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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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lich erklärt wird, als es vorher blind angebetet wurde. Es ist eine Folge der
Zentralisation ans allen Gebieten, daß man auch hierin blind einer gegebenen
Parole folgt. Es war ordentlich rührend zu sehen, wie sie einig darin waren,
alle Parteien, Legitimisten, Orlecnnsten, Bonapartisten, Republikaner, ein Prinzip
zu verdammen, das unerwarteter Weise nun auch ihnen Pflichten auferlegte,
auch an sie Forderungen stellte. Seit dieser Zeit schwärmt man plötzlich für die
vaterlandslose Kosmogenie der Enzyklopädisten von 89, von der man 30 Jahre
lang in Frankreich nichts mehr wissen wollte. Nach Ansicht des Verfassers (Brcal)
ist es schon seit dem Beginn dieses Jahrhunderts nicht mehr wahr gewesen, daß
wir das Volk der abstrakten Denker waren, schon seit der Zeit Napoleon's I.
hätten wir mit wilder Energie alle unsere philosophischen, literarischen und
historischen Studien in den Dienst einer energischen, thatkräftigen Politik ge¬
stellt. Ach dn lieber Gott, leider ist's nicht so gewesen, wir wissen das am
besten! --

Zuerst schildert Herr Breal einen Geschichtsunterricht des Direktor Bonnet
in der Ober-Prima des Werber'schen Gymnasiums in Berlin. Er nennt's
Friedrich-Werber-Gymnasium. Hierbei berührt ihn angenehm der Gegensatz zu
den französischen Anstalten gleichen Ranges, daß der Direktor eine, häufig
mehrere Lehrdisziplinen am deutschen Gymnasium selber vorträgt, währeud
sein französischer Kollege niemals selbst lehrend auftritt. Sehr richtig erkennt
B. alle vortheilhaften Folgen solchen innigen Verkehrs zwischen dem Leiter der
Anstalt und den Eleven. Ebenso sympathisch berührt ihn die persönliche Er¬
scheinung des alten ehrwürdigen Herrn, der ein Abkömmling französischer
Refugie's ist, welche nach Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich
flohen. Schmerzlich aber berührte es ihn natürlich, zu sehen, daß ein Sohn
Frankreich's es war, der in geistreicher und feuriger Vortragsweise über die
Regierung Friedrich's des II. hier zu einer Versammlung von 60 jungen Preußen
in einer Art sprach, die nothwendiger Weise ihren Patriotismus ebenso wie
ihre Kenntnisse vermehren mußte, wenn er daran dachte, daß Aehnliches
der Jugend seines Landes nicht geboten werden könne. In der That ist es
ein Fluch des unsinnigen Parteihaders, der Frankreich seit 90 Jahren zerreißt,
daß es unmöglich ist, einen eingehenden Geschichtsunterricht zu ertheilen, ohne
von den vier großen Parteien drei zu "froissiren". Die Bestrebungen unserer
Zentrumspartei zielen ja schon lange darauf ab, ähnliche hübsche Zustände
bei uns einzuführen, vorläufig bei dem Religionsunterricht, und unsere ortho¬
doxen Hofprediger steuern in demselben Fahrwasser.

Einige Tage später machte B. eine Lektion in einem Lehrerseminar mit,
nachdem ihm der Direktor vorher Einsicht in die Hefte der Eleven gestattet,
um sich eine Anschauung über den Gang des Geschichtsunterrichts an dieser


lich erklärt wird, als es vorher blind angebetet wurde. Es ist eine Folge der
Zentralisation ans allen Gebieten, daß man auch hierin blind einer gegebenen
Parole folgt. Es war ordentlich rührend zu sehen, wie sie einig darin waren,
alle Parteien, Legitimisten, Orlecnnsten, Bonapartisten, Republikaner, ein Prinzip
zu verdammen, das unerwarteter Weise nun auch ihnen Pflichten auferlegte,
auch an sie Forderungen stellte. Seit dieser Zeit schwärmt man plötzlich für die
vaterlandslose Kosmogenie der Enzyklopädisten von 89, von der man 30 Jahre
lang in Frankreich nichts mehr wissen wollte. Nach Ansicht des Verfassers (Brcal)
ist es schon seit dem Beginn dieses Jahrhunderts nicht mehr wahr gewesen, daß
wir das Volk der abstrakten Denker waren, schon seit der Zeit Napoleon's I.
hätten wir mit wilder Energie alle unsere philosophischen, literarischen und
historischen Studien in den Dienst einer energischen, thatkräftigen Politik ge¬
stellt. Ach dn lieber Gott, leider ist's nicht so gewesen, wir wissen das am
besten! —

Zuerst schildert Herr Breal einen Geschichtsunterricht des Direktor Bonnet
in der Ober-Prima des Werber'schen Gymnasiums in Berlin. Er nennt's
Friedrich-Werber-Gymnasium. Hierbei berührt ihn angenehm der Gegensatz zu
den französischen Anstalten gleichen Ranges, daß der Direktor eine, häufig
mehrere Lehrdisziplinen am deutschen Gymnasium selber vorträgt, währeud
sein französischer Kollege niemals selbst lehrend auftritt. Sehr richtig erkennt
B. alle vortheilhaften Folgen solchen innigen Verkehrs zwischen dem Leiter der
Anstalt und den Eleven. Ebenso sympathisch berührt ihn die persönliche Er¬
scheinung des alten ehrwürdigen Herrn, der ein Abkömmling französischer
Refugie's ist, welche nach Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich
flohen. Schmerzlich aber berührte es ihn natürlich, zu sehen, daß ein Sohn
Frankreich's es war, der in geistreicher und feuriger Vortragsweise über die
Regierung Friedrich's des II. hier zu einer Versammlung von 60 jungen Preußen
in einer Art sprach, die nothwendiger Weise ihren Patriotismus ebenso wie
ihre Kenntnisse vermehren mußte, wenn er daran dachte, daß Aehnliches
der Jugend seines Landes nicht geboten werden könne. In der That ist es
ein Fluch des unsinnigen Parteihaders, der Frankreich seit 90 Jahren zerreißt,
daß es unmöglich ist, einen eingehenden Geschichtsunterricht zu ertheilen, ohne
von den vier großen Parteien drei zu „froissiren". Die Bestrebungen unserer
Zentrumspartei zielen ja schon lange darauf ab, ähnliche hübsche Zustände
bei uns einzuführen, vorläufig bei dem Religionsunterricht, und unsere ortho¬
doxen Hofprediger steuern in demselben Fahrwasser.

Einige Tage später machte B. eine Lektion in einem Lehrerseminar mit,
nachdem ihm der Direktor vorher Einsicht in die Hefte der Eleven gestattet,
um sich eine Anschauung über den Gang des Geschichtsunterrichts an dieser


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[0218] lich erklärt wird, als es vorher blind angebetet wurde. Es ist eine Folge der Zentralisation ans allen Gebieten, daß man auch hierin blind einer gegebenen Parole folgt. Es war ordentlich rührend zu sehen, wie sie einig darin waren, alle Parteien, Legitimisten, Orlecnnsten, Bonapartisten, Republikaner, ein Prinzip zu verdammen, das unerwarteter Weise nun auch ihnen Pflichten auferlegte, auch an sie Forderungen stellte. Seit dieser Zeit schwärmt man plötzlich für die vaterlandslose Kosmogenie der Enzyklopädisten von 89, von der man 30 Jahre lang in Frankreich nichts mehr wissen wollte. Nach Ansicht des Verfassers (Brcal) ist es schon seit dem Beginn dieses Jahrhunderts nicht mehr wahr gewesen, daß wir das Volk der abstrakten Denker waren, schon seit der Zeit Napoleon's I. hätten wir mit wilder Energie alle unsere philosophischen, literarischen und historischen Studien in den Dienst einer energischen, thatkräftigen Politik ge¬ stellt. Ach dn lieber Gott, leider ist's nicht so gewesen, wir wissen das am besten! — Zuerst schildert Herr Breal einen Geschichtsunterricht des Direktor Bonnet in der Ober-Prima des Werber'schen Gymnasiums in Berlin. Er nennt's Friedrich-Werber-Gymnasium. Hierbei berührt ihn angenehm der Gegensatz zu den französischen Anstalten gleichen Ranges, daß der Direktor eine, häufig mehrere Lehrdisziplinen am deutschen Gymnasium selber vorträgt, währeud sein französischer Kollege niemals selbst lehrend auftritt. Sehr richtig erkennt B. alle vortheilhaften Folgen solchen innigen Verkehrs zwischen dem Leiter der Anstalt und den Eleven. Ebenso sympathisch berührt ihn die persönliche Er¬ scheinung des alten ehrwürdigen Herrn, der ein Abkömmling französischer Refugie's ist, welche nach Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich flohen. Schmerzlich aber berührte es ihn natürlich, zu sehen, daß ein Sohn Frankreich's es war, der in geistreicher und feuriger Vortragsweise über die Regierung Friedrich's des II. hier zu einer Versammlung von 60 jungen Preußen in einer Art sprach, die nothwendiger Weise ihren Patriotismus ebenso wie ihre Kenntnisse vermehren mußte, wenn er daran dachte, daß Aehnliches der Jugend seines Landes nicht geboten werden könne. In der That ist es ein Fluch des unsinnigen Parteihaders, der Frankreich seit 90 Jahren zerreißt, daß es unmöglich ist, einen eingehenden Geschichtsunterricht zu ertheilen, ohne von den vier großen Parteien drei zu „froissiren". Die Bestrebungen unserer Zentrumspartei zielen ja schon lange darauf ab, ähnliche hübsche Zustände bei uns einzuführen, vorläufig bei dem Religionsunterricht, und unsere ortho¬ doxen Hofprediger steuern in demselben Fahrwasser. Einige Tage später machte B. eine Lektion in einem Lehrerseminar mit, nachdem ihm der Direktor vorher Einsicht in die Hefte der Eleven gestattet, um sich eine Anschauung über den Gang des Geschichtsunterrichts an dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/218>, abgerufen am 05.02.2025.