Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.sache zu achten. Wenn in der ersten Szene von "Was ihr wollt" das "illy¬ Die Aufgabe, ein Stück in Szene zu setzen, hat ähnliche Klippen wie die, sache zu achten. Wenn in der ersten Szene von „Was ihr wollt" das „illy¬ Die Aufgabe, ein Stück in Szene zu setzen, hat ähnliche Klippen wie die, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141077"/> <p xml:id="ID_687" prev="#ID_686"> sache zu achten. Wenn in der ersten Szene von „Was ihr wollt" das „illy¬<lb/> rische" Orchester dem liebeskranken, verschmähten Grafen Orsino schmachtende<lb/> Weisen vorspielen muß, wer kann es hindern, daß ich mich in die alterthüm¬<lb/> lichen Formen der Violen, Gauden und Lauten vertiefe, auf denen die Musik<lb/> ausgeführt wird, und inzwischen nichts von den lyrischen Ergüssen höre, die<lb/> aus Orstno's Munde fließen? Wenn im zweiten Akte des „Julius Caesar"<lb/> das Innere von Caesar's Palast, im dritten Akte das Forum Romanum, im<lb/> vierten das Zelt des Brutus bei Sardes, im fünften das Schlachtfeld von<lb/> Philippi vorgeführt wird, wie kann ich es umgehen, mir die Fragen vorzulegen,<lb/> ob wirklich in Caesar's Wohnung schwebende Figuren an den Wänden gemalt<lb/> sein konnten, ob wirklich zu Caesar's Zeit ein Triumphbogen am Formen<lb/> Romanum stand, ob wirklich — worauf ich auf dem Theaterzettel noch be¬<lb/> sonders aufmerksam gemacht werde — die Curie des Senats damals zerstört<lb/> war, Antonius wirklich an der Bahre Caesar's in weißer Toga seine Leichen¬<lb/> rede halten konnte, ob das sämmtliche Silbergeschirr im Zelte des Brutus zum<lb/> „Hildesheimer Silberfunde" gehörte oder ob auch noch andere Stücke zur<lb/> Dekoration mit herangezogen worden seien, aus welchen früheren Kämpfen bei<lb/> Philippi die griechischen Gräber stammen mögen, auf die der Zettel wieder aus¬<lb/> drücklich meine Aufmerksamkeit lenkt? Ist es nicht natürlich und verzeihlich,<lb/> daß alles das mich sekundenlang beschäftigt, zerstreut, vom Dialog ableitet?<lb/> Hielte mir Jemand ein, ich dürfe mich eben dnrch so gleichgiltige Nebendinge<lb/> nicht ableiten lassen, müßte ich ihm nicht erwiedern: Wozu dann die peinliche<lb/> Gewissenhaftigkeit, die auf diese Nebendinge verwandt wird?</p><lb/> <p xml:id="ID_688" next="#ID_689"> Die Aufgabe, ein Stück in Szene zu setzen, hat ähnliche Klippen wie die,<lb/> ein Lied in Musik zu setzen. Moritz Hauptmann Pflegte von vielen unserer<lb/> neueren Liederkompositionen zu sagen, sie seien in Musik gesetzt, wie der Uhr¬<lb/> macher eine Uhr in Oel setzt, wo jedes Zäpfchen, jede Spindel des Werkes<lb/> mit einem Tröpfchen Oel betupft wird; sie müßten aber in Musik gesetzt<lb/> werden, wie man einen Fisch in's Wasser setzt. Diese Bilder sind sprechend.<lb/> Bei den Aufführungen der Meininger hat mir das Wort manchmal in den<lb/> Ohren geklungen. Zu viele interessante Einzelheiten erzeugen leicht die Gefahr,<lb/> daß das Ganze etwas zerbröckelt, daß man zu keiner recht einheitlichen Grund¬<lb/> stimmung kommt. Ich habe vor einiger Zeit „Was ihr wollt" an der Dresdner<lb/> Hofbühne gesehen. Die Aufführung war bei weitem nicht mit der Ueberlegtheit<lb/> im Detail, mit dem Glanz und dem Raffinement ausgestattet, wie die der<lb/> Meininger, aber es ging ein gewisser genialer Zug durch das Ganze, während<lb/> man bei den Meiningern hie und da nur den Eindruck eines allerdings mit<lb/> größter Promptheit und Akkuratesse arbeitenden Mechanismus hat. Auch das<lb/> feine, detaillirte Ausarbeiten kann übertrieben werden. Dahin gehört es z. B.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
sache zu achten. Wenn in der ersten Szene von „Was ihr wollt" das „illy¬
rische" Orchester dem liebeskranken, verschmähten Grafen Orsino schmachtende
Weisen vorspielen muß, wer kann es hindern, daß ich mich in die alterthüm¬
lichen Formen der Violen, Gauden und Lauten vertiefe, auf denen die Musik
ausgeführt wird, und inzwischen nichts von den lyrischen Ergüssen höre, die
aus Orstno's Munde fließen? Wenn im zweiten Akte des „Julius Caesar"
das Innere von Caesar's Palast, im dritten Akte das Forum Romanum, im
vierten das Zelt des Brutus bei Sardes, im fünften das Schlachtfeld von
Philippi vorgeführt wird, wie kann ich es umgehen, mir die Fragen vorzulegen,
ob wirklich in Caesar's Wohnung schwebende Figuren an den Wänden gemalt
sein konnten, ob wirklich zu Caesar's Zeit ein Triumphbogen am Formen
Romanum stand, ob wirklich — worauf ich auf dem Theaterzettel noch be¬
sonders aufmerksam gemacht werde — die Curie des Senats damals zerstört
war, Antonius wirklich an der Bahre Caesar's in weißer Toga seine Leichen¬
rede halten konnte, ob das sämmtliche Silbergeschirr im Zelte des Brutus zum
„Hildesheimer Silberfunde" gehörte oder ob auch noch andere Stücke zur
Dekoration mit herangezogen worden seien, aus welchen früheren Kämpfen bei
Philippi die griechischen Gräber stammen mögen, auf die der Zettel wieder aus¬
drücklich meine Aufmerksamkeit lenkt? Ist es nicht natürlich und verzeihlich,
daß alles das mich sekundenlang beschäftigt, zerstreut, vom Dialog ableitet?
Hielte mir Jemand ein, ich dürfe mich eben dnrch so gleichgiltige Nebendinge
nicht ableiten lassen, müßte ich ihm nicht erwiedern: Wozu dann die peinliche
Gewissenhaftigkeit, die auf diese Nebendinge verwandt wird?
Die Aufgabe, ein Stück in Szene zu setzen, hat ähnliche Klippen wie die,
ein Lied in Musik zu setzen. Moritz Hauptmann Pflegte von vielen unserer
neueren Liederkompositionen zu sagen, sie seien in Musik gesetzt, wie der Uhr¬
macher eine Uhr in Oel setzt, wo jedes Zäpfchen, jede Spindel des Werkes
mit einem Tröpfchen Oel betupft wird; sie müßten aber in Musik gesetzt
werden, wie man einen Fisch in's Wasser setzt. Diese Bilder sind sprechend.
Bei den Aufführungen der Meininger hat mir das Wort manchmal in den
Ohren geklungen. Zu viele interessante Einzelheiten erzeugen leicht die Gefahr,
daß das Ganze etwas zerbröckelt, daß man zu keiner recht einheitlichen Grund¬
stimmung kommt. Ich habe vor einiger Zeit „Was ihr wollt" an der Dresdner
Hofbühne gesehen. Die Aufführung war bei weitem nicht mit der Ueberlegtheit
im Detail, mit dem Glanz und dem Raffinement ausgestattet, wie die der
Meininger, aber es ging ein gewisser genialer Zug durch das Ganze, während
man bei den Meiningern hie und da nur den Eindruck eines allerdings mit
größter Promptheit und Akkuratesse arbeitenden Mechanismus hat. Auch das
feine, detaillirte Ausarbeiten kann übertrieben werden. Dahin gehört es z. B.
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