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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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noch eine undefinirbare Stellung ein, welche sich durch Vertheidigung des Wesens
und der Haltung der Sozialdemokratie, sowie durch Herunterziehung und gif¬
tige Behandlung der staatstreuen Parteien und politischer Persönlichkeiten charak-
terisirt. Ganz wie seit lange seine "Frankfurter Zeitung", so machte Sonne-
mcmn den Eindruck, als gehe bei ihm die Aufgabe des deutschen Politikers auf
in Erfindung von Paradoxen, Schwarzfärbung aller Dinge um jeden Preis
und triviale Behandlung ernster Gegenstände. Stark trat denn auch der
Widerwille des Hauses, namentlich gegen die Art, wie Redner politische Hand¬
lungen von Kollegen berührte, hervor. Dabei sah er nicht einmal auf die noth¬
wendigste Korrektheit in Wiedergabe von Thatsachen, sodaß ihm Laster und
Bamberger Unwahrheiten nachwiesen, die er dann letzterem auch zugab. Großes
schien er sich von der Vorlesung einer Ansprache versprochen zu haben, in der
Bamberger vor 29 Jahren sich für die sozialdemokratische Republik ausge¬
sprochen habe, während in Wahrheit nur ein damaliger Berichterstatter über
die Ansprache in diesem Sinne geschlossen hatte. Zum wenigsten ist die Ab¬
sicht des Volksparteilers konstatirt: er ist ebenso, wie noch im Februar 1876
dem alten Gerlach nachgewiesen wurde, ein Feind jeder fortschreitenden Ent¬
wicklung der Ansichten, ein Freund der Stagnation, der auf einen politischen
Gegner einen Schatten werfen zu können wähnt, wenn er versucht, denselben
an dessen Ansichten aus längst vergangenen Zeiten anzunageln.

Noch unklar über das eigentliche Tendenzmixtum der Sonnemann'schen
Volkspartei, sahen wir plötzlich den Fürsten Msmarck ein ganz eigenthümliches
Licht auf diese Frankfurter Persönlichkeit und seine Zeitung werfen. Freilich
waren schon vor 6 Jahren dessen französische Sympathieen im Reichstage bei
einer Frage Elsaß-Lothringen's in bedauerlichster Weise hervorgetreten und bald
darauf von den französischen Blättern hoch belobt worden; es schien aber doch nicht
ohne besondere Absicht zu sein, daß der Kanzler die gerade ihm besonders be¬
kannt gewordenen gegenwärtigen Beziehungen jenes Mannes und Blattes mit
der französischen Regierung hervorhob, welche durch letzteres bestimmte Morde
in deutschen Angelegenheiten angeschlagen zu sehen wünsche.

Der übrige Inhalt der Bismarck'schen Rede ist von großer allgemeiner
und bleibender Bedeutung. Es gilt dies ebenso sehr von seiner Charakterisirung
der jetzigen Sozialdemokratie als von seinen Ausführungen bezüglich unserer
parlamentarischen Parteiverhältnisse. Wir wüßten wahrlich nicht, wie Diejenigen,
welche sich mit diesem Gesetze nicht befreunden können, besser in letzter
Stunde für dasselbe gewonnen werden könnten, als durch die unwiderleglicher
Hinweise des Kanzlers auf die allezeit negativen Bestrebungen der Sozial¬
demokraten, weil sie zu jedem positiven Vorschlage außer Stande sind und deren
Streben, im Gegensatz zu allen ähnlichen Bewegungen der Vergangenheit, auf


noch eine undefinirbare Stellung ein, welche sich durch Vertheidigung des Wesens
und der Haltung der Sozialdemokratie, sowie durch Herunterziehung und gif¬
tige Behandlung der staatstreuen Parteien und politischer Persönlichkeiten charak-
terisirt. Ganz wie seit lange seine „Frankfurter Zeitung", so machte Sonne-
mcmn den Eindruck, als gehe bei ihm die Aufgabe des deutschen Politikers auf
in Erfindung von Paradoxen, Schwarzfärbung aller Dinge um jeden Preis
und triviale Behandlung ernster Gegenstände. Stark trat denn auch der
Widerwille des Hauses, namentlich gegen die Art, wie Redner politische Hand¬
lungen von Kollegen berührte, hervor. Dabei sah er nicht einmal auf die noth¬
wendigste Korrektheit in Wiedergabe von Thatsachen, sodaß ihm Laster und
Bamberger Unwahrheiten nachwiesen, die er dann letzterem auch zugab. Großes
schien er sich von der Vorlesung einer Ansprache versprochen zu haben, in der
Bamberger vor 29 Jahren sich für die sozialdemokratische Republik ausge¬
sprochen habe, während in Wahrheit nur ein damaliger Berichterstatter über
die Ansprache in diesem Sinne geschlossen hatte. Zum wenigsten ist die Ab¬
sicht des Volksparteilers konstatirt: er ist ebenso, wie noch im Februar 1876
dem alten Gerlach nachgewiesen wurde, ein Feind jeder fortschreitenden Ent¬
wicklung der Ansichten, ein Freund der Stagnation, der auf einen politischen
Gegner einen Schatten werfen zu können wähnt, wenn er versucht, denselben
an dessen Ansichten aus längst vergangenen Zeiten anzunageln.

Noch unklar über das eigentliche Tendenzmixtum der Sonnemann'schen
Volkspartei, sahen wir plötzlich den Fürsten Msmarck ein ganz eigenthümliches
Licht auf diese Frankfurter Persönlichkeit und seine Zeitung werfen. Freilich
waren schon vor 6 Jahren dessen französische Sympathieen im Reichstage bei
einer Frage Elsaß-Lothringen's in bedauerlichster Weise hervorgetreten und bald
darauf von den französischen Blättern hoch belobt worden; es schien aber doch nicht
ohne besondere Absicht zu sein, daß der Kanzler die gerade ihm besonders be¬
kannt gewordenen gegenwärtigen Beziehungen jenes Mannes und Blattes mit
der französischen Regierung hervorhob, welche durch letzteres bestimmte Morde
in deutschen Angelegenheiten angeschlagen zu sehen wünsche.

Der übrige Inhalt der Bismarck'schen Rede ist von großer allgemeiner
und bleibender Bedeutung. Es gilt dies ebenso sehr von seiner Charakterisirung
der jetzigen Sozialdemokratie als von seinen Ausführungen bezüglich unserer
parlamentarischen Parteiverhältnisse. Wir wüßten wahrlich nicht, wie Diejenigen,
welche sich mit diesem Gesetze nicht befreunden können, besser in letzter
Stunde für dasselbe gewonnen werden könnten, als durch die unwiderleglicher
Hinweise des Kanzlers auf die allezeit negativen Bestrebungen der Sozial¬
demokraten, weil sie zu jedem positiven Vorschlage außer Stande sind und deren
Streben, im Gegensatz zu allen ähnlichen Bewegungen der Vergangenheit, auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/120>, abgerufen am 05.02.2025.