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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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zu sprechen. Wellock's Redeweise ist im Ganzen sanft und salbungsvoll; statt
der Kearney'schen Flüche braucht er Zitate aus der Bibel und andere liebliche
Redewendungen. Dieselben Leute, welche Kearney's gottlosen Wuthausbrüchen
zujubelten, spenden den frömmelnden Kapuzinaden Wellock's den lautesten Bei¬
fall; selbst Kearney hört scheinbar andächtig zu, wenn sein Kollege im Wühler¬
geschäft auf der Rednerbühne mit den Methodistenpredigern Moody und Sankey
in Anwendung von Bibelsprüchen wetteifert. Wenn man amerikanischen Blät¬
tern Glauben schenken will, so ist Wellock im Vergleich mit Kearney der grö¬
ßere Schurke -- "tus vilsr Woiinärol", wie die "New-Iork-Tribüne" sagt.

Die Erfolge, welche Kearney als sozialdemokratischer Agitator in Kali¬
fornien erzielte, bewogen ihn Ende Juli dieses Jahres, uach dem Osten der
Union, namentlich nach seinem Gebnrtsstaate Massachusetts, zu gehen, um dort
sein Licht leuchten zu lassen und der vorzugsweise aus Sozialdemokraten und
verkommenen Politikern aller anderen Parteien zusammengesetzten "nationalen
Papiergeld-Arbeiter-Partei" (Mtioual ArkSQdÄcK-I^dor-I'Art/) zum Siege bei
den kommenden Herbstwahlen zu verhelfen. Kaum in Boston angelangt, wurde
Kearney von den dortigen Sozialdemokraten im Triumphe nach dem Hotel be¬
gleitet, wo man Zimmer für ihn gemiethet hatte. Dem Rufe der Masse fol¬
gend, erschien der Agitator am Fenster und hielt eine kurze Ansprache, ans der
wir nachstehende charakteristischen Sätze folgen lassen: "Ich bin ein einfacher
Arbeiter, und Ihr werdet mich entschuldigen, Arbeitsgenossen, wenn ich keine
wohlstilisirte Rede halte. Ich bringe Euch gute Nachrichten aus Kalifornien.
Die Ebenen, die ich dort verließ, sind bedeckt mit den faulenden Aesern öffent¬
licher Plünderer (virb. tlo tsstsririA careassizs ok xudlio xtunclerers). Ich
hoffe, die ganzen Vereinigten Staaten von Amerika werdeu sich ebenso orga-
nisiren, wie wir es an der Küste des Stillen Meeres gethan haben. Vom
Beginn dieser Bewegung an habe ich lant proklamirt: Tod den Maschinen-
Politikern, Tod den diebischen Kapitalisten, Tod und nochmals Tod den mor¬
denden und plündernden Landpiraten. Wir wollen uns organisiren als Arbeiter
und mächtiger werden, als die bewaffneten Legionen der Monarchen. Die
Arbeiter blicken auf das Sternenbanner, wie auf eine prunkende Lüge (s, it^un-
do^ lis), ein passendes Symbol für vom Staat beschützte Legionen mörderischer
Monopolisten, die tagtäglich die Arbeiter des Ostens zu Grnnde richten. Wir
wollen uns organisiren, wie in Kalifornien, wir wollen das Loos der Arbeiter
bessern und in der Wahl einen Gouverneur, der uns zusagt, wählen." Einige
Tage darauf hielt Kearuey eine größere Rede in der alten, historisch berühmten
"Fcmeuil Hall" zu Boston vor einer äußerst zahlreichen Versammlung. Er
wurde auch dort mit großem Beifall empfangen, allein seine Rede hatte diesmal,
obschon sie mit allen möglichen hochtönenden Phrasen und Zitaten geschmückt


zu sprechen. Wellock's Redeweise ist im Ganzen sanft und salbungsvoll; statt
der Kearney'schen Flüche braucht er Zitate aus der Bibel und andere liebliche
Redewendungen. Dieselben Leute, welche Kearney's gottlosen Wuthausbrüchen
zujubelten, spenden den frömmelnden Kapuzinaden Wellock's den lautesten Bei¬
fall; selbst Kearney hört scheinbar andächtig zu, wenn sein Kollege im Wühler¬
geschäft auf der Rednerbühne mit den Methodistenpredigern Moody und Sankey
in Anwendung von Bibelsprüchen wetteifert. Wenn man amerikanischen Blät¬
tern Glauben schenken will, so ist Wellock im Vergleich mit Kearney der grö¬
ßere Schurke — „tus vilsr Woiinärol", wie die „New-Iork-Tribüne" sagt.

Die Erfolge, welche Kearney als sozialdemokratischer Agitator in Kali¬
fornien erzielte, bewogen ihn Ende Juli dieses Jahres, uach dem Osten der
Union, namentlich nach seinem Gebnrtsstaate Massachusetts, zu gehen, um dort
sein Licht leuchten zu lassen und der vorzugsweise aus Sozialdemokraten und
verkommenen Politikern aller anderen Parteien zusammengesetzten „nationalen
Papiergeld-Arbeiter-Partei" (Mtioual ArkSQdÄcK-I^dor-I'Art/) zum Siege bei
den kommenden Herbstwahlen zu verhelfen. Kaum in Boston angelangt, wurde
Kearney von den dortigen Sozialdemokraten im Triumphe nach dem Hotel be¬
gleitet, wo man Zimmer für ihn gemiethet hatte. Dem Rufe der Masse fol¬
gend, erschien der Agitator am Fenster und hielt eine kurze Ansprache, ans der
wir nachstehende charakteristischen Sätze folgen lassen: „Ich bin ein einfacher
Arbeiter, und Ihr werdet mich entschuldigen, Arbeitsgenossen, wenn ich keine
wohlstilisirte Rede halte. Ich bringe Euch gute Nachrichten aus Kalifornien.
Die Ebenen, die ich dort verließ, sind bedeckt mit den faulenden Aesern öffent¬
licher Plünderer (virb. tlo tsstsririA careassizs ok xudlio xtunclerers). Ich
hoffe, die ganzen Vereinigten Staaten von Amerika werdeu sich ebenso orga-
nisiren, wie wir es an der Küste des Stillen Meeres gethan haben. Vom
Beginn dieser Bewegung an habe ich lant proklamirt: Tod den Maschinen-
Politikern, Tod den diebischen Kapitalisten, Tod und nochmals Tod den mor¬
denden und plündernden Landpiraten. Wir wollen uns organisiren als Arbeiter
und mächtiger werden, als die bewaffneten Legionen der Monarchen. Die
Arbeiter blicken auf das Sternenbanner, wie auf eine prunkende Lüge (s, it^un-
do^ lis), ein passendes Symbol für vom Staat beschützte Legionen mörderischer
Monopolisten, die tagtäglich die Arbeiter des Ostens zu Grnnde richten. Wir
wollen uns organisiren, wie in Kalifornien, wir wollen das Loos der Arbeiter
bessern und in der Wahl einen Gouverneur, der uns zusagt, wählen." Einige
Tage darauf hielt Kearuey eine größere Rede in der alten, historisch berühmten
„Fcmeuil Hall" zu Boston vor einer äußerst zahlreichen Versammlung. Er
wurde auch dort mit großem Beifall empfangen, allein seine Rede hatte diesmal,
obschon sie mit allen möglichen hochtönenden Phrasen und Zitaten geschmückt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/152>, abgerufen am 05.02.2025.