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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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wurde von den christlichen Philosophen abgestreift, ebenso wurde der Dualis¬
mus des Aristoteles von Materie und Form überwunden.

In einem sensu auftischen Nominalismus und in einem alle
Wissenschaft ausschließenden Mystizismus zeigt sich der Verfall der mittel¬
alterlichen Philosophie.

Die neuere Philosophie, insoweit sie eine einseitig naturalistische Rich¬
tung befolgt, wird im Ausgang des Mittelalters durch mannichfache Erschei-
nungen vorbereitet. Für Pvmponatius ist die Unsterblichkeit der Seele
allerdings dem Glauben gewiß, aber vom wissenschaftlichen Standpunkt aus
zweifelhaft. Telesius und Campanella lehren den Sensualismus, wenn
sie ihn auch uicht in seine letzten Konsequenzen verfolgen. Aber ebenso wird
auch die rationalistische Richtung der neueren Philosophie vorbereitet; der
scharfe Gegensatz zwischen Geist und Körper wird bei Aristotelikern und Pla-
tvnitern hervorgehoben, und damit das Problem gegeben, das die neuere Phi¬
losophie so vielfach beschäftigt hat, die Gemeinschaft zwischen beiden zu erklären.
Die Allgemeinheit in der Bestimmung beider, wie sie der antiken Weltanschauung
eigen ist, macht konkreten Ausfassungen Platz. Die Materie und der Geist
empfangen die positiven Prädikate der Allsdehnung und des Denkens. Eine
vermittelnde Stellung nimmt die deutsche Theosophie ein, welche den
beiden Grundsätzen des Nikolaus von Cusa folgt, daß in jedem Dinge die
Welt sich darstellt, und jedes individuell verschieden ist von jedem andern.

Die neuere Philosophie beginnt mit Cartesius. Die spezifische, nicht
graduelle Differenz zwischen der Materie, deren positive Qualität die Ausdehnung,
und dem Geist, dessen positive Qualität das Denken ist, bildet die Grundvoraus-
setzuug seines Systems. Der innern Erfahrung gibt er den Primat. Ihr
Gegenstand ist das Denken, denn den Geist faßt er universell als Denken auf.
Denlselbeu kommen zwei Thätigkeiten, die Passion der Erkenntniß --- denn sie
ist durch ihren Gegenstand verursacht -- und die Aktion des Willens zu.
Zwei Klassen von Vorstellungen miterscheidet er, die verworrenen und dunklen
Vorstellungen der Sinne, denen keine objektive Realität entspricht, und die klare"
und deutlichen Vorstellungen des Verstandes, die einen ursprünglichen Besitz
desselben bilden. Die, Gewißheit von der Existenz des in ihnen Gedachten
ruht auf der Wahrhaftigkeit Gottes. Er kann uns nicht täuschen. Die Ge¬
meinschaft zwischen Geist und Körper wird durch die Zirbeldrüse vermittelt
gedacht, unter physischer Assistenz Gottes. Der Ort, der Sitz der Seele, soll
das Problem ihrer Wechselwirkung mit dem Körper erklären.

Ans dem Boden des Cartesianismus steht der Okkasionalismus eines
Arnold Geulinx, eines Nikolaus Malebranche, eines Georg Berkeley.
Derselbe sieht in den Bewegungen des Körpers nur gelegentliche Ursachen für


wurde von den christlichen Philosophen abgestreift, ebenso wurde der Dualis¬
mus des Aristoteles von Materie und Form überwunden.

In einem sensu auftischen Nominalismus und in einem alle
Wissenschaft ausschließenden Mystizismus zeigt sich der Verfall der mittel¬
alterlichen Philosophie.

Die neuere Philosophie, insoweit sie eine einseitig naturalistische Rich¬
tung befolgt, wird im Ausgang des Mittelalters durch mannichfache Erschei-
nungen vorbereitet. Für Pvmponatius ist die Unsterblichkeit der Seele
allerdings dem Glauben gewiß, aber vom wissenschaftlichen Standpunkt aus
zweifelhaft. Telesius und Campanella lehren den Sensualismus, wenn
sie ihn auch uicht in seine letzten Konsequenzen verfolgen. Aber ebenso wird
auch die rationalistische Richtung der neueren Philosophie vorbereitet; der
scharfe Gegensatz zwischen Geist und Körper wird bei Aristotelikern und Pla-
tvnitern hervorgehoben, und damit das Problem gegeben, das die neuere Phi¬
losophie so vielfach beschäftigt hat, die Gemeinschaft zwischen beiden zu erklären.
Die Allgemeinheit in der Bestimmung beider, wie sie der antiken Weltanschauung
eigen ist, macht konkreten Ausfassungen Platz. Die Materie und der Geist
empfangen die positiven Prädikate der Allsdehnung und des Denkens. Eine
vermittelnde Stellung nimmt die deutsche Theosophie ein, welche den
beiden Grundsätzen des Nikolaus von Cusa folgt, daß in jedem Dinge die
Welt sich darstellt, und jedes individuell verschieden ist von jedem andern.

Die neuere Philosophie beginnt mit Cartesius. Die spezifische, nicht
graduelle Differenz zwischen der Materie, deren positive Qualität die Ausdehnung,
und dem Geist, dessen positive Qualität das Denken ist, bildet die Grundvoraus-
setzuug seines Systems. Der innern Erfahrung gibt er den Primat. Ihr
Gegenstand ist das Denken, denn den Geist faßt er universell als Denken auf.
Denlselbeu kommen zwei Thätigkeiten, die Passion der Erkenntniß -— denn sie
ist durch ihren Gegenstand verursacht — und die Aktion des Willens zu.
Zwei Klassen von Vorstellungen miterscheidet er, die verworrenen und dunklen
Vorstellungen der Sinne, denen keine objektive Realität entspricht, und die klare»
und deutlichen Vorstellungen des Verstandes, die einen ursprünglichen Besitz
desselben bilden. Die, Gewißheit von der Existenz des in ihnen Gedachten
ruht auf der Wahrhaftigkeit Gottes. Er kann uns nicht täuschen. Die Ge¬
meinschaft zwischen Geist und Körper wird durch die Zirbeldrüse vermittelt
gedacht, unter physischer Assistenz Gottes. Der Ort, der Sitz der Seele, soll
das Problem ihrer Wechselwirkung mit dem Körper erklären.

Ans dem Boden des Cartesianismus steht der Okkasionalismus eines
Arnold Geulinx, eines Nikolaus Malebranche, eines Georg Berkeley.
Derselbe sieht in den Bewegungen des Körpers nur gelegentliche Ursachen für


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[0172] wurde von den christlichen Philosophen abgestreift, ebenso wurde der Dualis¬ mus des Aristoteles von Materie und Form überwunden. In einem sensu auftischen Nominalismus und in einem alle Wissenschaft ausschließenden Mystizismus zeigt sich der Verfall der mittel¬ alterlichen Philosophie. Die neuere Philosophie, insoweit sie eine einseitig naturalistische Rich¬ tung befolgt, wird im Ausgang des Mittelalters durch mannichfache Erschei- nungen vorbereitet. Für Pvmponatius ist die Unsterblichkeit der Seele allerdings dem Glauben gewiß, aber vom wissenschaftlichen Standpunkt aus zweifelhaft. Telesius und Campanella lehren den Sensualismus, wenn sie ihn auch uicht in seine letzten Konsequenzen verfolgen. Aber ebenso wird auch die rationalistische Richtung der neueren Philosophie vorbereitet; der scharfe Gegensatz zwischen Geist und Körper wird bei Aristotelikern und Pla- tvnitern hervorgehoben, und damit das Problem gegeben, das die neuere Phi¬ losophie so vielfach beschäftigt hat, die Gemeinschaft zwischen beiden zu erklären. Die Allgemeinheit in der Bestimmung beider, wie sie der antiken Weltanschauung eigen ist, macht konkreten Ausfassungen Platz. Die Materie und der Geist empfangen die positiven Prädikate der Allsdehnung und des Denkens. Eine vermittelnde Stellung nimmt die deutsche Theosophie ein, welche den beiden Grundsätzen des Nikolaus von Cusa folgt, daß in jedem Dinge die Welt sich darstellt, und jedes individuell verschieden ist von jedem andern. Die neuere Philosophie beginnt mit Cartesius. Die spezifische, nicht graduelle Differenz zwischen der Materie, deren positive Qualität die Ausdehnung, und dem Geist, dessen positive Qualität das Denken ist, bildet die Grundvoraus- setzuug seines Systems. Der innern Erfahrung gibt er den Primat. Ihr Gegenstand ist das Denken, denn den Geist faßt er universell als Denken auf. Denlselbeu kommen zwei Thätigkeiten, die Passion der Erkenntniß -— denn sie ist durch ihren Gegenstand verursacht — und die Aktion des Willens zu. Zwei Klassen von Vorstellungen miterscheidet er, die verworrenen und dunklen Vorstellungen der Sinne, denen keine objektive Realität entspricht, und die klare» und deutlichen Vorstellungen des Verstandes, die einen ursprünglichen Besitz desselben bilden. Die, Gewißheit von der Existenz des in ihnen Gedachten ruht auf der Wahrhaftigkeit Gottes. Er kann uns nicht täuschen. Die Ge¬ meinschaft zwischen Geist und Körper wird durch die Zirbeldrüse vermittelt gedacht, unter physischer Assistenz Gottes. Der Ort, der Sitz der Seele, soll das Problem ihrer Wechselwirkung mit dem Körper erklären. Ans dem Boden des Cartesianismus steht der Okkasionalismus eines Arnold Geulinx, eines Nikolaus Malebranche, eines Georg Berkeley. Derselbe sieht in den Bewegungen des Körpers nur gelegentliche Ursachen für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/172>, abgerufen am 05.02.2025.