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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Bei den Unruhen im Kaukasus genügten die (vorstehend nicht besonders
ausgeführten) Lvkaltruppen nebst den Ersatztruppen ?c. bei weitem nicht, um
die Ruhe im Lande zu erhalten und die Verbindungen quer über das Hoch¬
gebirge hinweg zu sichern. Es mußten vielmehr auch beträchtliche Theile der
Feldarmee, zur Bekämpfung der Aufstände und zum Niederhalten ganzer Ge¬
bietstheile, im Innern des Landes zurückgelassen werden. So blieb die 20. In¬
fanterie-Division im Terek-Gebiet, die 21. Division in Daghestan und eine
Brigade der 38. Division (Regimenter 149 und 150) im Bezirk Eriwcm. Die
Regimenter Ur. 154, 155 und 162 wurden, mit Kasakentruppen vereint, in
fliegenden Kolonnen verwendet.

Für die mobile Armee waren nach Abzug der genannten Truppen nur
67 reguläre Bataillone verfügbar; die Kavallerie und Artillerie verminderten
sich allerdings nicht in dem gleichen Maße. Aber auch die vorhandenen Kräfte
traten nicht vereinigt auf, sondern wurden gleich bei ihrer ersten Versammlung
am unteren Rion, bei Alexandrapol und bei Eriwcm, also an Punkten zu¬
sammengezogen, die in grader Linie 300 Kra von einander entfernt und durch
fast unüberschreitbare Hindernisse getrennt waren. Diesen so weit getrennten
Abtheilungen waren selbstverständlich auch ganz verschiedene Aufgaben zuge¬
dacht. Eine Vereinigung der getrennten Kolonnen war nur nach weitem Vor¬
dringen in Feindesland möglich, oder auf großen Umwegen innerhalb der russi¬
schen Grenzen.

Auf dem Kriegsschauplatze in der europäischen Türkei sahen wir nach den
gelungenen Donanübergängen die Russen, unter gänzlicher Nichtachtung des
Gegners, sich so weit ausdehnen, daß sie, als endlich der Gegner anfing zu
handeln, ihm an keinem Punkte gewachsen waren; hier kann man von vorn
herein fragen: Wurde der Gegner so gering geschätzt? Welche Absicht ge¬
dachte man zu verfolgen? Warum blieb die lange Zeit der Vorbereitung so
gänzlich unbenutzt, um, wenn die Theilung ursprünglich geboten war, nicht
wenigstens an einem Punkte eine zweifellose Uebermacht zu versammeln und
so das Vorgehen gegen jeden Rückschlag zu sichern? Wir vergessen nicht, daß
die Versammlung, Verpflegung und Bewegung großer Heeresmassen in dem
unwirthlichen Hochlande Armenien's noch weit schwieriger ist, als in der euro¬
päischen Türkei. Aber was im Drange der Noth im Juli und August in's
Werk zu setzen möglich war, das konnte in voller Muße im April doch auch
geschehen. Ohne den so bald erfolgenden Rückschlag kam ja der Aufstand im
Kaukasus gar uicht so zur Blüthe, blieb die lange Gefährdung der Verbin¬
dungslinien auf dem Landwege erspart, so daß man direkt sagen kann, die
rechtzeitige Verstärkung des zum Kampfe gegen die Türkei bestimmten Heeres


Bei den Unruhen im Kaukasus genügten die (vorstehend nicht besonders
ausgeführten) Lvkaltruppen nebst den Ersatztruppen ?c. bei weitem nicht, um
die Ruhe im Lande zu erhalten und die Verbindungen quer über das Hoch¬
gebirge hinweg zu sichern. Es mußten vielmehr auch beträchtliche Theile der
Feldarmee, zur Bekämpfung der Aufstände und zum Niederhalten ganzer Ge¬
bietstheile, im Innern des Landes zurückgelassen werden. So blieb die 20. In¬
fanterie-Division im Terek-Gebiet, die 21. Division in Daghestan und eine
Brigade der 38. Division (Regimenter 149 und 150) im Bezirk Eriwcm. Die
Regimenter Ur. 154, 155 und 162 wurden, mit Kasakentruppen vereint, in
fliegenden Kolonnen verwendet.

Für die mobile Armee waren nach Abzug der genannten Truppen nur
67 reguläre Bataillone verfügbar; die Kavallerie und Artillerie verminderten
sich allerdings nicht in dem gleichen Maße. Aber auch die vorhandenen Kräfte
traten nicht vereinigt auf, sondern wurden gleich bei ihrer ersten Versammlung
am unteren Rion, bei Alexandrapol und bei Eriwcm, also an Punkten zu¬
sammengezogen, die in grader Linie 300 Kra von einander entfernt und durch
fast unüberschreitbare Hindernisse getrennt waren. Diesen so weit getrennten
Abtheilungen waren selbstverständlich auch ganz verschiedene Aufgaben zuge¬
dacht. Eine Vereinigung der getrennten Kolonnen war nur nach weitem Vor¬
dringen in Feindesland möglich, oder auf großen Umwegen innerhalb der russi¬
schen Grenzen.

Auf dem Kriegsschauplatze in der europäischen Türkei sahen wir nach den
gelungenen Donanübergängen die Russen, unter gänzlicher Nichtachtung des
Gegners, sich so weit ausdehnen, daß sie, als endlich der Gegner anfing zu
handeln, ihm an keinem Punkte gewachsen waren; hier kann man von vorn
herein fragen: Wurde der Gegner so gering geschätzt? Welche Absicht ge¬
dachte man zu verfolgen? Warum blieb die lange Zeit der Vorbereitung so
gänzlich unbenutzt, um, wenn die Theilung ursprünglich geboten war, nicht
wenigstens an einem Punkte eine zweifellose Uebermacht zu versammeln und
so das Vorgehen gegen jeden Rückschlag zu sichern? Wir vergessen nicht, daß
die Versammlung, Verpflegung und Bewegung großer Heeresmassen in dem
unwirthlichen Hochlande Armenien's noch weit schwieriger ist, als in der euro¬
päischen Türkei. Aber was im Drange der Noth im Juli und August in's
Werk zu setzen möglich war, das konnte in voller Muße im April doch auch
geschehen. Ohne den so bald erfolgenden Rückschlag kam ja der Aufstand im
Kaukasus gar uicht so zur Blüthe, blieb die lange Gefährdung der Verbin¬
dungslinien auf dem Landwege erspart, so daß man direkt sagen kann, die
rechtzeitige Verstärkung des zum Kampfe gegen die Türkei bestimmten Heeres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/180>, abgerufen am 05.02.2025.