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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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zerstören müßten, um ihn nie wieder aufkommen zu lassen. Und daß sie es
in der That glauben, daran kann niemand zweifeln, der ordentlich Volk und
Land beobachtet hat. Die endlosen Unbequemlichkeiten, die ein Chinese ohne
Murren erträgt, nur um nicht gezwungen zu sein, die Gebeine eines seiner
Lieben in einen ungeheiligten Ort zu legen; die Summen, welche er zum Bau
einer schützenden Pagode oder zur Vernichtung einer ihm schädlich scheinenden
Kombination (von Häusern, Bäumen?c,) zeichnet; die Sorgfalt mit der er be¬
müht ist, die wohlbekannten Grundsätze beim Bau oder der Einrichtung seines
Privathauses zu erfüllen -- das alles beweist, daß die Fesseln des Fengschui
tief in feine Seele gedrungen sind, und daß der Glaube, in dem er aufge¬
wachsen ist, sich keineswegs überlebt hat. Der kindliche Glaube seiner Jugend¬
jahre erstarkt allmählich zu einem festen, unerschütterlichen Vertrauen, gegen
das vielleicht die Lächerlichkeit die beste Waffe ist. Aber erst jahrelange Be¬
rührung mit fremden Nationen, erst das tiefere Eindringen jener fremden
Wissenschaft, die sich jetzt unbemerkbar in sie einschleicht, wird die Chinesen zu
der Einsicht bringen, daß Fengschui ein leerer Wahn ist, daß es seine Rolle
in der Geschichte eines großen Volks gespielt hat und jetzt nnr noch mit dem
Andenken an den vergangenen Ruhm der Herrschaft China's -- Bogen, Pfeil,
Luntenbüchse und Dschonke -- auf eine Stufe gestellt werden muß.

Von Eisenbahnen ist also aus diesem Grunde keine Rede und Lastthiere
müssen den Reistransport besorgen. Vom reichen Hafen Tientsin bis nach der
Stadt Tai Auen, dem Hauptsitze der Noth, sind nnr 40 Meilen und doch
braucht man etwa 14 Tage um über die 4000 bis 5000 Fuß hohen Berge
dorthin zu gelangen. Auf die Maulthierkarren geht wenig und ein Kameel,
das Hanpttrcmsportmittel trägt nur vier Zentner. So läßt sich die Noth nur
tropfenweise lindern und während in der Nähe die reichen Vorräthe beinahe
verfaulen, geht das Volk nach Hunderttausenden zu Grunde. Vielleicht geben
diese Zustände doch noch Anlaß, daß China Eisenbahnen erhält, die in dem
ganz unter europäischem Einfluße stehenden Nachbarreiche Japan sich schon
mehr und mehr auszudehnen beginnen.




zerstören müßten, um ihn nie wieder aufkommen zu lassen. Und daß sie es
in der That glauben, daran kann niemand zweifeln, der ordentlich Volk und
Land beobachtet hat. Die endlosen Unbequemlichkeiten, die ein Chinese ohne
Murren erträgt, nur um nicht gezwungen zu sein, die Gebeine eines seiner
Lieben in einen ungeheiligten Ort zu legen; die Summen, welche er zum Bau
einer schützenden Pagode oder zur Vernichtung einer ihm schädlich scheinenden
Kombination (von Häusern, Bäumen?c,) zeichnet; die Sorgfalt mit der er be¬
müht ist, die wohlbekannten Grundsätze beim Bau oder der Einrichtung seines
Privathauses zu erfüllen — das alles beweist, daß die Fesseln des Fengschui
tief in feine Seele gedrungen sind, und daß der Glaube, in dem er aufge¬
wachsen ist, sich keineswegs überlebt hat. Der kindliche Glaube seiner Jugend¬
jahre erstarkt allmählich zu einem festen, unerschütterlichen Vertrauen, gegen
das vielleicht die Lächerlichkeit die beste Waffe ist. Aber erst jahrelange Be¬
rührung mit fremden Nationen, erst das tiefere Eindringen jener fremden
Wissenschaft, die sich jetzt unbemerkbar in sie einschleicht, wird die Chinesen zu
der Einsicht bringen, daß Fengschui ein leerer Wahn ist, daß es seine Rolle
in der Geschichte eines großen Volks gespielt hat und jetzt nnr noch mit dem
Andenken an den vergangenen Ruhm der Herrschaft China's — Bogen, Pfeil,
Luntenbüchse und Dschonke — auf eine Stufe gestellt werden muß.

Von Eisenbahnen ist also aus diesem Grunde keine Rede und Lastthiere
müssen den Reistransport besorgen. Vom reichen Hafen Tientsin bis nach der
Stadt Tai Auen, dem Hauptsitze der Noth, sind nnr 40 Meilen und doch
braucht man etwa 14 Tage um über die 4000 bis 5000 Fuß hohen Berge
dorthin zu gelangen. Auf die Maulthierkarren geht wenig und ein Kameel,
das Hanpttrcmsportmittel trägt nur vier Zentner. So läßt sich die Noth nur
tropfenweise lindern und während in der Nähe die reichen Vorräthe beinahe
verfaulen, geht das Volk nach Hunderttausenden zu Grunde. Vielleicht geben
diese Zustände doch noch Anlaß, daß China Eisenbahnen erhält, die in dem
ganz unter europäischem Einfluße stehenden Nachbarreiche Japan sich schon
mehr und mehr auszudehnen beginnen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/85>, abgerufen am 22.07.2024.