Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.nichts gerichtet ist, als aufs Niederreißen, die Verführung der Massen und Die Aeußerungen des Kanzlers über die Schwierigkeiten der parlamenta¬ nichts gerichtet ist, als aufs Niederreißen, die Verführung der Massen und Die Aeußerungen des Kanzlers über die Schwierigkeiten der parlamenta¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141000"/> <p xml:id="ID_382" prev="#ID_381"> nichts gerichtet ist, als aufs Niederreißen, die Verführung der Massen und<lb/> Herabsetzung von Allem was dem Menschen heilig ist. Unendlich beschämend<lb/> ist es für unser Volk, daß Bismarck nach all' seinen Thaten, welche das<lb/> Vaterland groß gemacht, im Reichstag konstatiren mußte, wie ein erheblicher<lb/> Theil der Bevölkerung politischer Einsicht dermaßen ermangelt, daß die inter¬<lb/> nationale Banditenrotte und das Ausland darauf Pläne bauen konnten. Frei¬<lb/> lich hat das Bismarck nicht ganz mit diesen Worten gesagt, aber es ist nichts<lb/> anderes, wenn er zeigte, daß die Männer der in Frankreich darnieder geschla¬<lb/> genen Kommune seit 1870 für das beste Versuchsfeld Deutschland ausersehen<lb/> haben, dessen große Städte durch fortschrittliche Bearbeitung reichlich vorbe¬<lb/> reitet waren. Ja, es ist in der That so: es gibt keine geeignetere „Vorfrucht",<lb/> keinen stärkeren Dünger für die Sozialdemokratie, als die Agitation der Fort¬<lb/> schrittler! Noch jetzt bringt jeder Tag Beispiele, wie „die Anerkennung für<lb/> irgend etwas, was die Regierung thut, gleich in den Verdacht des Servilis¬<lb/> mus bringt", gleich als wenn wir in gewissen Kleinstaaten vor 1866 lebten,<lb/> in denen alle Verhältnisse auf den Kopf gestellt waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_383" next="#ID_384"> Die Aeußerungen des Kanzlers über die Schwierigkeiten der parlamenta¬<lb/> rischen Lage enthalten so offene und ehrliche Aussprüche, daß er damit auf's<lb/> Neue die Herzen der Patrioten, den Sinn aller ernsten Politiker gewinnen<lb/> muß. Er erwähnte die bedauernswerthen Erscheinungen des deutscheu Par¬<lb/> teiwesens und legte offen dar, wie er mit diesen Thatsachen zu rechnen ge¬<lb/> nöthigt ist. Es ist allerdings „eine traurige Lage der Regierung", daß ihr<lb/> „bei Verständigung mit dem Reichstage des Gebiets absolut verschlossen"<lb/> und dann auch noch der Rest nicht unter sich eins ist. Daß etwa eine noch¬<lb/> malige Auflösung des Reichstags schwerlich bessere Erfolge hervorbringen werde,<lb/> lag schon seit dem Ausfalle der letzten Wahlen auf der Hand. Eine Fernhal-<lb/> tung des doktrinären Elements aus dem jetzigen Reichstage ist nicht gelungen,<lb/> und der Ersatz des liberalen Ausfalles erscheint von zweifelhaftem Werthe,<lb/> denn mit den bei den Wahlen sich hervordrängenden Elementen, die stark nach<lb/> Reaktion rochen, konnte Bismarck nicht gedient sein. So sieht er sich denn zu<lb/> einer Wiederannäherung an die Nationalliberalen genöthigt. Er weist die<lb/> reaktionären Tendenzen, die man ihm jüngst beigelegt, entschieden zurück. Wir<lb/> haben nie an dieselben geglaubt, weil er damit seine eigenen Werke gefährdet<lb/> haben würde; aber der jetzige Ausspruch jagt wenigstens die finsteren Gestalten<lb/> wieder fort, die schon glaubten, ihre Zeit wäre wiedergekommen. Wir hätten<lb/> nur gewünscht, der Fürst hätte eine solche Kundgebung früher erlassen, wozu<lb/> es an Gelegenheiten wohl schwerlich gefehlt Hütte. Es wäre dann ein großer<lb/> Theil des Parteizwistes der letzten Zeiten erspart geblieben. Seine Empfind¬<lb/> lichkeit, von den Nationallibcralen in den Steuerfragen im Stich gelassen zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
nichts gerichtet ist, als aufs Niederreißen, die Verführung der Massen und
Herabsetzung von Allem was dem Menschen heilig ist. Unendlich beschämend
ist es für unser Volk, daß Bismarck nach all' seinen Thaten, welche das
Vaterland groß gemacht, im Reichstag konstatiren mußte, wie ein erheblicher
Theil der Bevölkerung politischer Einsicht dermaßen ermangelt, daß die inter¬
nationale Banditenrotte und das Ausland darauf Pläne bauen konnten. Frei¬
lich hat das Bismarck nicht ganz mit diesen Worten gesagt, aber es ist nichts
anderes, wenn er zeigte, daß die Männer der in Frankreich darnieder geschla¬
genen Kommune seit 1870 für das beste Versuchsfeld Deutschland ausersehen
haben, dessen große Städte durch fortschrittliche Bearbeitung reichlich vorbe¬
reitet waren. Ja, es ist in der That so: es gibt keine geeignetere „Vorfrucht",
keinen stärkeren Dünger für die Sozialdemokratie, als die Agitation der Fort¬
schrittler! Noch jetzt bringt jeder Tag Beispiele, wie „die Anerkennung für
irgend etwas, was die Regierung thut, gleich in den Verdacht des Servilis¬
mus bringt", gleich als wenn wir in gewissen Kleinstaaten vor 1866 lebten,
in denen alle Verhältnisse auf den Kopf gestellt waren.
Die Aeußerungen des Kanzlers über die Schwierigkeiten der parlamenta¬
rischen Lage enthalten so offene und ehrliche Aussprüche, daß er damit auf's
Neue die Herzen der Patrioten, den Sinn aller ernsten Politiker gewinnen
muß. Er erwähnte die bedauernswerthen Erscheinungen des deutscheu Par¬
teiwesens und legte offen dar, wie er mit diesen Thatsachen zu rechnen ge¬
nöthigt ist. Es ist allerdings „eine traurige Lage der Regierung", daß ihr
„bei Verständigung mit dem Reichstage des Gebiets absolut verschlossen"
und dann auch noch der Rest nicht unter sich eins ist. Daß etwa eine noch¬
malige Auflösung des Reichstags schwerlich bessere Erfolge hervorbringen werde,
lag schon seit dem Ausfalle der letzten Wahlen auf der Hand. Eine Fernhal-
tung des doktrinären Elements aus dem jetzigen Reichstage ist nicht gelungen,
und der Ersatz des liberalen Ausfalles erscheint von zweifelhaftem Werthe,
denn mit den bei den Wahlen sich hervordrängenden Elementen, die stark nach
Reaktion rochen, konnte Bismarck nicht gedient sein. So sieht er sich denn zu
einer Wiederannäherung an die Nationalliberalen genöthigt. Er weist die
reaktionären Tendenzen, die man ihm jüngst beigelegt, entschieden zurück. Wir
haben nie an dieselben geglaubt, weil er damit seine eigenen Werke gefährdet
haben würde; aber der jetzige Ausspruch jagt wenigstens die finsteren Gestalten
wieder fort, die schon glaubten, ihre Zeit wäre wiedergekommen. Wir hätten
nur gewünscht, der Fürst hätte eine solche Kundgebung früher erlassen, wozu
es an Gelegenheiten wohl schwerlich gefehlt Hütte. Es wäre dann ein großer
Theil des Parteizwistes der letzten Zeiten erspart geblieben. Seine Empfind¬
lichkeit, von den Nationallibcralen in den Steuerfragen im Stich gelassen zu
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