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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Literatur.

Die deutsche Sozicildemokrcitie. Ihre Geschichte und ihre Lehre. Eine histo¬
risch-kritische Darstellung vou Franz Mehring. Zweite verbesserte und vermehrte
Auflage. Brciueu. C. Schüucmaim. 1878.

Wir haben bereits früher eingehend dieser Schrift gedacht; schon als sie
in ihrem Jugendkleide als "Geschichte der deutschen Socialdemokratie" in die
Welt trat. Dann wieder als die erste Auflage dieser fleißigen Studien erschien,
welche außer der Geschichte auch die Dogmatik der deutschen Sozialdemokratie
nach authentischen Quellen gab. In diesen: Augenblicke, wo die zweite Auflage
ausgegeben wird, kann kaum eine andere Schrift zeitgemäßer genannt werden,
als diese. Der Verfasser hat Beides, die Geschichte und die Theorie der deutschen
Sozialdemokratie, fortgeführt bis auf ihre letzten Lebenszeichen -- vor den
Attentaten, denn seit diesen Verbrechen, die auf sozialistische intellektuelle
Urheberschaft hinweisen, wird ja bekanntlich aus den blutrothen Beschlüssen,
Reden und Artikeln der Partei des Kaisermordes das lieblichste Blatt treuer
Fürsorge fürs Volkswohl und das holdeste Grün sozialen Friedens gemischt.
Diese Färber- und Fälschungskünste bieten uns nicht die wahre Natur- und
Lokalfarbe der deutschen Sozialdemokratie und Mehring hat sich daher mit
Recht um sie nicht gekümmert. Gerade die letzten wahren Programme der
Rothen, die Mehring's Schrift im Wortlaut mittheilt, das Gothaer Programm
von 1875 und das Genter Manifest von 1877 zeigen, wie deutlich jene "Ziele
der deutschen Sozialdemokratie" zu greifen sind, welche das vom Reichstage
verworfene Sozialistengesetz mit Strafe belegen wollte. Für die beginnende
Wahlbewegnng kann die Schrift große Dienste leisten. Aber auch lang?
nachdem ihre Wogen wieder geebnet sein werden, wenn die deutsche Gesetzgebung
an die schwierige Frage herantreten wird, wie des Krebsschadens Herr zu
werden sei, den diese gott- und vaterlandslose Wühlerei in unserm Volke aus¬
gebreitet; ja noch in spätrer Tagen, die wir alle noch zu erleben hoffen, wenn
die schwere Krankheit ausgestoßen sein wird, die wir heute bekämpfen, wird
der rückblickende Patriot, der das Werden und Wesen dieser Krankheit richtig
beurtheilen will, gern zu dieser klaren und inhaltreichen Schrift greifen.

Seit fünfzehn Jahren schon haben wir uns daran gewohnt, an jedem
wichtigen Wendepunkte unsrer nationalen Entwickelung, vor allem in schweren
Krisen unsres Volkes, die gewichtige Stimme Heinrich's vonTreitschke zu
vernehmen, mahnend, warnend, ermuthigend, je nach der Lage des Augenblicks.
Oftmals hat die Leidenschaft der Erregung die Stimme des treuen Patrioten
verkannt und mißachtet, wenn auch wenige deutsche Blätter dabei so wenig.


Literatur.

Die deutsche Sozicildemokrcitie. Ihre Geschichte und ihre Lehre. Eine histo¬
risch-kritische Darstellung vou Franz Mehring. Zweite verbesserte und vermehrte
Auflage. Brciueu. C. Schüucmaim. 1878.

Wir haben bereits früher eingehend dieser Schrift gedacht; schon als sie
in ihrem Jugendkleide als „Geschichte der deutschen Socialdemokratie" in die
Welt trat. Dann wieder als die erste Auflage dieser fleißigen Studien erschien,
welche außer der Geschichte auch die Dogmatik der deutschen Sozialdemokratie
nach authentischen Quellen gab. In diesen: Augenblicke, wo die zweite Auflage
ausgegeben wird, kann kaum eine andere Schrift zeitgemäßer genannt werden,
als diese. Der Verfasser hat Beides, die Geschichte und die Theorie der deutschen
Sozialdemokratie, fortgeführt bis auf ihre letzten Lebenszeichen — vor den
Attentaten, denn seit diesen Verbrechen, die auf sozialistische intellektuelle
Urheberschaft hinweisen, wird ja bekanntlich aus den blutrothen Beschlüssen,
Reden und Artikeln der Partei des Kaisermordes das lieblichste Blatt treuer
Fürsorge fürs Volkswohl und das holdeste Grün sozialen Friedens gemischt.
Diese Färber- und Fälschungskünste bieten uns nicht die wahre Natur- und
Lokalfarbe der deutschen Sozialdemokratie und Mehring hat sich daher mit
Recht um sie nicht gekümmert. Gerade die letzten wahren Programme der
Rothen, die Mehring's Schrift im Wortlaut mittheilt, das Gothaer Programm
von 1875 und das Genter Manifest von 1877 zeigen, wie deutlich jene „Ziele
der deutschen Sozialdemokratie" zu greifen sind, welche das vom Reichstage
verworfene Sozialistengesetz mit Strafe belegen wollte. Für die beginnende
Wahlbewegnng kann die Schrift große Dienste leisten. Aber auch lang?
nachdem ihre Wogen wieder geebnet sein werden, wenn die deutsche Gesetzgebung
an die schwierige Frage herantreten wird, wie des Krebsschadens Herr zu
werden sei, den diese gott- und vaterlandslose Wühlerei in unserm Volke aus¬
gebreitet; ja noch in spätrer Tagen, die wir alle noch zu erleben hoffen, wenn
die schwere Krankheit ausgestoßen sein wird, die wir heute bekämpfen, wird
der rückblickende Patriot, der das Werden und Wesen dieser Krankheit richtig
beurtheilen will, gern zu dieser klaren und inhaltreichen Schrift greifen.

Seit fünfzehn Jahren schon haben wir uns daran gewohnt, an jedem
wichtigen Wendepunkte unsrer nationalen Entwickelung, vor allem in schweren
Krisen unsres Volkes, die gewichtige Stimme Heinrich's vonTreitschke zu
vernehmen, mahnend, warnend, ermuthigend, je nach der Lage des Augenblicks.
Oftmals hat die Leidenschaft der Erregung die Stimme des treuen Patrioten
verkannt und mißachtet, wenn auch wenige deutsche Blätter dabei so wenig.


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[0086] Literatur. Die deutsche Sozicildemokrcitie. Ihre Geschichte und ihre Lehre. Eine histo¬ risch-kritische Darstellung vou Franz Mehring. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Brciueu. C. Schüucmaim. 1878. Wir haben bereits früher eingehend dieser Schrift gedacht; schon als sie in ihrem Jugendkleide als „Geschichte der deutschen Socialdemokratie" in die Welt trat. Dann wieder als die erste Auflage dieser fleißigen Studien erschien, welche außer der Geschichte auch die Dogmatik der deutschen Sozialdemokratie nach authentischen Quellen gab. In diesen: Augenblicke, wo die zweite Auflage ausgegeben wird, kann kaum eine andere Schrift zeitgemäßer genannt werden, als diese. Der Verfasser hat Beides, die Geschichte und die Theorie der deutschen Sozialdemokratie, fortgeführt bis auf ihre letzten Lebenszeichen — vor den Attentaten, denn seit diesen Verbrechen, die auf sozialistische intellektuelle Urheberschaft hinweisen, wird ja bekanntlich aus den blutrothen Beschlüssen, Reden und Artikeln der Partei des Kaisermordes das lieblichste Blatt treuer Fürsorge fürs Volkswohl und das holdeste Grün sozialen Friedens gemischt. Diese Färber- und Fälschungskünste bieten uns nicht die wahre Natur- und Lokalfarbe der deutschen Sozialdemokratie und Mehring hat sich daher mit Recht um sie nicht gekümmert. Gerade die letzten wahren Programme der Rothen, die Mehring's Schrift im Wortlaut mittheilt, das Gothaer Programm von 1875 und das Genter Manifest von 1877 zeigen, wie deutlich jene „Ziele der deutschen Sozialdemokratie" zu greifen sind, welche das vom Reichstage verworfene Sozialistengesetz mit Strafe belegen wollte. Für die beginnende Wahlbewegnng kann die Schrift große Dienste leisten. Aber auch lang? nachdem ihre Wogen wieder geebnet sein werden, wenn die deutsche Gesetzgebung an die schwierige Frage herantreten wird, wie des Krebsschadens Herr zu werden sei, den diese gott- und vaterlandslose Wühlerei in unserm Volke aus¬ gebreitet; ja noch in spätrer Tagen, die wir alle noch zu erleben hoffen, wenn die schwere Krankheit ausgestoßen sein wird, die wir heute bekämpfen, wird der rückblickende Patriot, der das Werden und Wesen dieser Krankheit richtig beurtheilen will, gern zu dieser klaren und inhaltreichen Schrift greifen. Seit fünfzehn Jahren schon haben wir uns daran gewohnt, an jedem wichtigen Wendepunkte unsrer nationalen Entwickelung, vor allem in schweren Krisen unsres Volkes, die gewichtige Stimme Heinrich's vonTreitschke zu vernehmen, mahnend, warnend, ermuthigend, je nach der Lage des Augenblicks. Oftmals hat die Leidenschaft der Erregung die Stimme des treuen Patrioten verkannt und mißachtet, wenn auch wenige deutsche Blätter dabei so wenig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/86>, abgerufen am 03.07.2024.