keiten, daß es schwer ist Auswahl zu treffen. Er begnügt sich zum Beweise<lb/>
da sür mit einer Stelle aus dem zweiten Bande von Schmidt's obenerwähnter<lb/>
Enzyklopädie (Seite 708), wo der Haß in Bibelworte sich kleidet. Es be¬<lb/>
zieht sich der Passus auf ein Schulprogramm der Stadt Magdeburg aus<lb/>
dem Jahre 1856, wo der Verfasser es tadelt, daß man verabsäume, den<lb/>
Patriotismus der jungen Leute hinreichend zu wecken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_755"> Um zu beweisen, daß die deutsche Philosophie im Gegensatze steht zu der<lb/>
kosmopolitischen Verflachung der vaterlandslosen Redensarten der Enzyklopä¬<lb/>
disten der Revolution, zitirt er eine Stelle ans den Werken des 1870 verstor¬<lb/>
benen Professor Thilo in Berlin. Die Stelle, die Herrn B. so kränkt, lautet:<lb/>
&#x201E;Mau muß eben in jedem Volke seine entwickelte Eigenart ehren und rücksichts¬<lb/>
voll behandeln. ' ?rvxrwin hör LÄruirl. selbst dem Polen!" &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_756" next="#ID_757"> In einer Berliner Gewerbeschule hört er einen Vortrag über die Ursachen<lb/>
der französischen Revolution und ist entrüstet, daß der Professor als einender<lb/>
ernstesten Gründe anführt: die Erbitterung der ganzen höheren Stände und<lb/>
namentlich der Land- wie Seeoffiziere über die schmachvolle Rolle, welche<lb/>
Frankreich's Heere und Flotten unter der elenden Regierung auf allen Kriegs¬<lb/>
schauplätzen seit zwei Menschenaltern fast allgemein spielte, und welche den so</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1L7L. 28</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] und alle verwandten Bestrebungen doch weit höheren Zwecken. Klopstock und sein Bardengebrüll liest kein Mensch mehr, wie der Verfasser irriger Weise glaubt. Dabei übersieht er vollkommen, daß ganz homogene Bestrebungen im Süden Frankreich's, die um^us ä'Oe wieder zu beleben, von Regierung und Volk im Norden mit sehr scheelen Augen angesehen werden, weil man politische Tendenzen dahinter muthmaßt. Ein längere Deduktion, welche seiner Zeit Professor Palmer als Direktor der öffentlichen Unterrichtsanstalten Würtem- berg's über den wünschenswerten Einfluß der Schule auf den Patriotismus des Volkes veröffentlicht hat, dient dem Verfasser dazu, um zu beweisen, daß der deutsche Schulunterricht auch die Politik der Jetztzeit in den Bereich seiner Thätigkeit gezogen hat. Ich kenne die angezogne Schrift nicht, nach der mit¬ getheilten Probe scheint sie ein in's Würtembergische übersetzter Stiele zu sein. Jedenfalls ist sie sür Deutschland nicht maßgebend. Unter Anderem wird darin dasjenige Volk, das einen guten Fürsten habe, aufgefordert, dem Himmel für diese „Gottesgabe" zu danken. Ein sehr hübscher Gedanke, aber nicht ganz frei von der Gefahr, unter Umstünden als Satire angesehen zu werden — meint Herr B>, und ich auch. — „Man kann sich vorstellen," sagt der Verfasser, „wenn von fremden Nationen die Rede ist, daß der Erbfeind (das sind wir Franzosen, meine Herren Landsleute, wenn Sie Nichts dagegen haben) nicht vergessen wird. Sobald von Frankreich die Rede ist, stößt man auf eine solche Muth von Gehässig¬ keiten, daß es schwer ist Auswahl zu treffen. Er begnügt sich zum Beweise da sür mit einer Stelle aus dem zweiten Bande von Schmidt's obenerwähnter Enzyklopädie (Seite 708), wo der Haß in Bibelworte sich kleidet. Es be¬ zieht sich der Passus auf ein Schulprogramm der Stadt Magdeburg aus dem Jahre 1856, wo der Verfasser es tadelt, daß man verabsäume, den Patriotismus der jungen Leute hinreichend zu wecken." Um zu beweisen, daß die deutsche Philosophie im Gegensatze steht zu der kosmopolitischen Verflachung der vaterlandslosen Redensarten der Enzyklopä¬ disten der Revolution, zitirt er eine Stelle ans den Werken des 1870 verstor¬ benen Professor Thilo in Berlin. Die Stelle, die Herrn B. so kränkt, lautet: „Mau muß eben in jedem Volke seine entwickelte Eigenart ehren und rücksichts¬ voll behandeln. ' ?rvxrwin hör LÄruirl. selbst dem Polen!" — In einer Berliner Gewerbeschule hört er einen Vortrag über die Ursachen der französischen Revolution und ist entrüstet, daß der Professor als einender ernstesten Gründe anführt: die Erbitterung der ganzen höheren Stände und namentlich der Land- wie Seeoffiziere über die schmachvolle Rolle, welche Frankreich's Heere und Flotten unter der elenden Regierung auf allen Kriegs¬ schauplätzen seit zwei Menschenaltern fast allgemein spielte, und welche den so Grenzboten IV. 1L7L. 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/221>, abgerufen am 05.02.2025.