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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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seinem Munde, obwohl er, der erste unter allen Rednern, die Nothwendigkeit
betonte, nur auf gesetzlichem Boden das Verlangen nach Sühne geltend zu
machen. Hier feierte die mächtige Redegabe, der klare Blick und die maßvolle
Persönlichkeit des Mannes unstreitig den größten Triumph seines Lebens. Er
hat später noch stolzere, größere Tage gesehen, an denen die erwählten Ver¬
treter ganz Deutschland's mit derselben Spannung seinen Worten lauschten,
wie hier die mandatloser Bürger einer erregten Stadt. Aber einen schöneren,
größeren Erfolg hat er seinem Talent und Charakter kaum jemals verdankt,
als an diesem Tage. Ich will nicht leugnen, daß jenes Urtheil viel Wahres
enthält, das die Geschichtsschreiber dieser Zeit über ihn fällen und über fein
Auftreten in dieser Stunde, "da jener merkwürdige Mann, der von da an eine
so bedeutsame Rolle in der Geschichte Sachsen's, ja Deutschland's spielen sollte,
in den Vordergrund der politischen Schaubühne trat, schon hier die ihm eigene
Virtuosität bekundend, die Unruhe wollend, die Ruhe zu predigen."*) Hat er
doch selbst am 3. November 1845 an Johann Jacoby geschrieben: "Wohl
kann ich mit Schiller's Jungfrau sagen: "ach, es war nicht meine Wahl," daß
ich ein miserables Piano anstimmte, wo Zeit und Umstände, Hoffnungen und
Aussichten, Gegenwart und Zukunft ein Fortissimo gebieterisch forderten." Aber
ist es nicht gerade diese richtige Erkenntniß der Sachlage, die Unterordnung
individueller Anschauungen unter die Umstände, Kräfte und Menschen, mit
denen im Augenblick zu rechnen ist, um nnr einen Durchschnittserfolg anzu¬
streben und zu erzielen, sind das nicht die Eigenschaften, welche den Staats¬
mann zum Staatsmann machen? Und war es nicht eine wirklich staats¬
männische Leistung, daß Robert Blum, vielleicht der radikalste und unerschro¬
ckenste Geist der ganzen Versammlung, das große Wort gelassen aussprach,
das Alle um ihn vereinte: daß auf dem Boden des Gesetzes die Sühne sür
das vergossene Blut gefordert und gewährt werden müsse? Wer endlich gab
ihm das Recht und die Macht, in dieser Stunde und dann noch beinahe eine
volle Woche hindurch als leitender Führer der ganzen Bürgerschaft aufzu¬
treten? Abermals doch nur sein gesunder, maßvoller Sinn, und die völlige
Ratlosigkeit aller Behörden. In diesem Urtheil treffen alle zeitgenössischen
Quellen überein, auch solche, wie die D, Allg. Z/*) welche keineswegs mit
Blum denselben politischen Standpunkt theilten. Sie sagt, er habe "in län¬
gerer Rede auseinandergesetzt, daß nur in dem Boden des Gesetzes und der
Ordnung die Stärke der Versammlung und die Nothwendigkeit einer Genug¬
thuung ruhe; aber nur durch die ebenso entschiedene als gesetzliche Haltung
des Volkes, könne diese erreicht werden. Er schlug einen Zug -- feierlich, ernst



') Flntho, -i. a, O. S. 64S. ") a. c>. O.
Grcnzbow, 1378, IV.14

seinem Munde, obwohl er, der erste unter allen Rednern, die Nothwendigkeit
betonte, nur auf gesetzlichem Boden das Verlangen nach Sühne geltend zu
machen. Hier feierte die mächtige Redegabe, der klare Blick und die maßvolle
Persönlichkeit des Mannes unstreitig den größten Triumph seines Lebens. Er
hat später noch stolzere, größere Tage gesehen, an denen die erwählten Ver¬
treter ganz Deutschland's mit derselben Spannung seinen Worten lauschten,
wie hier die mandatloser Bürger einer erregten Stadt. Aber einen schöneren,
größeren Erfolg hat er seinem Talent und Charakter kaum jemals verdankt,
als an diesem Tage. Ich will nicht leugnen, daß jenes Urtheil viel Wahres
enthält, das die Geschichtsschreiber dieser Zeit über ihn fällen und über fein
Auftreten in dieser Stunde, „da jener merkwürdige Mann, der von da an eine
so bedeutsame Rolle in der Geschichte Sachsen's, ja Deutschland's spielen sollte,
in den Vordergrund der politischen Schaubühne trat, schon hier die ihm eigene
Virtuosität bekundend, die Unruhe wollend, die Ruhe zu predigen."*) Hat er
doch selbst am 3. November 1845 an Johann Jacoby geschrieben: „Wohl
kann ich mit Schiller's Jungfrau sagen: „ach, es war nicht meine Wahl," daß
ich ein miserables Piano anstimmte, wo Zeit und Umstände, Hoffnungen und
Aussichten, Gegenwart und Zukunft ein Fortissimo gebieterisch forderten." Aber
ist es nicht gerade diese richtige Erkenntniß der Sachlage, die Unterordnung
individueller Anschauungen unter die Umstände, Kräfte und Menschen, mit
denen im Augenblick zu rechnen ist, um nnr einen Durchschnittserfolg anzu¬
streben und zu erzielen, sind das nicht die Eigenschaften, welche den Staats¬
mann zum Staatsmann machen? Und war es nicht eine wirklich staats¬
männische Leistung, daß Robert Blum, vielleicht der radikalste und unerschro¬
ckenste Geist der ganzen Versammlung, das große Wort gelassen aussprach,
das Alle um ihn vereinte: daß auf dem Boden des Gesetzes die Sühne sür
das vergossene Blut gefordert und gewährt werden müsse? Wer endlich gab
ihm das Recht und die Macht, in dieser Stunde und dann noch beinahe eine
volle Woche hindurch als leitender Führer der ganzen Bürgerschaft aufzu¬
treten? Abermals doch nur sein gesunder, maßvoller Sinn, und die völlige
Ratlosigkeit aller Behörden. In diesem Urtheil treffen alle zeitgenössischen
Quellen überein, auch solche, wie die D, Allg. Z/*) welche keineswegs mit
Blum denselben politischen Standpunkt theilten. Sie sagt, er habe „in län¬
gerer Rede auseinandergesetzt, daß nur in dem Boden des Gesetzes und der
Ordnung die Stärke der Versammlung und die Nothwendigkeit einer Genug¬
thuung ruhe; aber nur durch die ebenso entschiedene als gesetzliche Haltung
des Volkes, könne diese erreicht werden. Er schlug einen Zug — feierlich, ernst



') Flntho, -i. a, O. S. 64S. ") a. c>. O.
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[0109] seinem Munde, obwohl er, der erste unter allen Rednern, die Nothwendigkeit betonte, nur auf gesetzlichem Boden das Verlangen nach Sühne geltend zu machen. Hier feierte die mächtige Redegabe, der klare Blick und die maßvolle Persönlichkeit des Mannes unstreitig den größten Triumph seines Lebens. Er hat später noch stolzere, größere Tage gesehen, an denen die erwählten Ver¬ treter ganz Deutschland's mit derselben Spannung seinen Worten lauschten, wie hier die mandatloser Bürger einer erregten Stadt. Aber einen schöneren, größeren Erfolg hat er seinem Talent und Charakter kaum jemals verdankt, als an diesem Tage. Ich will nicht leugnen, daß jenes Urtheil viel Wahres enthält, das die Geschichtsschreiber dieser Zeit über ihn fällen und über fein Auftreten in dieser Stunde, „da jener merkwürdige Mann, der von da an eine so bedeutsame Rolle in der Geschichte Sachsen's, ja Deutschland's spielen sollte, in den Vordergrund der politischen Schaubühne trat, schon hier die ihm eigene Virtuosität bekundend, die Unruhe wollend, die Ruhe zu predigen."*) Hat er doch selbst am 3. November 1845 an Johann Jacoby geschrieben: „Wohl kann ich mit Schiller's Jungfrau sagen: „ach, es war nicht meine Wahl," daß ich ein miserables Piano anstimmte, wo Zeit und Umstände, Hoffnungen und Aussichten, Gegenwart und Zukunft ein Fortissimo gebieterisch forderten." Aber ist es nicht gerade diese richtige Erkenntniß der Sachlage, die Unterordnung individueller Anschauungen unter die Umstände, Kräfte und Menschen, mit denen im Augenblick zu rechnen ist, um nnr einen Durchschnittserfolg anzu¬ streben und zu erzielen, sind das nicht die Eigenschaften, welche den Staats¬ mann zum Staatsmann machen? Und war es nicht eine wirklich staats¬ männische Leistung, daß Robert Blum, vielleicht der radikalste und unerschro¬ ckenste Geist der ganzen Versammlung, das große Wort gelassen aussprach, das Alle um ihn vereinte: daß auf dem Boden des Gesetzes die Sühne sür das vergossene Blut gefordert und gewährt werden müsse? Wer endlich gab ihm das Recht und die Macht, in dieser Stunde und dann noch beinahe eine volle Woche hindurch als leitender Führer der ganzen Bürgerschaft aufzu¬ treten? Abermals doch nur sein gesunder, maßvoller Sinn, und die völlige Ratlosigkeit aller Behörden. In diesem Urtheil treffen alle zeitgenössischen Quellen überein, auch solche, wie die D, Allg. Z/*) welche keineswegs mit Blum denselben politischen Standpunkt theilten. Sie sagt, er habe „in län¬ gerer Rede auseinandergesetzt, daß nur in dem Boden des Gesetzes und der Ordnung die Stärke der Versammlung und die Nothwendigkeit einer Genug¬ thuung ruhe; aber nur durch die ebenso entschiedene als gesetzliche Haltung des Volkes, könne diese erreicht werden. Er schlug einen Zug — feierlich, ernst ') Flntho, -i. a, O. S. 64S. ") a. c>. O. Grcnzbow, 1378, IV.14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/109>, abgerufen am 05.02.2025.