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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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die Rede. Schon als Knabe 'ging er zur See und kam vor ungefähr zehn
Jahren als Matrose nach Kalifornien, wo er sich in San Franzisko als ein
gewöhnlicher Karrenführer (ärÄAm,im) niederließ. Unzufrieden darüber, daß
die Chinesen billiger, als er, arbeiteten, und daran verzweifelnd, daß er mit
leichter Mühe und ohne schwere Arbeit ein reicher Mann werden könnte, ver¬
band er sich mit den ebenfalls unzufriedenen Elementen der unteren und unter¬
sten Volksklassen und wurde nach kurzer Zeit der anerkannte Führer dieser
Ordnung und Gesetz verachtenden Banden. Begünstigt von einer natürlichen,
wilden Beredsamkeit und ausgerüstet mit einer verwegenen Dreistigkeit ließ er
keine Gelegenheit vorübergehen, als öffentlicher Redner aufzutreten und die
Massen der Arbeiter zum Kampf gegen die besitzenden Klassen aufzureizen. Da
er nicht selten seine Zuhörer und Anhänger aufforderte, alle Chinesen in Kali¬
fornien todtzuschießen und die Häuser der Reichen in Brand zu stecken, so
wurde er wiederholt vor Gericht gestellt und mit Gefängnißstrafen belegt.
Allein kaum war er wieder in Freiheit gesetzt, so begann er seine Wühlerarbeit
von Neuem gegen die "billige Arbeit der Chinesen" (odsax Olünss lador) und
gegen die "Landdiebe, Bankbrecher und höllischen Politiker" (iWärodderZ,
da,inn-"8iQÄ8Uhr8 g,na KsU-doiiQä xotitieians). Kearney sucht als öffentlicher
Volksredner seines Gleichen; in dem Gebrauche von Schimpfworten und Flüchen
ist er fast unübertrefflich; bei Alledem aber versteht er es ausgezeichnet, die
Menge bei ihren Schwächen zu fassen und sie seinen agitatorischen Zwecken
dienstbar zu machen. Da er, seit er das Karrenführergeschäft aufgegeben, ver¬
schiedene Bücher gelesen hat, deren Inhalt er natürlich oft nnr zur Hälfte ver¬
stand, so spickt er seine Reden hänfig mit wunderbaren Floskeln; so spricht er
z. B. von den "Rossen des Pegasus" (tus stssäs ok ?6Mörs), von seiner
Absicht, "die olympischen Höhen zu erklettern" (to soxüs OlM^xig-n tisi^es)
u. s. w. Religion und Sittlichkeit sind dem kalifornischen Agitator vollkommen
unbekannte Dinge.

Gleichsam die rechte Hand von Dennis Kearney ist ein gewisser Wellock,
von Geburt ein Engländer. Er war während des Krimkrieges Trommel¬
schläger in einem englischen Regiments; da ihm jedoch das Kriegshandwerk
nicht zusagte, so verließ er heimlich die Armee und wurde Schuhmacher; aber
anch dies Geschäft gab er bald wieder auf, um in England als politischer und
religiöser Agitator zu wirken. In dieser Eigenschaft ist er denn um auch in
Kalifornien, wohin er vor nicht langer Zeit auswanderte, thätig. Wenn Kearney's
Sprache und äußere Erscheinung rauh und derb ist, so erscheint Wellock auf
der Rednerbühne wie ein Stutzer, mit einem feinen Seidenhut, einem schwarzen
Leibrock und einer schweren goldenen Uhrkette. Die rohe Menge fühlt sich ge¬
ehrt, daß solch' ein feiner Herr auf ihrer Seite steht und sich herabläßt, zu ihr


die Rede. Schon als Knabe 'ging er zur See und kam vor ungefähr zehn
Jahren als Matrose nach Kalifornien, wo er sich in San Franzisko als ein
gewöhnlicher Karrenführer (ärÄAm,im) niederließ. Unzufrieden darüber, daß
die Chinesen billiger, als er, arbeiteten, und daran verzweifelnd, daß er mit
leichter Mühe und ohne schwere Arbeit ein reicher Mann werden könnte, ver¬
band er sich mit den ebenfalls unzufriedenen Elementen der unteren und unter¬
sten Volksklassen und wurde nach kurzer Zeit der anerkannte Führer dieser
Ordnung und Gesetz verachtenden Banden. Begünstigt von einer natürlichen,
wilden Beredsamkeit und ausgerüstet mit einer verwegenen Dreistigkeit ließ er
keine Gelegenheit vorübergehen, als öffentlicher Redner aufzutreten und die
Massen der Arbeiter zum Kampf gegen die besitzenden Klassen aufzureizen. Da
er nicht selten seine Zuhörer und Anhänger aufforderte, alle Chinesen in Kali¬
fornien todtzuschießen und die Häuser der Reichen in Brand zu stecken, so
wurde er wiederholt vor Gericht gestellt und mit Gefängnißstrafen belegt.
Allein kaum war er wieder in Freiheit gesetzt, so begann er seine Wühlerarbeit
von Neuem gegen die „billige Arbeit der Chinesen" (odsax Olünss lador) und
gegen die „Landdiebe, Bankbrecher und höllischen Politiker" (iWärodderZ,
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Volksredner seines Gleichen; in dem Gebrauche von Schimpfworten und Flüchen
ist er fast unübertrefflich; bei Alledem aber versteht er es ausgezeichnet, die
Menge bei ihren Schwächen zu fassen und sie seinen agitatorischen Zwecken
dienstbar zu machen. Da er, seit er das Karrenführergeschäft aufgegeben, ver¬
schiedene Bücher gelesen hat, deren Inhalt er natürlich oft nnr zur Hälfte ver¬
stand, so spickt er seine Reden hänfig mit wunderbaren Floskeln; so spricht er
z. B. von den „Rossen des Pegasus" (tus stssäs ok ?6Mörs), von seiner
Absicht, „die olympischen Höhen zu erklettern" (to soxüs OlM^xig-n tisi^es)
u. s. w. Religion und Sittlichkeit sind dem kalifornischen Agitator vollkommen
unbekannte Dinge.

Gleichsam die rechte Hand von Dennis Kearney ist ein gewisser Wellock,
von Geburt ein Engländer. Er war während des Krimkrieges Trommel¬
schläger in einem englischen Regiments; da ihm jedoch das Kriegshandwerk
nicht zusagte, so verließ er heimlich die Armee und wurde Schuhmacher; aber
anch dies Geschäft gab er bald wieder auf, um in England als politischer und
religiöser Agitator zu wirken. In dieser Eigenschaft ist er denn um auch in
Kalifornien, wohin er vor nicht langer Zeit auswanderte, thätig. Wenn Kearney's
Sprache und äußere Erscheinung rauh und derb ist, so erscheint Wellock auf
der Rednerbühne wie ein Stutzer, mit einem feinen Seidenhut, einem schwarzen
Leibrock und einer schweren goldenen Uhrkette. Die rohe Menge fühlt sich ge¬
ehrt, daß solch' ein feiner Herr auf ihrer Seite steht und sich herabläßt, zu ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/151>, abgerufen am 05.02.2025.